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ihr gesehen oder gehört. Wenn sie überhaupt hinter jemandem her war, dann hinter Thorn.“

      „Sah der Mann gut aus?“

      „Ich nehme an, alle Welt würde es so nennen. Afy meinte, so einen Adonis habe es außer im Märchen noch nie gegeben. Er hatte glänzende schwarze Haare und einen schwarzen Schnurrbart, dunkle Augen und ebenmäßige Gesichtszüge. Aber seine eitle Stutzerhaftigkeit verdarb alles; würden Sie glauben, dass seine Taschentücher mit Parfum getränkt waren? Sie waren aus dem feinsten Batist, seidig wie Haare und so fein wie das, was Barbara in Lynneborough für eine Guinee gekauft hat. Nur hatte ihres noch eine gestickte Borte rundherum.“

      Weitere Einzelheiten konnte Mr. Carlyle nicht in Erfahrung bringen, und es wurde Zeit, dass Richard sich ins Haus begab. Sie gingen den Weg hinauf. „Was ist es doch für ein Segen, dass die Fenster der Dienstboten nicht in diese Richtung weisen“, schauderte Richard, der sich dicht an Mr. Carlyles Fersen geheftet hatte. „Wenn die oben aus dem Fenster schauen würden!“

      Seine Befürchtungen waren unbegründet, und er gelangte ungesehen hinein.

      Damit war Mr. Carlyles Aufgabe erfüllt; er überließ den armen, verbannten Flüchtling dem kurzen Gespräch mit seiner hysterischen, in Tränen aufgelösten Mutter. Richard war nahezu ebenso hysterisch wie sie und tat auf dem Heimweg das Beste, was er tun konnte: Er grübelte über alles nach, was er gehört hatte.

      Die Friedensrichter machten sich einen schönen Abend. Mr. Carlyle bewirtete sie mit einem Abendessen – Hammelkoteletts, Brot und Käse. Als die Mahlzeit vorüber war, nahmen sie noch einmal die Pfeifen zur Hand, aber Miss Carlyle zog sich zurück und ging zu Bett. Sie war seit dem Tod des Vaters nicht mehr an Rauch gewöhnt; jetzt hatte sie Kopfschmerzen, und ihre Augen tränten. Gegen elf Uhr wünschten alle Mr. Carlyle eine gute Nacht und gingen; nur Mr. Dill gehorchte einem Nicken seines Vorgesetzten und blieb.

      „Setzen Sie sich einen Augenblick, Dill; ich möchte Sie etwas fragen. Sie sind doch gut mit den Thorns aus Swainson bekannt; haben die zufällig einen Verwandten, einen Neffen oder Cousin vielleicht, der ein geckenhafter junger Bursche ist?“

      „Ich war letzten Sonntag vor zwei Wochen drüben und habe den Tag mit dem jungen Jacob verbracht“, lautete Mr. Dills Antwort, die etwas ausführlicher war als sonst üblich. Mr. Carlyle lächelte.

      „Mit dem jungen Jacob! Ich nehme an, er ist mindestens vierzig.“

      „So ungefähr. Sie und ich, wir schätzen das Alter unterschiedlich ein, Mr. Archibald. Aber einen Neffen haben sie nicht; der alte Herr hatte nie mehr als diese zwei Kinder Jacob und Edward. Und einen Cousin haben sie auch nicht. Allmählich werden sie zu reichen Männern. Jacob hat sein Schäfchen im Trockenen.“

      Mr. Carlyle grübelte. Er hatte mit der Antwort gerechnet, hatte er doch nie davon gehört, dass die Brüder Thorn – Gerber, Lederzurichter und Sattler – einen Verwandten gleichen Namens hätten. „Dill“, sagte er, „es hat sich etwas ergeben, was nach meinem Dafürhalten einen Zweifel auf Richard Hares Schuld wirft. Ich frage mich, ob er überhaupt etwas mit dem Mord zu tun hat.“

      Mr. Dill riss die Augen auf. „Aber seine Flucht, Mr. Archibald, und die Tatsache, dass er sich abgesetzt hat?“

      „Verdächtige Umstände, zugegeben. Dennoch habe ich stichhaltige Gründe, zu zweifeln. Zu der Zeit, als es geschah, kam regelmäßig irgendein Stutzer und machte Afy Hallijohn heimlich den Hof; er wird als großer, schlanker Mann beschrieben, der den Namen Thorn trug und in Swainson wohnte. Könnte das jemand aus der Familie Thorn gewesen sein?“

      „Mr. Archibald!“, protestierte der alte Bürovorsteher. „Als ob diese beiden angesehenen Gentlemen mit ihren Ehefrauen und Babys dieser flatterhaften Afy nachgestellt hätten!“

      „An sie habe ich nicht gedacht“, gab Mr. Carlyle zurück. „Das war ein junger Mann, dreiundzwanzig oder vierundzwanzig und einen Kopf größer als die beiden. Ich hatte geglaubt, es könne vielleicht ein Verwandter sein.“

      „Ich habe sie wiederholt sagen hören, sie seien allein auf der Welt und die beiden Letzten mit diesem Namen. Mit denen stand niemand in Verbindung, darauf können Sie sich verlassen.“ Er wünschte Mr. Carlyle eine gute Nacht und ging hinaus.

      Ein Diener räumte die Gläser und die stinkenden Pfeifen weg. Mr. Carlyle war in Gedanken versunken; schließlich blickte er zu dem Mann hinüber.

      „Ist Joyce zu Bett gegangen?“

      „Nein, Sir. Sie steht gerade erst im Begriff.“

      „Schicken Sie sie her, wenn sie diese Dinge weggebracht haben.“

      Joyce – die oberste Dienerin von Miss Carlyle – kam herein. Sie war von mittlerer Größe und würde das fünfunddreißigste Lebensjahr nicht mehr wiedersehen; ihre Stirn war breit, die grauen Augen lagen tief, und das Gesicht war blass. Insgesamt sah sie einfach, aber vernünftig aus. Sie war die Halbschwester von Afy Hallijohn.

      „Schließen Sie die Tür, Joyce.“

      Joyce tat wie geheißen, trat vor und stellte sich neben den Tisch.

      „Haben Sie irgendetwas von Ihrer Schwester gehört, Joyce?“, begann Mr. Carlyle ein wenig abrupt.

      „Nein, Sir“ antwortete sie. „Ich denke, es wäre auch ein Wunder, wenn ich etwas von ihr hören würde.“

      „Warum das?“

      „Wenn sie hinter Richard Hare her wäre, der ihren Vater ins Grab gebracht hat, würde sie sich und alles, was sie tut, wahrscheinlich verstecken und mir nicht bekannt machen, Sir.“

      „Wer war der andere, dieser elegante Gentleman, der hinter ihr her war?“

      Die Farbe wich aus Joyces Wangen, und sie senkte die Stimme.

      „Sir! Sie haben davon gehört?“

      „Damals nicht, aber später. Er kam aus Swainson, nicht wahr?“

      „Ich glaube schon, Sir. Afy hat nie viel über ihn erzählt. In dem Punkt waren wir uns nicht einig. Ich habe gesagt, eine Person von seinem Rang wäre nicht gut für sie; und wenn ich etwas gegen ihn gesagt habe, ist Afy weggelaufen.“

      Mr. Carlyle fragte weiter. „Sein Rang. Was für einen Rang bekleidete er?“

      „Afy hat geprahlt, er sei fast so etwas wie ein Lord; und so sah er auch aus. Ich habe ihn nur einmal gesehen; ich war früher nach Hause gekommen, und da saß er mit Afy. Seine weißen Hände glitzerten von den ganzen Ringen, und sein Hemd war mit prächtigen Steinen besetzt, wo eigentlich die Knöpfe sein müssten.“

      „Haben Sie ihn seitdem noch einmal gesehen?“

      „Seitdem nicht mehr, außer einmal; und ich glaube, ich würde ihn auch nicht wiedererkennen, wenn ich ihn sehen würde. Sir, er ist aufgestanden, sobald ich in den Salon getreten bin, hat Afy die Hand gegeben und ist gegangen. Ein nobler, aufrechter Mann war er, fast so groß wie Sie, Sir, aber sehr schlank. Diese Soldaten halten sich immer sehr gut.“

      „Woher wissen Sie, dass er Soldat war?“, fragte Mr. Carlyle.

      „Das hat Afy mir gesagt. Sie hat ihn den ‚Captain‘ genannt; aber sie hat gesagt, er sei noch nicht ganz Captain, sondern … der nächste Rang, ein … ein …“

      „Lieutenant?“, schlug Mr. Carlyle vor.

      „Ja, Sir, das war es – Lieutenant Thorn.“

      „Joyce“, sagte Mr. Carlyle, „ist Ihnen nie der Gedanke gekommen, dass Afy vielleicht nicht Richard Hare gefolgt ist, sondern dem Lieutenant Thorn?“

      „Nein, Sir“, antwortete Joyce. „Ich war mir immer sicher, dass sie mit Richard Hare zusammen war, und davon kann mich nichts abbringen. Ganz West Lynne ist davon überzeugt.“

      Mr. Carlyle unternahm nicht den Versuch, sie „davon abzubringen“. Er entließ sie, blieb allein sitzen und drehte den Fall mit allen seinen Aspekten in Gedanken hin und her.

      Das

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