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Schlag doch zu! Autobiografie. Harald Fiori
Читать онлайн.Название Schlag doch zu! Autobiografie
Год выпуска 0
isbn 9783738095890
Автор произведения Harald Fiori
Издательство Bookwire
Tatsächlich war durch diese Aktion ein Misstrauenskeim gesät, der nicht mehr so leicht zu beheben war. Auch mir wurde nicht mehr das absolute Vertrauen entgegengebracht, das ich bei den Schülern in der kurzen Zeit bereits erworben hatte. Dadurch wurde das Unterrichten nicht gerade leichter.
Drei Monate nach meinem unglücklichen Start gewann ich wieder einige Sympathien im Kollegium, als mir selbst eine leichte Verletzung zugefügt worden war.
Während der Geschichtsstunde diskutierten wir darüber, wen wir mehr oder weniger gebildeten Menschen mit der Wahrnehmung unserer Interessen beauftragen würden, wenn es um politische Belange ging. Wir wollten unsere politische Wirklichkeit vergleichen mit der Situation, wie Menschen sie zur Zeit der Vorbereitung auf die französische Revolution vorgefunden hatten. Bei dieser Diskussion ging es wie immer in meinen Geschichtsstunden sehr lebhaft zu.
Plötzlich öffnete sich die Klassenzimmertür, als ich gerade einige wichtige Bemerkungen an die Tafel schrieb. Ich spürte die Bewegung mehr als ich sie hörte und drehte mich schnell um.
Abdul, der Marokkaner verschwand durch die Tür. Er saß immer weit fort von der Tafel unmittelbar neben dem Eingang. Sofort danach hörte ich heftiges lautes Streiten und die ängstliche Stimme von Abdul. So schnell ich konnte stürmte ich nach draußen, wo ein junger Mann von meiner Schätzung nach etwa achtzehn oder neunzehn Jahren den Schüler festhielt, beschimpfte und gerade schlagen wollte. Neben den beiden standen weitere vier Jungen, die ich nicht kannte.
Sofort warf ich mich todesmutig zwischen die Streithähne, forderte den Unbekannten auf, meinen Schüler sofort freizugeben und das Schulgelände zu verlassen.
Ich bekam zur Antwort, in etwas gebrochenem Deutsch, ich solle mich nicht einmischen, denn es ginge mich nichts an.
Das wollte ich aber nicht auf mir sitzen lassen:
„Lassen Sie jetzt sofort den Jungen los. Selbstverständlich geht es mich hier etwas an, wenn in meiner Unterrichtsstunde ein Fremder kommt und meinen Schüler aus dem Klassenraum holt. Erst recht geht es mich etwas an, wenn dann auch noch mein Schüler in meiner Gegenwart von einem Fremden geschlagen werden soll. Deshalb fordere ich Sie jetzt in aller Form auf, den Jungen sofort freizulassen!
Und außerdem mache ich von meinem Hausrecht Gebrauch und fordere Sie ebenfalls auf, sofort das Schulgelände zu verlassen. Haben Sie mich verstanden?“
Der junge Mann tobte nur: „Schreien Sie mich nicht an, sonst passiert was!“
Das brachte mich ausnahmsweise in Wut: „ Ich lasse mir doch von Ihnen nicht den Mund verbieten!“
Und noch lauter brüllte ich ihn an: „Merken Sie sich, ich bin hier zu Hause und nicht Sie. Deshalb schreie ich auch hier so laut, wie es mir passt!“ Hätte ich mich mal lieber ein wenig zurückgenommen.
Denn im gleichen Augenblick ließ der Fremde von Abdul ab und trat mir mit einem Bein recht kräftig gegen den Bauch. Mir blieb im Moment die Luft weg. Aber der junge Mann und seine Begleiter hatten es wohl mit der Angst bekommen und verschwanden wortlos durch die Eingangstür zu unserem Unterrichtspavillon. Ich war ziemlich benommen von dem Schreck und auch vor Schmerz.
Deshalb schleppte ich mich stöhnend zum Lehrerpult vor der Tafel, setzte mich und stützte den Kopf in meine Hände. Mit stockender Stimme bat ich die Kinder, sich einen Augenblick ruhig zu verhalten, bis ich mich wieder erholt hätte.
Ausgerechnet Thomas, der eigentlich immer wieder versucht hatte, mich im Unterricht zu provozieren, lief hinaus. Ich hatte nichts bemerkt, weil ich wegen des Schmerzes die Augen geschlossen hielt.
Er kam einige Minuten später mit Frau Kern zurück. Ich musste ganz schön blass ausgesehen haben.
Denn Frau Kern ließ sofort noch eine Kollegin holen, Frau Knabe, die gerade eine Springstunde hatte und im Lehrerzimmer saß. Während Frau Kern selbst in meiner Klasse blieb und den Unterricht fortsetzte, brachte mich Frau Knabe zu nächsten Krankenhaus. Dort wurde ich gründlich untersucht, wobei ich mich langsam vom Schock erholte.
Frau Knabe war zurückgefahren zur Schule. Nach allen Untersuchungen, Röntgen, Ultraschall und ähnlichem, war es schon Mittag und ich ging zu Fuß zurück zur Schule, da ich Gott sei Dank nicht wirklich ernsthaft verletzt war.
Dort hatte bereits eine für den Tag angesetzte Lehrerkonferenz begonnen. Ausnahmsweise wurde ich mit Applaus empfangen. Man unterbrach sogar kurz die Konferenz, um von mir zu hören, was genau geschehen war und wie es mir jetzt ging. Ich erklärte nach der Schilderung, dass ich Anzeige gegen Unbekannt gemacht hatte.
Allerdings konnte ich diese Anzeige sehr bald schon konkretisieren, da sich herausstellte, dass der Angreifer ein ehemaliger Schüler war, der schon vor Beginn der Konferenz durch Befragung von den Kolleginnen und Kollegen identifiziert worden war. Es handelt sich um den siebzehnjährigen Libanesen Ali Nuri, der wohl schon zur Zeit seines Schulbesuches an dieser Schule kein unbeschriebenes Blatt gewesen war.
Allein die Tatsache, dass ich so konsequent war, eine Anzeige wegen vorsätzlicher Körperverletzung zu erstatten, stärkte überraschend mein lädiertes Ansehen im Kollegium.
Wie konnte es nur zu solcher Gegnerschaftshaltung gekommen sein zwischen Schülern und Lehrern? Schüler und Lehrer wollten doch wirklich das gleiche erreichen, mussten deshalb eigentlich immer an einem Strang ziehen, auch wenn manchmal natürlich die Kinder nicht sofort die Notwendigkeit einer Unterrichtung oder einer Beurteilung einsehen konnten, wenn sie nicht ihrem Wunsch entsprachen!
Zwei Tage später sprach mich ein libanesischer Schüler an, den ich noch nicht kannte: „Herr Fiori, ich möchte Ihnen sagen, dass es dem Ali Nuri sehr leid tut, dass er sie getreten hat. Er bittet Sie um Entschuldigung. Könnten Sie vielleicht die Anzeige zurückziehen?“
Zunächst war ich perplex. Wie kam der Junge dazu, sich zum Fürsprecher zu erklären. Ich fragte nach: „Wie kommst du dazu, dich für den Jungen einzusetzen? Bist du mit ihm verwandt?“
Er druckste herum: „Nein, aber wir kennen uns sehr gut. Sein Bruder ist auch an dieser Schule. Er ist in Klasse fünf. Ich bin in seiner Klasse. Bitte nehmen Sie doch die Entschuldigung an, sonst muss Ali vor Gericht und wird vielleicht abgeschoben und muss Deutschland verlassen. Vielleicht sogar die ganze Familie. Wollen Sie denn das?“
Was sollte ich dazu sagen: „Natürlich möchte ich das nicht. Aber, warum kommt der Ali nicht selbst zu mir und entschuldigt sich? So gefällt mir das überhaupt nicht, dass du für ihn die Kastanien aus dem Feuer holst. Ist der Ali zu feige? Sag ihm bitte, er soll selbst kommen und sich entschuldigen. Dann überlege ich mir die Sache vielleicht!“
Damit war die Angelegenheit für mich erledigt. Zwei Tage lang hörte ich nichts mehr davon. Dann kam das freie Wochenende, an dem ich mich mit Unterrichtsvorbereitungen und Korrekturen von den Strapazen der Unterrichtswoche erholen konnte.
Doch am Montag war der libanesische Junge schon wieder bei mir. Erst jetzt erkundigte ich mich nach seinem Namen. Er hieß Semi Elsaim und erklärte:
„ Herr Fiori, der Ali kann nicht zu Ihnen kommen. Er hat ja auch Hausverbot hier und darf die Schule nicht betreten. Aber der Polizist hat ihm gesagt, dass er sich vielleicht schriftlich entschuldigen könnte. Nehmen Sie eine schriftliche Entschuldigung an?“
Was sollte ich dazu nun sagen?
Meine erste Wut war lange verraucht. Die Verletzung am Bauch Gott sei Dank weder schwerwiegend noch nachhaltig. Ich dachte darüber nach, dass ich den Jungen mit meiner Brüllerei auch ein wenig provoziert hatte. Ganz sicher aber wollte ich nicht, dass eventuell eine ganze Familie des Landes verwiesen wurde und in ein Krisengebiet zurück musste, nur weil ich zu hart reagiert hatte. Also sagte ich zu, dass ich eine schriftliche Entschuldigung akzeptieren wollte und dann die Anzeige zurücknehmen würde. Auch hatte mich zu dieser Haltung gebracht, dass offenbar selbst ein Polizeibeamter dem Angreifer helfen wollte.
Schon am nächsten Morgen vor Unterrichtsbeginn fing mich Semi ab und überreichte mir einen kleinen Zettel von der Größe eines halben Din-A-5-Blattes, auf dem in ungelenken Buchstaben zu lesen war:
„Seher gehäehrter Heer Fiori, bite endschuldigen Sie, ich habe