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Augenpaare blickten erstaunt in ihre Richtung.

      Dann wurde ich vorgestellt als ebenfalls Neuer. Ich sollte kurz erzählen, welche Fächer ich bevorzugte, in welchen Fächern ich unterrichten konnte und durfte und ganz kurz meine persönlichen Daten nennen, wie Alter, Familienstand und ähnliches. Sofort danach wurde mir dann eröffnet, was ich schon wusste, dass ich die achte Klasse von Frau Wein übernehmen sollte, weil diese aus dem aktiven Dienst ausschied. Alle sahen mich mitleidig an. Gleichzeitig sprach Frau Kern auch von ihrem großzügigen Angebot, die Klasse im Fach Deutsch zu teilen, um mir die Arbeit zu erleichtern. Dann war ich dran:

      „Schönen Dank, dass Sie mir in der Eingangsphase meiner Tätigkeit in diesem Kollegium so helfen wollen. Aber ich habe schon häufiger Problemklassen als Klassenlehrer anvertraut bekommen und bin daher ein alter Hase. Gerade im Fach Deutsch aber bin ich der Meinung, dass eine Teilung sich nachteilig auswirken würde, nicht nur auf die Leistungen der Schüler sondern auch auf die pädagogische Arbeit in der Klasse. Deshalb danke ich herzlich für das Angebot, möchte aber gerade im Fach Deutsch darauf verzichten!“

      Klar, dass ein so eingebildeter Lehrer, der ein Hilfeangebot ablehnt, reichlich suspekt ist. Das musste ja ein blasierter Affe sein, ein Besserwisser und Alleskönner, jedenfalls einer, den man mit Vorsicht zu genießen hatte. Sofort verwandelte sich alles Mitleid in den Blicken in blankes Misstrauen. Hätte ich doch nur geschwiegen oder zumindest anders begründet, nicht so selbstgefällig.

      Natürlich war es eine erhebliche Erleichterung, nur eine halbe Klasse in diesem umfangreichen Fach zu unterrichten, schon allein beim Korrigieren von Klassenarbeiten war es ein ganz beachtlicher Unterschied im Zeitaufwand, ob man nun fünfzehn oder dreißig Arbeiten nachsehen musste. Also versuchte ich noch zu retten, wenn es denn noch etwas zu retten gäbe: „Natürlich weiß ich, dass ich nur sehr schwer einen vernünftigen Deutschunterricht gestalten kann, wenn die Klasse derart groß ist, aber ich kann mir auch vorstellen, dass es für das Kollegium doch eine erhebliche Mehrbelastung ist, wenn zwei Kollegen gleichzeitig zusätzlich im Stundenplan eingeplant werden müssen. Ich weiß aus Erfahrung, wie schwer es schon ist, andere Parallelstunden, wie Differenzierung oder Religion zu organisieren. Das ist eigentlich der Hauptgrund, warum ich Ihr freundliches Angebot nicht annehmen möchte.“

      Na ja, es klang schon etwas sehr wie Entschuldigung, kam auch nicht so ganz überzeugend von meinen Lippen. Das Misstrauen jedenfalls war keineswegs überwunden.

      So fuhr denn Frau Kern auch fort, mich dem Kollegium vorzustellen mit dem mir zugedachten Aufgabenbereich:

      „Herr Fiori ist Beratungslehrer und wird auch bei uns in dieser Funktion tätig sein. Was genau sein Aufgabenbereich ist, wird er uns jetzt bitte selbst erklären. Bitte Herr Fiori!“

      Das war eigentlich das schwerste, und ich hatte mir alle möglichen Ideen zurechtgelegt, wie ich mich jetzt diesem Kollegium als neuer Beratungslehrer verkaufen konnte. Dabei durfte ich keineswegs den Fehler machen, irgendwie überheblich zu wirken, was vielleicht mit dem Begriff Beratung assoziiert werden konnte. Allzu viel konnte und durfte ich auch nicht erzählen, um nicht zu langweilen.

      Was war eigentlich das wichtigste für mich und was würden die Kolleginnen und Kollegen gerne von mir hören? Am besten erzählte ich ein wenig von meiner Ausbildung und nannte im Laufe dieses Vortrages vielleicht einige Einzelbeispiele, wo Beratung durch einen gesondert ausgebildeten Beratungslehrer besonders gut und wichtig war:

      „Zuerst möchte ich etwas von meiner Ausbildung erzählen, die insgesamt zwei Jahre gedauert hat und mit einer Abschlussprüfung endete. Damit dürfte auch schon klar sein, dass ich nur einen kurzen Abriss aufzeigen kann und nicht das gesamte Spektrum der Ausbildung. Zunächst ist es ganz wichtig, dass ich als Beratungslehrer in besonderer Weise lernen musste, aufmerksam zuzuhören und die Sorgen und Belange eines Ratsuchenden zu verstehen. Danach musste ich lernen, ein sogenanntes Beratungsnetz aufzubauen, das bei Problemen, die ich nicht allein mit dem Ratsuchenden lösen kann, den Ratsuchenden auffängt. Schwerpunkte der Beratung können zum Beispiel Probleme eines Schülers, einer Schülerin sein im häuslichen Umfeld, die von Misshandlungen bis hin zu sexuellem Missbrauch reichen.

      Doch nicht nur die Kinder sind das Klientel, das von mir beraten werden will oder soll sondern auch die Eltern, die so große Erziehungsschwierigkeiten haben, dass sie sich damit hilfesuchend an einen Fremden, in diesem Fall an den Beratungslehrer wenden.

      Ganz besonders aber bin ich ausgebildet, Kolleginnen und Kollegen zu helfen, wenn diese Probleme haben mit auffälligen oder auch weniger auffälligen Schülern. Dabei geht es natürlich nicht darum, dass ich als Superlehrer fertige Lösungen präsentiere, dann wäre ich wirklich unterbezahlt, wenn ich das könnte. Sondern es geht darum, im Gespräch mit dem Kollegen, das Problem so einzuengen, dass wir gemeinsam erkennen können, wie eine mögliche Lösung aussehen könnte.

      Also das, was ich hauptsächlich gelernt habe, ist, ganz besonders gut zuzuhören und Probleme im Gespräch analysieren zu können. Was auf keinen Fall zu meiner Ausbildung gehörte, war das Erteilen von guten Ratschlägen. Ich möchte hier und heute aber keinen langweilen, möchte deshalb es bei dieser Kurzfassung bewenden lassen und hoffe, dass meine Dienste auch häufig in Anspruch genommen werden!“

      Überzeugend war das nicht, was ich da geboten hatte. Der erste Einwand war dann auch, dass gutes Zuhören auch zur allgemeinen Ausbildung eines jeden Lehrers gehörte und dass man bisher sehr wohl auch ohne Beratungslehrer ausgekommen wäre. Und dann kam die entscheidende Frage, die die Stimmung in diesem Kollegium klar aufzeigte und eine entscheidende Wende brachte im Verhalten mir gegenüber und in der Beurteilung meiner Funktion.

      Herr Gärtner stellte die Frage: „Was haben Sie denn davon, wenn Sie hier als Beratungslehrer tätig sind? Bekommen Sie mehr Geld? Haben Sie dafür weniger Stunden zu unterrichten? Oder machen Sie das frank und frei ehrenamtlich?“

      Die Antwort kam von Frau Kern: „Herr Fiori erhält für seine Beratungstätigkeit an unserer Schule drei Stunden Zeit, die von seiner Unterrichtstätigkeit abgezogen werden. Wir müssen übrigens noch klären, Herr Fiori, wie Ihre Beratungstätigkeit dann in unserem Stundenplan zu integrieren ist.“

      Die dann folgende Reaktion von Herrn Gärtner hatte ich allerdings nicht erwartet. Er reklamierte laut und fordernd, dass er doch dann viel besser als Beratungslehrer geeignet sei. Gut zuhören könne er allemal und mit drei zusätzlichen Freistunden hätte er auch das Zeitlimit und die Ausdauer dafür. Und überhaupt hätte er wie kaum ein anderer Kollege oder eine andere Kollegin wohl am meisten verdient, um drei Unterrichtsstunden entlastet zu werden, wieso ausgerechnet ein neuer Kollege, den man nicht einmal kenne.

      Schützenhilfe kam nicht etwa von der Schulleiterin, sondern von der neuen Konrektorin. Sie wies Herrn Gärtner darauf hin, dass er ja gerne die aufwändige zweijährige Ausbildung zum Beratungslehrer, die im übrigen zusätzlich zur Unterrichtszeit zu absolvieren sei, machen könne. Sie selbst hätte diese, dürfe aber als Konrektorin nicht als Beratungslehrerin tätig sein, wollte das aber auch überhaupt nicht. Denn die drei Stunden Ermäßigung würden bei weitem keine Entschädigung darstellen für die viele Mehrarbeit, die ein Beratungslehrer zu leisten hätte.

      Ich versuchte noch, das neue Kollegium zu beruhigen mit der Erläuterung, dass mir die drei Freistunden aus dem Topf der Regierung zustünden und keineswegs dem Kollegium fortgenommen würden. Aber der Neid in den Blicken der anderen war unübersehbar, drei Stunden Entlastung hätte jeder gern!

      Ich hatte in meiner bisherigen Lehrerausbildung und Laufbahn schon manches Kollegium kennen gelernt, so etwas aber noch nie erlebt, dass offen geneidet wurde, wenn ein Kollege möglicherweise einen Vorteil hatte durch seine Ausbildung oder seine Fächerkombination oder wie in meinem Fall jetzt ein scheinbare Entlastung.

      Sicher wurde seit einigen Jahren in allen Schulen darum gerungen, wie ein Kollegium ein Freistundenkontingent aufzuteilen hatte. Es wurden jedem Kollegium freie Stunden zur Verfügung gestellt, die nicht ausreichten, um jedem eine freie Stunde zu gewähren. Das Kollegium selbst musste dann entscheiden, wer durch seine Tätigkeit so stark belastet war, dass ihm eine Entlastungsstunde zu geben sei. Dabei wurde dann schon mal recht heftig diskutiert, ob jemand, der Klassenlehrer war und Deutsch unterrichtete, grundsätzlich entlastet werden müsse, oder ob ein Naturkundelehrer, der für Physik, Chemie oder Biologie aufwändige

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