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Interesse daran haben, dass seine Bürger mit westlichen Ablenkungsmanövern desorientiert werden!“, sagte Rolf, als Tommi, Beppo, Richy, Karin und ich nach einem Kinobesuch in der Altberliner Kneipe nebenan zusammensaßen.

      „Du misst mit zweierlei Maß“, wandte Richy ein. „Für uns hier im Westen ist die sexuelle Revolution fester Bestandteil unserer politisch-kulturellen Emanzipation. Und im Osten willst du es verbieten, oder wie?“

      „Die haben es gar nicht nötig, den kapitalistisch-sexuellen Ausbeutungsschmarrn in Form von pornografischen Blättchen zu importieren“, sagte Tommi. „Die sind da schon viel freier und machen einen auf FKK, wovon wir noch Jahre entfernt sind.“

      Ich sah Tommi ein wenig verständnislos an. „Na, darum geht es aber doch auch gar nicht. Der Porno-Express wollte doch nur von A-West nach B-West. Das hätten die DDR-Behörden doch eher zwecks moralischer Destabilisierung des Westens fördern statt blockieren sollen.“

      „Da täuschst du dich gewaltig. Die haben doch Angst, dass die heiße Ware irgendwo unterwegs abgeworfen und damit der ganze DDR-Sozialismus unterminiert wird“, sagte Rolf. „Die wollen eben keinen dekadenten Sozialismus.“

      Wir mussten über den Begriff lachen.

      „Was hättest du als LKW-Profi mit dem Zeug gemacht?“, fragte ich.

      Die Frage war an Beppo gerichtet. Beppo kippte erstmal sein Kölsch. Dann sagte er glucksend: „Ich wäre doch nicht so doof gewesen, die Ladung für nix oder für DDR-Geld – also so gut wie nix – auf ‘nem Rastplatz bei ‘nem Intershop zu verhökern. Ich hätte dem Auftraggeber die Hälfte als abhandengekommen gemeldet und hätte sie unter der Hand selbst verkloppt. Jeder LKW-Kollege und Taxifahrer hätte mir auf Anhieb mindestens zwanzig Exemplare zum Weiterverkauf abgenommen.“

      „Das ist durch und durch kapitalistische Denke“, bekam Beppo von Tommi zu hören. „Beschubsen, bescheißen, tricksen. Kleptomanische Deals machen und noch stolz darauf sein, die anderen über den Tisch gezogen zu haben. Bis man aus dir einen neuen sozialistischen Mensch gemacht hat, sind Marx und Engels längst wieder auferstanden, diesmal vielleicht als Buddhas Nachfolger.“

      „Und auch Lenin ist dann schon längst wiederauferstanden!“, warf Rolf ein.

      „Und Stalin!“, ergänzte Karin. Sie stand auf Stalin, weil er neben Lenin zwischen 1918 und 1920 so standhaft den Kommunismus in der Sowjetunion gegen den „weißen Terror“, die Allianz der westlichen Terrorbanden, verteidigt hatte. Und natürlich, weil sich der Große Vorsitzende Mao auf ihn berief.

      „Wir wollen jetzt aber bitte nicht über den Scheiß-Stalin diskutieren; dann ist für mich nämlich der schöne Filmabend gelaufen!“, sagte Rolf.

      „Aber …“, setzte Karin an.

      „Kein Aber!“, unterbrach sie Rolf. „Lass uns lieber über das neue sozialistische Menschenbild sprechen, in das Beppo nicht reinpasst, wenn es nach Tommi geht.“

      „Ja, wo ist er denn, der neue sozialistische Mensch?“, fragte Karin. „Wenn ich mir das DDR-Fernsehen schaue, sehe ich weit und breit keinen neuen sozialistischen Menschen. Die sehen alle gleich spießig aus. Ein Sozialismus der Kleinbürger.“

      „Ach, und in China sehen sie alle noch gleicher aus, nämlich uniformiert – und das ist dann der neue Mensch?“

      „Das ist eine unproduktive Debatte“, sagte ich. „Denkt doch mal in historischen Zeiträumen, in Zeiträumen, die gar nicht mal so weit hinter uns liegen. Nur siebzig Jahre vor uns gab’s noch den Kaiser samt Kaiserkult. Dann wurde das Kaiserreich mit Ende des Ersten Weltkrieges 1918 hinweggefegt.“

      Ich sah, wie die Freunde ins Grübeln kamen – historisch gesehen war die Zeitspanne echt nicht lange, ein Fingerschnips.

      Dann fuhr ich fort: „Nach den Zwanziger Jahren kam schon das 1000jährige Zwölfjahresreich samt Zweitem Weltkrieg und Führerkult. Die im Kaiserreich groß gewordene Generation ist heute siebzig Jahre alt und hat das Verhalten der Kaisertreuen von anno dazumal noch verinnerlicht. Deren Kinder sind Mitte Vierzig. Die Nachkriegs- und Hungergenerationen des Ersten und Zweiten Weltkrieges waren noch von ehemals Kaiser- und Führergetreuen durchsetzt. Wo soll da plötzlich der neue sozialistische Mensch herangewachsen sein? Alles illusionärer Schmarrn!“

      *

      Am Abend rief ich meine Eltern an. Lollo schwärmte mir von ihrem neuen Hobby, der Gobelin-Stickerei, vor. Von Spitzweg hatte sie das Motiv Der Bücherwurm gestickt; von Rembrandt Der Mann mit dem Goldhelm und von Menzel Die Tafelrunde von Sanssouci.

      „Und was machst du damit?“

      „Die werden auf Hartkarton aufgespannt, kriegen einen hübschen Goldrahmen und werden zu Ostern verschenkt. Du darfst dir jetzt schon ein Motiv wünschen.“

      „Vielen Dank, Mama, aber das überlasse ich dir.“

      Insgeheim dachte ich: Wo soll ich dieses antiquierte Ding – egal was es sein wird – bloß hinhängen? Neben die Monroe? Neben Che Guevara oder gar neben Ho Chi Minh? Vielleicht neben das Casablanca-Filmplakat? Oder würde ich es übers Herz bringen, Lollos Stickbild verpackt zu lassen, im Keller zu deponieren und nur aufzuhängen, wenn meine Eltern zu Besuch kämen?

      Dann las mir Lollo noch mein Tageshoroskop vor, bevor sie mich an Otto weiterreichte. „Also, für die männliche Jungfrau steht heute in der Rundschau folgendes: »Seien Sie mutig und packen Sie das an, was Sie in der Vergangenheit zu umgehen versuchten. Am Abend dürfen Sie sich fallen lassen. Am besten natürlich in die Arme Ihrer Partnerin.« Klingt das nicht romantisch?“

      „Der letzte Satz gewiss. Aber der erste?“

      „Da will das Schicksal, dass du das Abi nachholst.“

      „Och Mama, bitte nicht immer dieselbe Platte mit dem Sprung.“

      Dann kam mein Vater ran und ließ die Platte weiterlaufen: „Deine Mutter macht sich halt Sorgen über dein zukünftiges Leben. Du kannst doch nicht ein Lebtag lang Lumpensammler sein!“

      Der Begriff Lumpensammler ging mir direkt unter die Haut, von dort durchs Herz und hinten als Schreckfurz wieder raus. „Ich bin kein Lumpensammler!“, rief ich empört in die Sprechmuschel.

      Karin gab mir ein Handzeichen, ich solle ruhig bleiben.

      Ich schaltete einen Ton leiser. „Ich sammle Kleider, die sortiert und zur weiteren Verwendung in die Dritte Welt verschickt werden. Das ist umweltschonendes Recycling, bringt viel Geld ein, das dazu beiträgt, einem Volk zu bescheidener medizinischer Versorgung zu verhelfen, das seit Jahrzehnten unter einem grausamen Krieg leidet, den unsere Verbündeten Frankreich und die Vereinigten Staaten dort völkerrechtswidrig angezettelt haben und bis heute führen.“

      „Ja, ja, ich weiß“, sagte Vater, „aber ändert das was an der Tatsache, dass du irgendwann mal einen vernünftigen Beruf brauchst? Ein wenig Karrierebewusstsein wäre da schon angebracht.“

      Es war immer dieselbe Leier. Doch sie verfehlte offenbar ihre Wirkung nicht, denn immer öfter diskutierten Karin und ich über unsere berufliche Zukunft. Sie wollte entweder Berufsrevolutionärin oder Lehrerin werden. Als ich sie kennen lernte, da war sie gerade siebzehn geworden, da wollte sie noch Gogo-Girl werden und im Käfig in einer Disco tanzen. So änderten sich die Berufswünsche.

      Der Homo méditerranée & Krupp & Krause

      Im Bett zeigte mir Karin die Anzeige eines Reisekonzerns. Da hieß es: „Es gibt Leute, die machen Urlaub wie Ameisen, andere wie Röstkartoffeln, dritte wie ein Rallyeauto. Machen Sie’s anders. Machen Sie Urlaub wie ein Mensch. Im Club Méditerranée.“

      Karin strahlte mich an. „Das klingt doch gut, oder?“

      „Na gut“, sagte ich, „aber wie sieht denn bei denen ein Mensch aus?“

      Da zeigte sie auf das ganzseitige Inserat, auf dem neben dem Text ein nacktes

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