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und nicht zu solchen Neidergüssen, wie ich sie hier in dieser ersten Konferenz im neuen Kollegium erleben durfte.

      Bei diesen Gedanken fiel mir ein Gespräch ein, das ich unlängst mit einem Freund geführt hatte. Er war Bilanzbuchhalter und konnte nicht verstehen, dass sein Schwager, ein Realschullehrer, für eine Stunde weniger pro Woche demonstrierend auf die Straße gegangen war. Er glaubte doch, dass man eine Stunde mehr oder weniger pro Woche wohl leicht auf einer Backe absitzen könne. Ich gab ihm recht für seinen Beruf, da ich auch in diesem Beruf über einige wenige Erfahrungen verfügte.

      Aber ich versuchte leider fast chancenlos, ihm zu erklären, dass eine Unterrichtsstunde mehr oder weniger schon eine ganz enorme Belastung oder auch Entlastung bedeutete, etwa vergleichbar in seinem Beruf mit vielleicht vier Arbeitsstunden. Ob er denn auch die auf einer Backe absitzen würde. So richtig überzeugt hatte ich ihn damals nicht.

      Jedenfalls war die erste Konferenz, die ich in diesem Kollegium erleben durfte, nicht sonderlich anregend oder gar erfreulich. Trotz aller Gegensätze und persönlicher Stellungnahmen, kam die Konferenz letztendlich nach sehr langer Dauer zu einem Ergebnis.

      Ich selbst war damit zufrieden, hatte die meisten Stunden in meiner neuen Klasse, einige wenige Religionsstunden in anderen Klassen und einen kleinen Legasthenie Kurs im fünften Schuljahr. Ich freute mich auf meine neue Aufgabe. Auch wenn mir prophezeit worden war, dass ich in meiner Klasse erhebliche Schwierigkeiten bekommen würde.

      Es war allerdings halb so wild, wie ich es mir schon gedacht hatte. Die erste Frage, die ich beantworten musste, war die Frage nach meinem Alter, das ich freimütig bekannte. Danach kam dann die wirklich enttäuschte Antwort, warum sie denn immer so alte Lehrer bekämen. Ich konnte nur damit kontern, dass doch alte Lehrer viel mehr Erfahrung hätten und ich selbst auch innerlich jung geblieben wäre und mir Mühe geben wollte, mein Alter nicht anmerken zu lassen. Ich hatte nicht den Eindruck, dass dieses Argument überzeugend war. Schließlich hätte ich selbst auch nicht daran geglaubt.

      Die Klasse bestand aus siebzehn Mädchen und vierzehn Jungen. Von den Mädchen waren neun deutsch, drei türkisch, drei afghanisch, eines marokkanisch und eines bosnisch. Bei den Jungen sah es so aus: fünf Türken, drei Libanesen, drei Deutsche, ein Marokkaner, ein Tamile und ein Russlandaussiedler.

      Von allen einunddreißig Kindern hatten dreiundzwanzig irgendwann einmal eine Klasse wiederholt, manche auch zwei. Ein türkisches Mädchen und ein türkischer Junge waren zu Beginn des letzten Schulhalbjahres von der Sonderschule für Lernbehinderte in die Klasse gekommen, weil sie an der Sonderschule sehr gute Leistungen gebracht hatten und versuchsweise in der Regelschule ihren Hauptschulabschluss machen sollten. Der Junge war bereits achtzehn Jahre alt, das Mädchen war mit siebzehn Jahren die älteste Schülerin in der Klasse.

      Von den deutschen Kindern gehörten drei zu sogenannten asozialen Familien, die Eltern waren zum Teil Alkoholiker, ein Elternpaar galt als Stadtstreicher. Sieben der Deutschen wuchsen in Familien auf mit allein erziehenden Müttern, nur zwei kamen aus sogenannten normalen, ordentlichen Familienverhältnissen. Alle Ausländerkinder wurden in Familien groß, in der beide Elternteile zusammenlebten und ein Familienleben mit mehreren Geschwistern gepflegt wurde.

      Ich lernte die Kinder kennen als sehr lernwillig und wissbegierig. Schnell hatten wir abgesprochen, dass ich vor einer Unterrichtseinheit mit ihnen besprechen und diskutieren würde, warum diese Einheit überhaupt im Unterricht behandelt würde, welchen Nutzen sie jetzt oder im Erwerbsleben später davon hätten, oder auch, welche nichtkognitiven Lernziele damit erreicht werden konnten.

      Diese Art der Vorabstimmung war den Kindern neu, aber sie gewöhnten sich sehr schnell daran und hatten das Gefühl, irgendwie an der Auswahl der Unterrichtsinhalte aktiv beteiligt zu sein. Das förderte die Lernmotivation und nahm Störenfrieden jeglichen Grund. So hatte es sich in der Klasse schon sehr schnell eingebürgert, dass die Schüler in meinen Unterrichtsstunden sich selbst zu Ruhe und Aufmerksamkeit ermahnten, wenn mal jemand aus der Reihe tanzte. Geradeso war ich es bisher in allen meinen Klassen gewöhnt, und es klappte auch hier in dieser Lerngruppe ganz ausgezeichnet.

      Nur von Kolleginnen und Kollegen wurde mein Tun argwöhnisch beobachtet. Man konnte es einfach nicht glauben, dass ich mit dieser doch immer schon als schwierig geltenden Klasse keinerlei Probleme hatte. Immer häufiger wurden Beschwerden geäußert von Fachlehrerinnen oder Fachlehrern über zu großen Lärm in der Klasse oder zu geringer Beteiligung oder mangelnden Fleiß oder auch zu viel Dreck im Klassenraum. Allerdings bekam nicht ich diese Klagen zu hören, sondern ausschließlich die Schulleiterin, die sie mir kopfschüttelnd weitergab.

      Für mich ergab sich immer die Frage, ob ich nun getadelt werden sollte ob dieser Missstände oder ob die Schüler bei mir anders reagierten als bei anderen Lehrpersonen. Keineswegs konnte es aber doch so sein, dass ich hier als Superlehrer tätig geworden war, als der ich mich eigentlich auch niemals irgendwo gefühlt hatte.

      So gab es denn auch bald ein ernstes Problem, weil sich zum Beispiel die Konrektorin, die Mathematik im Grundkurs in dieser Klasse erteilte, von einem libanesischen Jungen angegriffen fühlte.

      Sie hatte ihn aufgefordert, doch sehr schnell sein Heft aus der Tasche zu nehmen, als er es nicht so schnell fand, wie sie es erwartete.

      Nicht gewohnt, dass ausgerechnet eine Frau ihm nun in barschen Ton Befehle erteilte, hatte er versucht, mit einem Scherz die Situation zu mildern, indem er Frau Alster leicht an die Schulter fasste, dabei ihre lange Halskette in die Hand nahm und sagte, dass er natürlich sein Heft schon längst gefunden hätte, wenn er es auch an einer so schönen Kette befestigt hätte. Er verehrte nämlich diese Lehrerin und wollte ihr auf diese Weise ein Kompliment machen.

      Frau Alster spürte nur die unerwünschte Berührung, hörte nicht auf seine Worte, und sah rot, als sie sich wütend losmachte. Dabei blieb ihre Kette an der Hand des Jungen hängen und riss.

      Es war nicht so ganz einfach für mich, in diesem Fall eine Lehrerkonferenz abzuwenden. Nicht nur Frau Alster bestand darauf.

      Sondern auch fast sämtliche Kolleginnen und Kollegen, die natürlich von dieser Ungeheuerlichkeit umgehend unterrichtet worden waren, beknieten mich, in diesem Fall doch wirklich hart und präventiv durchzugreifen. Die Lehrerkonferenz wurde deshalb für erforderlich gehalten, damit der Junge die möglichst härteste Strafe erhalten könnte, die überhaupt für solche Fälle als Ordnungsmaßnahme verhängt werden konnte.

      Nur die reuige von mir initiierte Entschuldigung des Unglücksraben ließ die so beleidigte und bedrohte Kollegin herab, von der Lehrerkonferenz abzusehen und sich mit einer Klassenkonferenz zu begnügen.

      Dort wurde der Fall noch einmal in aller Ausführlichkeit dargestellt und Walid wiederholte seine ernst gemeinte Entschuldigung. Frau Kern war bei der Konferenz als Schulleiterin anwesend, obwohl sie nicht in der Klasse unterrichtete und eigentlich auch nicht zum Personenkreis gehörte, die zu dieser Konferenz eingeladen werden musste.

      Ich hatte zum ersten Mal den Eindruck, dass es gar nicht so sehr darum ging, zu einer gerechten Maßnahme für den Schüler zu kommen, sondern mehr darum, festzustellen, wie ich, der Superlehrer, mit solchen Situationen umgehen wollte.

      Ich war durchaus in der Lage, den Vorfall so zu schildern, dass ein neutraler Beobachter die Lächerlichkeit der gesamten Aktion sofort durchschauen konnte. So blieb nach der milden Ordnungsmaßnahme in Form eines schriftlichen Verweises auch nur die Schlussrede von Frau Kern.

      Sie ermahnte den Schüler ausdrücklich, dass ein Verhalten der körperlichen Annäherung an eine Lehrperson und eine Anbiederung in dieser Form, auch wenn nett gemeint, auf gar keinen Fall geduldet werden dürfte und der Respekt vor den Lehrern sonst verloren ginge. Insofern kam sie, mit einem leichten Seitenhieb auf mich zu der Schlussfolgerung, dass diese Ordnungsmaßnahme für dieses schwere Fehlverhalten viel zu milde ausgefallen wäre.

      Damit hatte ich, kaum im Kollegium begonnen, meinen Ruf weg, den ich auch in den nächsten Jahren nicht verlieren sollte. Ich galt fortan als kollegenfeindlicher Schülerfreund. Denn in diesem Kollegium herrschte ausnahmsweise von einer kleinen maßgeblichen Mehrheit der Kolleginnen und einiger weniger männlicher Kollegen, die Minderheitenmeinung vor, dass Schülerinnen und Schüler die natürlichen Feinde der Lehrerschaft seien.

      Trotzdem blieb ich für mich

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