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Schlag doch zu! Autobiografie. Harald Fiori
Читать онлайн.Название Schlag doch zu! Autobiografie
Год выпуска 0
isbn 9783738095890
Автор произведения Harald Fiori
Издательство Bookwire
Wobei ich manchmal pedantisch eigentlich nur mir selbst gegenüber war. Aber möglicherweise war diese Pedanterie auch nur ein für mich selbst besonders ausgeprägtes Harmonieverständnis und Harmoniebedürfnis, das mich häufig dazu brachte, Streitigkeiten zu vermeiden oder auch zu schlichten, wenn ich das konnte.
Harmonie hat sicher immer etwas mit Ordnung und mit absoluter Geborgenheit zu tun, die keine chaotische Unordnung verträgt, weil diese störend ist und dem Harmoniebedürfnis widerspricht.
Meinen Traum hatte ich niemandem erzählt, und außer mir selbst konnte daher auch niemand solche Schlüsse ziehen, die auch nur im entferntesten auf eine mögliche Kleinigkeitskrämerei in meinem Charakter hinweisen konnte.
Meine Mutter jedenfalls hatte eine völlig andere Version dieses Abends in Erinnerung als das, was ich in meinem so sehr nach Harmonie strebendem Traumbild behalten hatte.:
Mutti war mit Ursel zu der Nachbarin um die Ecke gegangen, um dort ein wenig zu plaudern.
Natürlich hatte sie sich vor dem Weggehen davon überzeugt, dass ihr Bübchen fest schlief, frisch gewickelt war und auch sonst friedlich und sicher im Kinderbettchen verstaut war. Gewohnheitsgemäß konnte sie davon ausgehen, dass der Bub eine Schlafruhe von mindestens zwei Stunden einhielt, so dass es mit ihrer Rückkehr nicht allzu eilig erschien. Selbstverständlich war auch gesichert worden, dass Bübchen vorher noch auf dem Töpfchen sein großes Geschäft verrichten sollte, auch wenn das nicht zum gewünschten Erfolg geführt hatte. So musste Mutti annehmen, dass alles in Ordnung wäre. Offenbar hatte sich diese Annahme als gravierender Irrtum herausgestellt. Schon beim Betreten des Hauses bei ihrer Rückkehr stellte sich die unten wohnende Nachbarin in den Weg, um aufgeregt zu berichten, dass ich oben stundenlang fürchterlich gebrüllt hätte. Voller Unruhe hastete Mutti nun nach oben, öffnete ängstlich die Türe und bemerkte zuallererst einen penetranten scharfen Geruch nach Kot.
Ihr erster Blick galt natürlich dem kleinen Jungen, der offensichtlich in der kurzen Zeit ihrer Abwesenheit erwacht war und geschrien hatte. Zu ihrer Beruhigung stellte sie fest, dass Bübchen friedlich lächelnd in der Mitte seines Kinderbettes lag und fest schlief.
Doch das, was noch zu sehen bzw. riechen war, rief ein wahres Entsetzen hervor, besonders bei Schwester Ursel, die ebenfalls inzwischen das Zimmer erreicht hatte.
Nicht nur der kleine Bursche, seine Haare, seine Finger, seine Ohren seine Beine, sondern das ganze Bettchen, die Gitterstäbe des Bettes, die Umrandung des Bettes, das gesamte Oberbettchen, das Laken, das Rosshaarkopfkissen sondern auch Teile des Fußbodens rings um das Bett waren fein säuberlich stark deckend mit braunem, leicht angetrocknetem Kot beschmiert.
Mutti recherchierte, dass ich also schon bald nach ihrem Weggang wach geworden sein musste, da ich offenbar einen starken Drang verspürte, dem ich dann nachgegeben hatte. Natürlich hatte ich während der ganzen Zeit extrem laut geschrien. Als auf den lauten Hilferuf hin keine menschliche Seele dem Knaben half und diesem die feuchtwarme Masse an seinem Allerwertesten recht unangenehm war, griff dieser dann zur Selbsthilfe, löste den Windelpuck, befreite sich, wahrscheinlich immer noch weinend und schreiend von der klebrigen Masse, die er dann regelmäßig und konsequent tatsächlich ringsherum im ganzen Bett verteilte. Nach Abschluss dieser anstrengenden Aktion hielt es das Kind wohl für richtig, sich nach vollendeter Arbeit zur Ruhe zu legen und friedlich lächelnd einzuschlafen und sich so im Traume die Geborgenheit zu schaffen, die es während des Vorganges so stark vermisst hatte. Dadurch wurde mir vielleicht das frustrierende Erlebnis erspart, das Kleinkinder besonders schlimm empfinden, wenn sie im Dunkeln alleine erwachen und sich niemand um sie kümmert.
Die Reinigungsarbeiten am Kind, am Bett und ums Bett herum dauerten Stunden, während der Urheber des ach so schönen, schnöden Werkes weiter den Schlaf des Gerechten schlief.
Womit sollte der Reinigungsprozess beginnen? Sich dem Kinderbett zu nähern, um das Kind herauszunehmen, bedeutete, dass man in Kot treten musste. Also galt die erste Sorge dem Beschaffen eines Putzeimers mit den dazu passenden Utensilien.
Das holte Ursel schnell herbei, froh dem penetranten Gestank entronnen zu sein, wenn auch nur für ganz kurze Zeit. Nach dem Fußboden wurden zuerst notdürftig die Holzgitterstäbe des Kinderbettes gereinigt. Danach musste die schmutzige Brühe in den Toilettentopf entsorgt werden. Eine Windel wurde geopfert, um den Kleinen damit aus dem Bett zu heben und zu entkleiden.
Inzwischen hatte Ursel die kleine Zinkbadewanne mit warmem Wasser gefüllt, mit vereinten Kräften wuchteten die beiden dieses Teil auf den Stuhl, den Mutti neben das Kinderbett gestellt hatte, um dort den beschmierten Knaben zu baden. Nach dieser Prozedur, bei der ich zu Muttis Leidwesen kaum erwachte und deshalb viel schwerer wirkte als im munteren Zustand, durfte Ursel helfen, mich abzutrocknen, zu wickeln und neu mit einem Nachthemd zu bekleiden.
Danach musste sie mich zum Sofa tragen und bewachen, während Mutti die Reinigung des Bettes vollendete, was natürlich nicht ohne Wasser möglich war, so dass meine Matratze ebenfalls nass wurde. Deshalb konnte ich anschließend nicht wieder in das sichere Kinderbett gelegt werden.
Da Mutti nicht mit mir zusammen in ihrem Bett schlafen konnte, legte sie mich in einen Sessel, den sie so gegen die Wand schob, dass ich nicht herausfallen konnte. Von diesen Schwerstarbeiten bekam ich überhaupt nichts mit, weil ich gar nicht richtig erwachte, obwohl Mutti fürchterlich mit mir geschimpft hatte und auch sonst nicht gerade leise war bei ihren Reinigungsbemühungen. Sie war wohl sehr böse auf mich, dass ich ihr das angetan hatte, obwohl sie doch vorher dafür Sorge getragen hatte, dass ich wie immer mein Geschäft auf dem Töpfchen erledigen konnte und musste.
Was war nun Wahrheit, der schöne Kindertraum oder das böse Erwachen von Mutti und meiner Schwester Ursula? Ich jedenfalls wollte das nie genau wissen und erinnerte mich deshalb zeitlebens nur an den Traum und nicht an das Unangenehme dieser Angelegenheit.
Die Wohnung in Muffendorf hatte einen gewaltigen Nachteil. Sie lag viel zu hoch oben. Mutti scheute es, die vielen Stufen mit mir oder auch nur so zum Einkaufen hinunterzusteigen, weil das zu anstrengend für sie war. Ursel konnte zwar schnell und ohne allzu große Kraftanstrengung diese ganze Treppe hinauflaufen, wobei es runter noch viel schneller ging, weil sie meistens das Treppengeländer hinunterrutschte, sehr zu Muttis und vor allen der Nachbarinnen Leidwesen, die das aus welchen Gründen auch immer nicht billigen mochten.
Natürlich nahm Mutti es in Kauf, dass sie täglich einmal zum Einkauf die Stiegen bis zur Haustür hinunter benutzen musste, obwohl der Einkauf selbst immer knapper ausfiel, weil das Warenangebot in den Läden immer spärlicher wurde.
Andererseits aber liebte Mutti Spaziergänge, auf die sie nicht verzichten mochte und es gab bei den benachbarten Landwirten doch das eine oder andere zu kaufen, zu tauschen oder auch zu schnorren, wenn diese nachbarlichen Bauern Mitleid hatten mit mir, dem kleinen blassen Buben mit den großen blauen Kinderaugen.
Oft wartete Mutti, bis Ursel aus der Schule kam, um dann alleine hoch zu laufen, während Ursel gleich unten blieb, um mit mir zu spielen oder mich auch nur zu beaufsichtigen, bis Mutti oben das Essen fertig hatte und uns durch das Fenster hineinrief.
Immer häufiger kam es allerdings zu Fliegeralarmen, die ganz besonders in den Abend- und Nachtstunden zunahmen. Dann mochte Mutti überhaupt nicht die vielen Treppen hinunter laufen. Sie nahm mich regelmäßig auf den Arm, bedeutete mir durch Fingerzeig auf ihren und auch auf meinem Mund, dass ich absolut ruhig bleiben sollte, flüsterte auch Ursel eindringlich zu, nur ja keinen Mucks von sich zu geben.
Fast regelmäßig riefen dann die Nachbarinnen von unten unsere Namen, manchmal war auch eine Männerstimme zu hören, wohl die des Blockwartes. Aber wir rührten uns nicht. Mutti hatte einfach mehr Angst, die Treppe hinunter zu gehen als davor, dass es eventuell in unser Haus einschlagen könnte. So saßen wir im dunklen Flur auf der Treppe, hörten in der Ferne oder auch näher die Einschläge von Bomben, oft auch starke