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tatkräftig im Haushalt half und vor allen Dingen mich häufig versorgte und betreute.

      Allerdings war meiner Mutti dieses Mädchen Irmgard ein wenig unheimlich. Jedenfalls wurde sie mit diesem Wesen nicht so warm wie mit dem, das sie zur Betreuung von Ursel vor sieben oder acht Jahren zur Seite gestellt bekommen hatte.

      Mit Anneliese, dem damaligen Pflichtjahrmädel verband sie auch noch eine herzliche Freundschaft, nachdem nicht nur der Krieg lange vorbei war, sondern auch noch viele Jahre danach. Aber Irmgard war einfach nicht so herzlich.

      Irmgard hatte auch eigene Ansichten über Kinderpflege. Sie war der Meinung, dass ein richtiger Junge hart gemacht werden müsste, damit er später auch einmal als Soldat seinen Mann stehen konnte. Schließlich musste ganz bestimmt nach dem Endsieg jedweder mögliche Feind in Schach gehalten werden.

      Ganz natürlich und unzweifelhaft brauchte Deutschland immer tapfere Soldaten, da es ja wegen seiner offenen Grenzen innerhalb Europas immer wieder gefährdet war. So wusste Irmgard auch, dass ein vereintes Europa unter deutscher Herrschaft sich nur verwalten ließ mit einer starken Armee, bestehend aus vielen tausend Soldaten, die dem Führerbild entsprachen vom hochgewachsenen germanischen Helden, der sich vor nichts und niemandem fürchtete. Blond war ich ja, aber ob ich sonst noch irgendwann einmal dem Idealbild vom hochgewachsenen Deutschen der Herrenrasse ähneln würde, war nicht so ganz einfach zu prophezeien oder überhaupt erkennbar. Irmgard konnte auch ganz und gar nicht verstehen, dass sie in einem Haushalt Dienst tun musste, deren Haushaltsvorstand nicht einmal Mitglied in der Partei war.

      Klar, dass Mutti sich mit diesem Mädchen nicht verstand. Für sie gab es ausschließlich eine heile Welt, in der der Krieg wirklich nur eine vorübergehende Erscheinung war, die sehr bald ein Ende haben müsste, wenn die Gerechtigkeit gesiegt hätte und der böse Feind endlich eingesehen hätte, dass die Deutschen doch so friedliebende Menschen seien, die sich nichts sehnlicher wünschten als mit ihrem Kaiser wieder in Ruhe und Frieden zu bestehen. Dabei müsste das deutsche Volk noch nicht einmal im Wohlstand leben, wenn nur Friede herrschte.

      Einmal gab es eine recht heftige Diskussion zwischen ihr und dem Mädel über Juden. Irmgard hatte behauptet oder dem Propagandaminister nachgeplappert, dass die Juden unser Unglück seien und eigentlich den Deutschen Geld und Arbeitsplätze stahlen, ohne als Untermenschen dazu berechtigt und fähig zu sein.

      Na, das wollte Mutti denn doch nicht so ganz unwidersprochen gelten lassen:

      „Also, Irmgard, da weiß ich aber nicht, ob ich Ihnen Recht geben kann. Wir hatten damals in unserer Nachbarschaft einen unheimlich netten und tüchtigen Zahnarzt, zu dem alle höchstes Vertrauen hatten. Und der war Jude. Können Sie mir vielleicht sagen, warum der ein schlechterer Mensch gewesen sein sollte als ein deutscher Zahnarzt?“

      „Ja, da sehen Sie doch, Frau Fiori, wie Sie sich selbst widersprechen“, erwiderte das junge Ding, wie Mutti das Mädel abfällig nannte, „Sie sagen selbst, dass er Zahnarzt war in einem von Deutschen bewohnten Wohnviertel. Da hat er doch schon deshalb nichts zu suchen, weil er schließlich einem deutschen Zahnarzt möglicherweise oder sogar ganz bestimmt den Arbeitsplatz weggenommen hat. Und dass er so beliebt war, hatte er doch wohl nur seinem schleimigen Wesen zu verdanken. Die Juden haben nur eines im Sinn, den Deutschen das Geld aus der Geldbörse zu locken, um am Ende die Herrschaft zu übernehmen. Natürlich schicken sie da auch Akademiker ins Land. Was sagen Sie denn dazu?“

      Tante Traute war da und unterbrach das Gespräch abrupt: „Hör mal, Gretel, ich wollte dir noch etwas ganz Wichtiges, Privates sagen. Kommst du mal bitte mit nach draußen, ich muss jetzt gehen!“ Mutti ging natürlich mit und musste sich folgende Gardinenpredigt anhören:

      „Gretel, du redest dich um Kopf und Kragen. Hast du den Verstand verloren? Du kannst doch nicht irgendeinen jüdischen Menschen vor diesem Mädchen verteidigen. Die bringt dich hinter Schloss und Riegel! Sag bloß nichts mehr! Gib ihr einfach Recht oder schweig, wenn es dir zu schwer fällt!“

      „Was soll denn daran schlimm sein, wenn ich einen Menschen verteidige, den ich sehr gut kannte, der darüber hinaus wirklich unheimlich nett war und von dem nie jemand ein Wort darüber vernommen hatte, dass er Jude wäre oder anders dachte?!“

      „Ach, Gretel, bei dir ist auch Hopfen und Malz verloren, sei in deinem ureigensten Interesse bitte, bitte ruhig, wenn es um politische Themen geht oder um Juden. Das ist heutzutage wirklich äußerst gefährlich da eine Meinung zu vertreten, die von der Meinung des Führers abweicht! Bitte glaube mir!“

      „Na, ja, wenn du wirklich meinst. Ist ja vielleicht jetzt in Kriegszeiten auch ein wenig anders als sonst. Ich kann das gar nicht glauben, dass der Führer es mit irgendjemandem hier in Deutschland schlecht meinen könnte. Er hat doch bisher so viel Gutes bewirkt.“ „Ja, das ist eine Meinung, die du freilich immer wieder aussprechen darfst, aber widersprich deinem Pflichtjahrmädel nicht!“ ermahnte Tante Traute noch einmal sehr eindringlich.

      Mutti resignierte: „Ja, wenn du meinst, obwohl es mir ganz gehörig gegen den Strich geht, ausgerechnet dieser dummen, kaltschnäuzigen Pute nicht meine Meinung sagen zu dürfen!“

      Deshalb war Mutti gar nicht böse darüber, als Oma und Tante Erna sie und die Kinder einluden, die Osterferien in Bad Godesberg zu verbringen. Dort konnte man so herrlich Spaziergänge am Rhein entlang unternehmen, konnte in Omas großem Garten sitzen, über den Rhein mit der Fähre zum Drachenfels fahren, jedenfalls in aller Ruhe die Ferien genießen und musste nicht dauernd von einer übereifrigen, jungen und dummen Parteigängerin im eigenen Haus daran erinnert werden, dass der Nationalsozialismus Hass predigte.

      So, wie Mutti es erreicht hatte, dass ihr ein Mädel zugesprochen wurde, so schaffte sie es auch ohne Probleme und lange Wartezeiten, diesen Quälgeist wieder loszuwerden,

      Sie erklärte vor dem zuständigen Amt, dass sie aus gesundheitlichen Gründen und wegen der Entwicklung des Kleinen sehr häufig verreisen müsste und deshalb so selten zu Hause sei, dass sie ganz bestimmt dieses Mädel weder betreuen könne noch deren Hilfe wirklich in Anspruch nehmen.

      Nun war sie zwar eine tüchtige und kräftige Haushaltshilfe los, aber sie war glücklich darüber. Sie hatte aber auch keine Hemmungen, die Hilfe von Freundinnen und Nachbarinnen in Anspruch zu nehmen, wenn ihr bestimmte Arbeiten im Haushalt entschieden zu schwer waren.

      Ganz besonders aber half ihr eine gute Bekannte und Nachbarin, mit der sie sich schon zur Zeit der Geburt meiner Schwester angefreundet hatte. Das war eine kleine, gutmütige und resolute etwas ältere Dame, die von Mutti wegen ihrer auffälligen Korpulenz nur Dickerchen genannt wurde, obwohl sich die beiden Frauen niemals duzten. Dickerchen war eine ganz wahre Parteigängerin und dem Führer und seiner Partei äußerst treu ergeben. Auch hatte sie einen unversöhnlichen Hass auf Juden entwickelt. Eigentümlicherweise mochte Mutti aber diese Frau besonders und sprach deshalb niemals mit ihr über Politik und ihre Meinung dazu. Ganz anders als bei dem „jungen Ding“ verzieh Mutti dieser Freundin sofort alles, auch wenn ihr manche Äußerung gegenüber Juden oder Ausländern enorm gegen den Strich gingen.

      Dickerchen packte auch tatkräftig zu im Haushalt, wuchtete schwere Möbel, wenn es erforderlich war, putzte auch schon mal den Flur, wenn Mutti sich gesundheitlich dazu nicht in der Lage fühlte. Dickerchen konnte auch anstreichen, und da sie selbst einen Sohn hatte, der schon viel älter war als meine Schwester, konnte sie auch im Hinblick auf die Versorgung des kleinen Jungen eine wertvolle Hilfe sein. Sie gab auch keine dummen Ratschläge im Hinblick auf die Entwicklung des Knaben sondern fand diese ganz normal.

      Und genau das empfand Mutti natürlich als wohltuend nach den erstaunlich vielen Ermahnungen seitens der besten Freundin Traute.

      Natürlich bemühte Mutti sich nach Kräften, die Hilfe und Freundlichkeiten vom „Dickerchen“ wieder gutzumachen. Dazu lud sie sehr häufig zum Kaffe ein, buk dann einen Tortenboden, der meistens mit Sauerkirschen belegt wurde, oder einen festen Kuchen. Oft gab es auch einen selbstgebackenen Hefestuten, den sie besonders gerne und auch gut backen konnte. Ganz sicher aber wurde nach dem Kaffee ein Likörchen oder ein Schnäpschen gereicht.

      Nach Muttis Meinung gehörte das einfach zum guten Ton. Mutti kredenzte grundsätzlich diese alkoholischen Gaben in der Verniedlichungsform, die ihr sowieso die liebste war, wenn sie mit jemanden sprach, den sie gut leiden

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