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Edelmetall-Kultgegenstände an die Reichsregierung abgeben mussten per Erlass vom 30. Juli?

      Dafür jedoch wurde hervorgehoben, dass der erste Düsenjäger der Welt von der Firma Messerschmidt am 18. Juli erfolgreich in Ulm gestartet war, allerdings noch nicht für Kriegseinsätze geplant wurde. Einen breiten Raum nahm auch die Berichterstattung ein über das Attentat auf den Vertrauten Hitlers, Heydrich, der am 27. Mai in Prag schwer verletzt wurde, später seinen Verletzungen erlag. Es folgte am neunten Juni ein Staatsakt für ihn in Berlin und schon einen Tag später ein Massaker in Lidice als Vergeltungsschlag für den „feigen Meuchelmord“, wie er von der Presse genannt wurde.

      Widerspruchslos nahmen es die Menschen hin, dass in Italien am 21. April ein neues Gesetzbuch erschien mit dem Titel „Codice Mussoliano“ in Anlehnung an den „Code Napoleon“ in Frankreich. Was Demokratie bedeutete wussten die Menschen trotz ihrer Erfahrungen aus der Weimarer Zeit in Deutschland wohl nicht, aber auch im übrigen Europa war man offenbar gewöhnt regiert zu werden und sich nicht einzumischen. Man freute sich darüber, dass man selbst lebte und kleinere Erfolge oder Vorzüge erzielen konnte.

      Onkel Willi hatte in der Nähe von Trier einen kleinen Kotten mitten in einem Waldgebiet erworben, wo er, abseits vom beruflichen Stress seine Verwundung auskurieren konnte, die er im Feld in Nordafrika erhalten hatte. Auch er war wie sein Bruder wegen der Kriegsbeschädigung vom weiteren Wehrdienst freigestellt.

      Als er 1942 Mutti, Ursel und mich zur Erholung in sein Feriendomizil einlud, freute sich Mutti außerordentlich und sagte für die Herbstferien zu. Doch leider wurde nichts aus dieser Reise, denn es waren keine Fahrausweise zu bekommen. Schon im Frühjahr hatte die Regierung darum gebeten, von privaten Reisen mit der Bahn abzusehen, unter dem Motto „Räder müssen rollen für den Sieg“.

      Mutti, der sonst alles gelang, was sie sich in den Kopf gesetzt hatte, war dieses Mal machtlos. Sie konnte keine Fahrkarten nach Trier oder auch nur in die Eifel bekommen. So mussten wir leider schweren Herzens auf diesen Ausflug verzichten.

      Das Jahr 1942 war bereits ein Kriegsjahr, das der Bevölkerung erhebliche Entbehrungen auferlegte, von denen ich als kleiner Bub nicht unmittelbar etwas bemerkte, was aber Mutti in große Sorgen geraten ließ, ob sie mir auch genügend Nahrungsmittel und Vitamine zukommen lassen konnte, die ich für mein Gedeihen dringend benötigte.

      Trotzdem gab es reichlich viele kulturelle Ereignisse und Veranstaltungen, die dazu angetan waren, sich zu amüsieren, zu unterhalten oder zu bilden, wenn das noch nötig erschien.

      Besonders stolz war man in Deutschland auf die Fußballnationalmannschaft, die immer wieder Siege errang, wie in Rumänien am 16. August , wo Fritz Walter drei Tore schoss und die Deutschen die Rumänen 7 : 0 schlugen, am 20. September nahm man zwar eine Niederlage gegen Schweden mit 2 : 3 hin bei einem Heimspiel in Berlin, um dann am 22. November beim letzten Länderspiel bis 1950 gegen die Slowakei in Pressburg 5 : 2 zu gewinnen.

      Am 15. November hatte TSV 1860 München Schalke 04 2 : 0 besiegt und wurde erstmals deutscher Meister. Doch Mutti interessierte sich nicht für Fußball und deshalb wir Kinder auch nicht.

      Aber fast alle neuen Filme hatte sie gesehen, oft schon kurz nach ihrer Uraufführung in Berlin, da die Lichtburg in Essen als renommiertes Kino sehr schnell solche Filme in Essen zeigte. So kannte sie den Film „Heinrich Schlüter“ mit Heinrich George, der erst am 19. November uraufgeführt worden war, ebenso wie „Wir machen Musik“ mit Ilse Werner, Viktor de Kowa, Grete Weiser von Helmut Käutner, am 8. Oktober aufgeführt, sogar den Film „Fronttheater“ mit Rene Deltgen und Heli Finkenzeller vom 24. September, und aus Wien kommend den Film „Die heimliche Gräfin“ mit Paul Hörbiger vom 27. August.

      Auch als am 2. September die erste Hauptschule als „Auslesepflichtschule“ errichtet wurde, ließ sie sich nicht davon abbringen, dass ihre Kinder sehr wahrscheinlich mal ein Gymnasium besuchen sollten, wenn es denn möglich wäre und die Kinder begabt genug dafür. Wobei ihr vorschwebte, dass Ursel als Mädchen sowieso einmal gut und standesgemäß heiraten würde und von daher möglichst auch eine Frauenfachschule besuchen musste, wenn es denn so weit wäre.

      Im Augenblick aber zählten wirklich die Meldungen, die vom Krieg in die Wohnzimmer getragen wurden, weil sich jeder fragte, wie lange es denn noch dauern würde. Konnte man denn wirklich den vielen Erfolgsmeldungen Glauben schenken:

      3.8.: Vorstoß auf die kaukasischen Ölfelder, 7.8.: Kesselschlacht bei Kalatsch mit 35 000 gefangenen Sowjetsoldaten, 15.8.: deutsche Truppen am Don, 19.8.: Angriff auf Stalingrad, 3.9.: Stoßtrupp in Stalingrad, 14.9.: britische Landungsboote zerstört vor libyscher Stadt Tobruk, deutsche U-Boote im Indischen Ozean, 14.10. Großangriff auf Stalingrad, 10.11.: neunzehntel des Stadtgebiets von Stalingrad erobert, 25.12. Goebbels appelliert an das Durchhaltevermögen des deutschen Volkes.

      Eine Heidenangst bekam Mutti aber kurz vor Weihnachten 1942, als britische Bomber am 21. Dezember die Krupp-Werke in Essen angriffen. Mit vielen Nachbarn, vor allem Nachbarinnen waren wir beim Fliegeralarm in den nahen Bunker im Wald, etwa hundert Meter von unserem Haus entfernt, gelaufen. Mutti hatte zuerst gar nicht mitkommen wollen, sondern wie bei anderen Alarmen auch, nur mit uns im Hausflur abwarten, ob wie sonst auch immer überhaupt keine Bomben in der Nähe abgeworfen wurden.

      Doch dieses Mal hatte Tante Traute sehr energisch darauf gedrungen, dass wir uns in Sicherheit bringen sollten. Widerstrebend war Mutti ihr gefolgt und hatte immer wieder betont, dass sie nun gar nicht genug zu essen mitgenommen hätte, wenn wir länger im Bunker bleiben müssten. Auch wüsste sie nicht, ob es eine Gelegenheit gäbe, mir dort die Windeln zu wechseln. Doch Tante Traute ließ sich nicht erweichen.

      Der Schreck war groß in der Menschenmenge in der Enge des Erdstollens, der als Bunker diente.

      Plötzlich zitterte die Erde, dröhnend detonierten die Bomben, die auf das nahe gelegene Krupp-Werk abgeworfen worden waren. Viele weinten im Bunker, vor allen Dingen die Kinder. Auch ich konnte meine Tränen nicht zurückhalten. Das Dröhnen, das Zittern der Erde, die lauten Geräusche bereiteten mir Schmerzen vom Kopf bis in die Zehenspitzen, das Dröhnen in meinen Ohren wollte kein Ende nehmen.

      Wahnsinnig beklemmend fand ich auch die unheimliche Fülle in dem relativ kleinen Schutzraum, beängstigend das ungeheure Gedränge, der unangenehme Geruch fremder Menschen, aber immer wieder das schmerzhafte Dröhnen in den Ohren, das alle Organe des kleinen Körpers zu erfassen schien. Später, als der Lärm etwas nachgelassen hatte, ich mich an meine Mutti schmiegen konnte und vor Müdigkeit nicht mehr merkte, dass immer noch viel zu viele Menschen in der Nähe waren, hob ich mein Fingerchen und sagte leise: „Bumm, bumm!“

      Der Krieg war schon lange nach Deutschland gekommen, obwohl die Propaganda des Reiches es anders schilderte. Schon wurden Stimmen laut, dass Hitler-Deutschland bald besiegt sein könnte. Aus dem Ausland meldeten sich deutsche Exil-Politiker und deutsche emigrierte Schriftsteller, die ein Ende forderten oder Vorschläge unterbreiteten. So forderte Erich Ollenhauer, SPD-Politiker, am 6. Dezember in London eine Vorbereitung der politischen Neugestaltung Deutschlands nach dem Krieg.

      Erheblich früher jedoch gab es während des letzten Halbjahres Angst und Schrecken für die deutsche Bevölkerung bei Luftangriffen der Sowjets auf Berlin, Stettin, Königsberg und Danzig am 26. August, zwei Tage später britische Bomben auf München, Saarbrücken und Kassel, , am 5. September Bombenteppich auf das deutsch besetzte Le Havre, sowjetische Bomben auf Budapest und Königsberg, die Hiobsbotschaft, dass die Rote Armee am 15. September den Don überschritten hätte, dass alliierte Verbände von Amerikanern und Engländern in Marokko gelandet wären, Tobruk von Montgomery erobert wurde am 13. November, britische Bomber ihre todbringende Last über Turin abgeworfen hatten am 21. November, am 22. November war die 6. Armee in Stalingrad eingeschlossen worden, ein gewaltiger britischer Luftangriff mit Spreng- und Brandbomben zerstörte große Teile von Berlin am 23. November, am 4. Dezember führten die Vereinigten Staaten einen Luftangriff gegen Neapel, am 9. Dezember warfen 196 britische Flugzeuge insgesamt 397 Tonnen Bomben auf Turin und am 12. Dezember wurde Stalingrad endgültig zur Falle für die eingeschlossenen deutschen Soldaten.

      Viel wichtiger als all diese dramatischen Ereignisse war für Mutti aber die Tatsache, dass sie wegen der beiden Kinder nicht mehr regelmäßig am Sonntag in der Frühe in die Kirche gehen konnte. Immerhin war sie sehr fromm erzogen worden.

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