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seine Welt unnötig kälter zu machen/Na na na, na na, na na na/Hey Jude, enttäusch' mich nicht/Du hast sie gefunden, nun geh' und hol sie dir/Denk' dran, lass sie hinein in dein Herz/Dann kann's los geh'n - mach's jetzt besser.

      So genossen wir auch ohne Mucke unsere Zweisamkeit und unser kleines Abenteuer auf diesem hohen Turm der Konsumgesellschaft. Nur das Böllern von draußen war unsere Begleitmusik.

      Wir streichelten uns und knutschten. Im Vergleich zur winterlichen Außentemperatur war es hier warm, doch im Vergleich mit unserer nachlassenden Energie –zusehends geschmälert von unserem nicht weniger energiezehrenden Nachspiel – wurde es langsam kühler und wir begannen zu frösteln.

      „Cheri“, flüsterte ich Karin ins Ohr, „bevor wir frieren, sollten wir gehen.“

      „Ja, ich freue mich jetzt auf ein Schlückchen Sekt zuhause.“

      Ob sich Tommi und Rosi, Rolf und Quiny, und mein treuer Freund Richy noch immer auf der TU-Party rumtrieben?

      „Wenn wir es schaffen, bleiben wir noch wach, bis die ganze Mannschaft kommt, um mit ihnen anzustoßen, ansonsten ...“

      „Fortsetzung, Coco?“ Karin sah mich schelmisch-keck an.

      Ich musste lachen. „Wenn ich bis dahin zaubern kann, gerne.“

      Ich nannte sie seit unserer gemeinsamen „Je t‘aime“-Liebeshymne einfach nur „Cheri“. Und Karin sagte nur noch gelegentlich Kara zu mir, lieber nannte sie mich seit Kurzem „Coco“.

      „Kara haben dich die Girls von deiner Bier- und Badeclique genannt. Hieß dein Lieblingsbier damals nicht Karamalz?“

      Ich nickte.

      „Coco, die Zeit ist passé. Kara ist Vergangenheit.“

      „Die meisten nennen mich aber immer noch so. Ist ja auch okay, denn Coco können sie ja wohl kaum sagen, ohne dass du ihnen auf die Finger klopfst!“

      Der 90er Bus kam und wir stiegen am Kudamm, Busstation Gedächtniskirche, gegenüber vom neonbeleuchteten KaDeWe, ein. Der Bus war leer. „Prost Neujahr!“, sagte ein ziemlich junger Busfahrer, was wir erstaunt erwiderten. Für so viel Freundlichkeit waren Westberlins Busfahrer eigentlich nicht bekannt. Der Mann trug eine bunt gecheckte Weste und an seinem rechten Handgelenk baumelten die kurzen Strippen eines farbigen Handreifes, wie man ihn in Jamaika trug.

      Völlig untypisch, dieser Busfahrer. Das musste jene berühmte Ausnahme sein, die die Regel bestätigt. Oben im Doppeldeckerbus saßen wir ganz vorn und schauten uns die kurfürstliche Prachtstraße mit ihren glitzernden Schaufenstern an.

      Karin stupste mich an. „Weißt du, was mir gerade einfällt? Ab heute steht dir beim Solidaritätsverband im Krankheitsfall Lohnfortzahlung zu. Wenn du mal krank wirst, kriegst du trotzdem Kohle. Wusstest du das?“

      „Ja, hab‘ ich auch vor ein paar Tagen gelesen.“ Da gab es im Tagesspiegel eine Neujahrsrubrik: Was sich 1970 ändert. „Du weißt aber schon, dass ich kein Angestellter bin. Ich sammle die Altkleider als Kleinunternehmer für einen gemeinnützigen Verein und bin weder sozialversichert, noch habe ich auf irgendwas einen Anspruch. Hier geht es ganz allein um Unterstützung des vietnamesischen Befreiungskampfes“, antwortete ich mit hochpolitischem Unterton. „Aber gut, dass sich was ändert!“

      Es stimmte, allmählich tat sich was in Grauland. In diesem Fall konnte man es als arbeitnehmerfreundliches Zugeständnis bezeichnen. Die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für Arbeiter war eine neue, von den Gewerkschaften erkämpfte soziale Errungenschaft. Nun standen zumindest sie und die Angestellten nicht mehr im Regen, sondern erhielten sechs Wochen lang ihren Lohn weiter ausbezahlt.

      „Willst du unter so ungesicherten Umständen weiter für den Solidaritätsverband arbeiten?“

      „Cheri, ich baue den Verband hier in Westberlin gerade erst auf, bin noch ganz am Anfang. Ich kann doch nicht gleich etwas fordern, wenn noch nicht einmal der erste Eisenbahnwaggon mit Klamotten beladen ist!“

      *

      Während wir unsere Busgespräche führten, zofften sich Rolf und Quiny auf der Uni-Fete. Das reihte sich wohl ein in jenes derzeit recht bekannte Neujahrs-Szenario – auch oder gerade für uns Freigeister: Jahreswechsel hieß allzu oft auch Partnerwechsel. Quiny hatte eine Stunde vor Mitternacht im studentischen wie im nichtstudentischen Gewimmel Rolf aus den Augen verloren. Zum Abhotten zog es sie auf die Tanzfläche. Da traf sie auf Wolle, einen lange begehrten Jugendfreund, der sie antanzte und gestand, dass er froh sei, nun endlich für sie frei zu sein. Den Neujahrstrunk gönnten sich die Zwei einsam aber gemeinsam. Als Rolf die beiden auf der Suche nach Quiny in einer dunklen Ecke entdeckte, knutschend und fummelnd, war das Ding gelaufen.

      „Was soll das denn? Sieht so die freie Liebe aus?“

      Quiny sah ihn kühl an und sagte: „Genauso ist es. Ich liebe Wolle.“

      Wolle lächelte mild und meinte, sie hätten gerade etwas beschlossen. „Wir ziehen zusammen und bleiben bis März in Berlin.“ Danach wollten sie mit seinem Bulli nach Torremolinos und für ein Jahr als Hippies leben.

      „Ich wünsche dir Frieden und eine reine Seele!“, sagte er zu Rolf, der sich samt reiner Seele umdrehte und wortlos im Dunst aus Räucherstäbchen und Zigarettenqualm verschwand.

      Karin und ich erfuhren hiervon erst am nächsten Mittag, dem Neujahrstag. Aber im Moment saßen wir noch ahnungslos im Bus und sprachen über unsere eigene Jahresplanung. Karin wollte statt Urlaub zu machen lieber die proletarische Weltrevolution im Sinne Mao Tse-tungs in Westberlin vorantreiben. Vielleicht mit Claudia Roth oder Rio Reiser.

      Ich wollte im Sommer eher einen VW-Bus anschaffen und vier volle Wochen lang durch Südfrankreich und Nordspanien düsen. Natürlich hatte mich zudem der Ehrgeiz in finanzieller und politischer Hinsicht gepackt. Mit Altkleidersammlungen konnte unser Verein in wenigen Monaten immerhin einige hunderttausend Mark zusammenkriegen und sie in Form von Medizintechnik an die vietnamesische Botschaft in Ostberlin übergeben. Wir ließen unsere Planungen erstmal offen.

      Draußen verstummte die Knallerei; es wurde zusehends ruhiger. Plötzlich hörten wir die Stimme des Busfahrers über den Lautsprecher. „Ich wünsche uns allen ein glückliches und friedvolles Neues Jahr und jetzt schalte ich mal meinen Privatsender ein, verehrte Fahrgäste!“ Es knackste und dann hörten wir einen Radio-Moderator mit der Teilansage: „… und hier eine Aufnahme vom Simon & Garfunkel-Konzert im Central Park“. Und wir hörten »The Sound of Silence«.

      Dann rief der Fahrer unsere Haltestelle aus: „Olivaer Platz!“

      Beim Aussteigen winkten wir ihm zu und er winkte zurück. Ob das ein verkappter Hippie war?

      Der nächste Morgen begann spät mittags. Rolf hatte kein Auge zugemacht und schäumte vor Unverständnis und Wut und sah zum Heulen aus. Er fluchte über seine noch vor wenigen Stunden hochgeliebte Quiny und entdeckte plötzlich all jene Eigenschaften an ihr, die ihn eigentlich schon immer gestört hatten – alles unwichtige Kleinigkeiten, die ihm plötzlich einfielen, um sich den Abschied von ihr leichtzureden. Nach einer weinerlichen Dauerschleife von rund sechzig Minuten, versuchte ich Rolf mit einer Grundsatzdiskussion auf eine andere Spur zu bringen.

      Wir fragten uns, ob wir eine Wohngemeinschaft oder schon eine Kommune waren. „Kommune“ war „in“. Kommunarden geisterten durch Presse, Funk und Fernsehen. Tommi, der manchmal einen auf christlich machte, stand der Sache skeptisch gegenüber. Ich erklärte ihm, dass genau das die Form des Zusammenlebens der Ur-Christen gewesen sei.

      „Ach so. Alles teilen, egal wer was verdient.“

      „So in etwa“, antwortete Karin.

      Wir lebten jetzt alle zusammen, Tommi und Rosi, Rolf, Richy, Karin und ich – Quiny fiel wohl ab sofort weg und musste nur noch ihre Sachen abholen. Beppo, unser LKW-Fahrer, noch aus Frankfurter Zeiten, war im Herbst ausgezogen, weil frisch verliebt, und hatte Richy Platz gemacht. Richy, schlank und schlau, war weit entfernt von jedweder Liebelei; wir vermuteten, er würde in seinem jungen Leben ausschließlich

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