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meine Mutter zu mir heraus?“, fragte Richard, nachdem er ein paar Sätze mit Mr. Carlyle gewechselt hatte.

      „Nein. Sie gehen hinein. Ihr Vater ist außer Haus, und die Dienstboten sind in der Küche eingeschlossen und werden Sie nicht sehen. Und wenn sie es täten, würden sie Sie in dieser Aufmachung niemals erkennen. Ein hübscher Schnauzbart, Richard.“

      „Also gehen wir hinein. Ich bin sehr nervös, bis ich wieder fort bin. Werde ich das Geld bekommen?“

      „Ja, ja. Aber Richard, Ihre Schwester sagt, Sie wollten mir die wahre Geschichte jener beklagenswerten Nacht erzählen. Sie sprechen besser, solange wir hier sind.“

      „Barbara selbst wollte, dass Sie es hören. Ich halte es nicht für bedeutsam. Auch wenn alle von mir die Wahrheit hören würden, es würde mir nichts nützen, denn mir würde niemand Glauben schenken – nicht einmal Sie.“

      „Stellen Sie mich auf die Probe, Richard, und das mit so wenigen Worten wie möglich.“

      „Nun, zu Hause gab es Krach, weil ich so oft zu Hallijohn gegangen bin. Der Gouverneur und meine Mutter glaubten, ich sei hinter Afy her; vielleicht war ich das auch, vielleicht auch nicht. Hallijohn hatte mich gebeten, ihm mein Gewehr zu leihen, und an diesem Abend, als ich mich mit Af… als ich mich mit irgendjemandem treffen wollte … Ganz gleich …“

      „Richard“, unterbrach ihn Mr. Carlyle, „es gibt ein altes Sprichwort, und das ist ein vernünftiger Rat: ‚Deinem Anwalt und deinem Arzt musst du die Wahrheit sagen.‘ Wenn ich beurteilen soll, ob man irgendetwas für Sie tun kann, müssen Sie mir alles sagen; ansonsten höre ich lieber gar nichts. Es geschieht im heiligen Vertrauen.“

      „Also dann – was sein muss, muss sein“, gab Richard nachgiebig zurück. „Ich habe das Mädchen wirklich geliebt. Ich hätte gewartet, bis ich mein eigener Herr bin, und sie dann zu meiner Ehefrau gemacht, auch wenn es noch Jahre und Jahre gedauert hätte. Sie wissen schon, angesichts des Widerspruchs meines Vaters konnte ich es nicht.“

      „Ihre Ehefrau?“, fragte Mr. Carlyle mit einem gewissen Nachdruck.

      Richard blickte überrascht drein. „Warum, Sie nehmen doch nicht an, ich hätte etwas anderes gewollt! So ein Schuft wäre ich nicht gewesen.“

      „Gut, Richard, fahren Sie fort. Hat sie Ihre Liebe erwidert?“

      „Da kann ich mir nicht sicher sein. Manchmal habe ich es gedacht, manchmal nicht; sie hat oft gespielt und Ausflüchte gebraucht, und sie war zu gern mit – ihm – zusammen. Ich hielt sie für launisch – sie sagte mir, ich dürfte diesen Abend nicht kommen und jenen Abend nicht kommen; aber ich fand heraus, dass das die Abende waren, an denen sie ihn erwartete. Wir waren nie beide dort.“

      „Sie vergessen, dass sie ‚ihn‘ noch nicht mit einem Namen versehen haben, Richard. Ich weiß nicht, wen sie meinen.“

      Richard Hare beugte sich nach vorn, bis seine schwarzen Barthaare Mr. Carlyles Schulter berührten. „Es war dieser verfluchte Thorn.“

      Mr. Carlyle erinnerte sich, dass Barbara den gleichen Namen genannt hatte. „Wer war Thorn? Ich habe nie von ihm gehört.“

      „Das hat auch sonst niemand in West Lynne, nehme ich an. Darauf hat er geflissentlich geachtet. Er wohnte ein paar Meilen entfernt und pflegte insgeheim herüberzukommen.“

      „Um Afy den Hof zu machen?“

      „Ja, er ist gekommen, um ihr den Hof zu machen“ gab Richard in wildem Ton zurück. „Die Entfernung war kein Hindernis. Er kam in der Abenddämmerung im Galopp angeritten, band sein Pferd im Wald an einen Baum und verbrachte eine oder zwei Stunden mit Afy. Im Haus, wenn ihr Vater nicht zu Hause war; und wenn er zu Hause war, streifte er mit ihr durch den Wald.

      „Kommen Sie zum Kern der Sache, Richard – zu dem Abend.“

      „Hallijohns Gewehr war nicht in Ordnung, und er fragte, ob er meines leihen könne. Ich hatte mich an jenem Abend mit Afy bei ihrem Haus verabredet und ging nach dem Essen hin. Das Gewehr hatte ich bei mir. Mein Vater rief mir nach und wollte wissen, wohin ich wollte; ich sagte, ich gehe mit dem jungen Beauchamp aus, weil ich seinen Widerspruch nicht herausfordern wollte; aber die Lüge sprach bei der Untersuchung gegen mich. Als ich bei Hallijohn ankam, ging ich den ganzen Nebenweg an den Feldern entlang und auf dem Pfad durch den Wald, wie ich es üblicherweise tat. Afy kam heraus; sie war wie so manches Mal die Zurückhaltung selbst und sagte mir, sie könne mich nicht empfangen, sondern ich solle wieder nach Hause gehen. Wir hatten darüber einen kleinen Wortwechsel; während wir noch sprachen, kam Locksley vorbei und sah mich mit dem Gewehr in der Hand. Am Ende gab ich nach. Sie konnte mit mir machen, was sie wollte, denn ich betete den Boden an, über den sie ging. Ich gab ihr das Gewehr und sagte ihr, dass es geladen war; sie brachte es nach drinnen und schloss mich aus. Ich ging nicht weg; ich hatte den Verdacht, dass Thorn dort bei ihr war, obwohl sie es mir gegenüber abgestritten hatte; also versteckte ich mich in der Nähe des Hauses zwischen ein paar Bäumen. Wieder kam Locksley vorüber, sah mich dort und wollte lautstark wissen, warum ich mich versteckte. Ich antwortete nicht, sondern zog mich noch weiter zurück – was gingen ihn meine privaten Bewegungen an? Aber auch das sprach bei der Untersuchung gegen mich. Nicht lange danach – vielleicht nach zwanzig Minuten – hörte ich einen Schuss, der aus der Richtung der Hütte zu kommen schien. ‚Da geht jemand noch spät auf Rebhuhnjagd‘, dachte ich. Die Sonne ging nämlich schon unter, und im gleichen Augenblick sah ich Bethel zwischen den Bäumen herauskommen und in Richtung der Hütte laufen. Das war der Schuss, der Hallijohn tötete.“

      Eine Pause trat ein. Mr. Carlyle sah Richard im Mondlicht durchdringend an.

      „Kurz danach, fast im gleichen Augenblick, so schien es mir, kam jemand keuchend und gehetzt den Weg von der Hütte entlanggelaufen. Es war Thorn. Bei seinem Anblick bin ich erschrocken: Ich hatte nie einen Menschen gesehen, der mehr schieres Entsetzen zeigte. Sein Gesicht wirkte fuchsteufelswild, der Blick durchdringend, und die Lippen waren über die Zähne zurückgezogen. Wäre ich ein kräftiger Mann gewesen, ich hätte ihn sicher angegriffen. Ich war verrückt vor Eifersucht, denn jetzt sah ich, dass Afy mich weggeschickt hatte, um sich mit ihm zu vergnügen.“

      „Sie haben doch gesagt, dieser Thorn wäre immer nur in der Abenddämmerung gekommen“, warf Mr. Carlyle ein.

      „Das wusste ich bis zu diesem Abend nicht. Ich kann nur sagen, dass er damals dort war. Er lief schnell vorüber, und anschließend hörte ich das Geräusch der Hufe, als sein Pferd davongaloppierte. Ich fragte mich, was geschehen war, dass er so verängstigt aussah und davonrannte, als wäre der Teufel hinter ihm her; ich dachte, er hätte sich vielleicht mit Afy gestritten. Also lief ich zum Haus, sprang die zwei Stufen hoch, und – Carlyle – ich stolperte über Hallijohns hingestreckte Leiche! Er lag auf dem Küchenfußboden – tot. Überall um ihn herum war Blut, und mein kurz zuvor abgefeuertes Gewehr hatte man daneben hingeworfen. Er war in die Seite geschossen worden.“

      Richard hielt inne und holte Luft. Mr. Carlyle sagte nichts.

      „Ich habe nach Afy gerufen, aber es kam keine Antwort. In dem unteren Zimmer war niemand, und es schien, als wäre auch niemand im oberen. Mich überfiel eine Art Panik, eine Angst. Wissen Sie, zu Hause haben sie immer gesagt, ich sei ein Feigling: Ich hätte keine Minute länger bei dem toten Mann bleiben können, selbst wenn es mir das Leben gerettet hätte. Ich griff nach dem Gewehr und lief davon, da …“

      „Warum haben Sie das Gewehr aufgehoben?“, unterbrach ihn Mr. Carlyle.

      „Gedanken schießen einem schneller durch den Kopf, als man sie aussprechen kann, insbesondere in solchen Augenblicken“, lautete die Antwort von Richard Hare. „In meinem Kopf blitzte eine unbestimmte Vorstellung auf, dass man mein Gewehr nicht in der Nähe des ermordeten Hallijohn finden sollte. Wie gesagt, ich flüchtete aus der Tür, da kam Locksley genau in meinem Blickfeld aus dem Wald; ich weiß nicht mehr, was mich geritten hat, aber ich tat das Schlimmste, was ich tun konnte: Ich warf das Gewehr wieder nach drinnen und lief davon, obwohl Locksley mir nachrief, ich solle stehen bleiben.“

      „Das spricht stärker gegen Sie als alles andere“, bemerkte Mr. Carlyle.

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