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Am Ende der Wahrheit. Kerstin Teschnigg
Читать онлайн.Название Am Ende der Wahrheit
Год выпуска 0
isbn 9783752904529
Автор произведения Kerstin Teschnigg
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
„Na das wird aber höchste Zeit meine Liebe…“, murmelt sie. „Fünf Zentimeter. Mindestens. Und neue Strähnen.“
„Ja…mach einfach. Ich vertraue dir.“
Während dem Auftragen der Strähnen tratschen wir über alles Mögliche, ich habe sie vermisst, diese unkomplizierte, steirische Art. Die Deutschen sind anders. Auch wenn die Münchner ja keine richtigen Deutschen sind. Inzwischen die Strähnen einwirken, wäscht und föhnt Sabine einer älteren Dame die Haare. Ich blättere kurz in meiner Illustrierten, bevor ich unwillkürlich wieder an Markus denken muss. Er geht mir einfach nicht aus dem Sinn. Ich blicke auf den Firsörstuhl neben mir. Am Samstag nach dem Weinfest sah ich ihn wieder. Sofort bin ich wieder in Gedanken dort.
Es war wenig los für einen Samstag, es schien, als wäre der ganze Ort nach dem Weinfest noch im Tiefschlaf. Darum kehrte ich vor dem Laden die Blätter, welche das nächtliche Gewitter herumgewirbelt hatte, zusammen. Gerade als ich im Abstellraum wieder alles verstaut hatte und zurück nach vorne in den Laden ging, öffnete sich die Tür. Da stand er und lächelte mich an. Mit zwei Papiersackerln vom Bäcker gegenüber in der Hand. Wieder ein bisschen schüchtern. Sabine sprach in gleich in gewohnt forscher Manier an, ob er einen Termin habe.
Mit hilflosem Blick sah er zu mir.
„Ich mach das schon…“, sagte ich zu ihr, Sabine sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
Er jedoch schaute erleichtert aus, vermutlich weil ich Sabine gleich ablöste.
„Hallo. Kommst du zum Haareschneiden?“, fragte ich ihn.
Sofort wurde er wieder ein bisschen rot.
„Ähhhm… Hallo… Also ja… Haareschneiden… Ok…“
Er stammelte etwas daher, was ich ignorierte, ich wies ihm einfach nur den Platz zu und er setzte sich auch gleich hin. Ich holte den Frisierumhang und tat ganz professionell, auch wenn ich komisch nervös war, was ich zu unterdrücken versuchte.
„Und? Was machen wir denn?“, fragte ich immer noch sehr professionell.
Er sah mich groß an und ich nahm ihm das Antworten ab.
„Konturen, oben kürzer?“
„Nicht zu kurz bitte.“
Ich nickte und zog meinen Frisierwagen an meine Seite. Dann strich ich mit den Händen durch seine dunkelbraunen Haare hinunter über den Nacken bis zu seinen Schultern. Eigentlich machte ich das immer so um mir ein Bild von der Haarqualität zu verschaffen, doch diesmal fühlte es sich anders an. Anders als alles andere. Seine Haare waren dicht, aber weich, sein Nacken und die Schultern muskulös. Unser Blick traf sich kurz im Spiegel. Er hatte für einen Mann eine unglaublich schöne Haut, die dunklen Augen, die fast durchdringend schienen fielen mir schon gestern Abend auf. Ich atmete ein und hielt kurz die Luft an. So eine schöne Haut…für einen jungen Burschen wirklich ungewöhnlich. Verlegen löste ich mich von seinen Schultern, wo meine Hände immer noch wie magnetisch hängen blieben. Irgendwie musste ich mich wieder einkriegen.
„Waschen auch?“
Er zuckte mit den Schultern.
„Ok, mache ich nach dem Schneiden.“
Dann fing ich an. Es fühlte sich wie eine Prüfung an, so nervös war ich. Darum musste ich schnell ein Gespräch anfangen um die Stille zu brechen.
„Woher weißt du, dass ich hier arbeite?“
„Wusste ich nicht. Ich hab dich vom Bäcker gegenüber gesehen, als du die Straße gefegt hast.“
Das brachte mich zum Lächeln. Er ist echt wegen mir hier herüber gekommen.
„Ah… Frühstück für deine Freunde?“
Er nickte. Er schien mir sehr wortkarg zu sein.
„Macht ihr Urlaub hier? Du und deine Freunde?“
„Nein, die fahren heute wieder zurück nach Graz.“ Er wurde ein bisschen rot. „Nochmal Entschuldigung wegen gestern, sie haben dich schlecht behandelt.“
„Das habe ich schon vergessen. Alles gut. Darüber müssen wir wirklich nicht mehr sprechen. Und du? Hast du Urlaub, oder Ferien?“
„Ich bin gerade mit dem Bundesheer fertig geworden.“
Mit dem Bundesheer fertig geworden. Er ist echt noch jünger, als ich vermutete. Vielleicht zwanzig?
„Und jetzt?“, fuhr ich fort.
„Ich fange im Herbst an Sportwissenschaften zu studieren. Keine Ahnung wie das klappen wird“, seufzte er.
„Warum?“, fragte ich neugierig nach.
„Ich bin Leistungsschwimmer.“
Leistungsschwimmer also. Ich war beeindruckt. Darum die muskulösen Schultern. Er erzählte mir, dass er viel unterwegs ist und scheinbar auch relativ gute Platzierungen erzielte. Beim Waschen der Haare redeten wir dann wieder nicht. Ich war froh darüber und ich hätte ewig weiter schamponieren können. Er schloss seine Augen und einmal als ich sanft den Schaum von seinen Schläfen nahm, bemerkte ich sein tiefes Einatmen. Das fuhr durch meinen Körper wie ein Stromschlag, wieder versuchte ich mich zu sammeln. Ich wasche täglich dutzenden Kunden die Haare und noch nie war das so ungewöhnlich wie an diesem Tag. Irgendwie war ich dann doch froh als ich fertig war, oder auch nicht, ich weiß es nicht mehr. Der Schnitt war mir auf jeden Fall gut gelungen und er zufrieden. Nachdem er bezahlte ging er wieder und ich sah ihm nachdenklich hinterher, bis mich Sabine zurück in die Realität holte.
„Wer ist denn der Bursche?“, schmunzelte sie.
„Keine Ahnung. Wohnt im Ferienhaus beim Badesee“, entgegnete ich abwesend und begann die Haare am Boden zusammen zu fegen, als sich die Türe wieder öffnete. Wieder stand er da. Erneut verlegen.
„Was vergessen?“, fragte ihn Sabine, wieder recht forsch.
„Ja…“, er kam auf mich zu und drückte mir eine Papiertüte vom Bäcker in die Hand. „Frühstück für dich.“
Ich grinste bestimmt wie eine Irre. Gott er war so süß.
„Oh Danke.“
Er zappelte etwas nervös herum. „Gehst du heute Abend etwas mit mir trinken?“
Mir fiel die Kinnlade hinunter. Damit rechnete ich absolut nicht. Er sah mich abwartend an, diese Frage kostete ihn ziemliche Überwindung, das merkte ich. Kurz überlegte ich, aber ich konnte einfach nicht nein sagen.
„Ja gerne“, lächelte ich ihn etwas verlegen an.
Dieses spontane „ja gerne“ überraschte ihn glaube ich. Ein erleichtertes Lächeln entkam ihm.
„Super. Wo treffen wir uns?“, fragte er schnell, fast als hätte er Angst ich überlege es mir anders.
„Vor dem Juwelier da drüben? Vielleicht so um acht?“
Er nickte euphorisch und ich freute mich. Ja ich freute mich.