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hatte mich zu einem Gespräch gebeten, um mich ein wenig vorzubereiten. So jedenfalls hatte sie die Einladung begründet:

      „ Herr Fiori, Sie kommen zu Beginn des neuen Schuljahres an eine Schule, die nicht ganz unproblematisch ist. Deshalb bin ich froh, dass ich gerade Sie zur Verstärkung in dieses Kollegium schicken kann. Sie haben den Ruf, ordentlich zupacken zu können und hartnäckig Ziele zu verfolgen. Dank Ihrer Stärke hoffe ich, mit einem gewissen Klüngel in diesem Kollegium aufräumen zu können. Aber ich warne Sie, es wird keine leichte Aufgabe. Sie werden ein Kollegium finden, das nicht gerade sehr umgänglich gegenüber neuen Kollegen ist. Ferner herrscht ein Umgang mit Schülerinnen und Schülern, der aus pädagogischer Sicht nicht immer begrüßenswert ist. Frau Kern, die Schulleiterin ist zwar außerordentlich fleißig und engagiert, aber leider viel zu schwach, sich durchzusetzen, wenn es um neue Wege geht oder auch nur um Konsequenzen, die gezogen werden müssten. Aber ich möchte Sie nicht zu sehr beunruhigen, deshalb zähle ich jetzt auch keine Einzelheiten auf. Das würde Sie vielleicht zu sehr einengen. Sie werden schon sehr schnell merken, was dort los ist. Gerade Sie als ausgebildeter Beratungslehrer aber haben ganz besonders das Zeug und die Fähigkeiten, dort ein wenig zu ändern. Ich werde Sie unterstützen, wann immer eine solche Unterstützung von Ihnen eingefordert wird. Jedenfalls wünsche ich Ihnen einen guten Start an der für Sie neuen Schule! Haben Sie jetzt noch irgendwelche Fragen?“

      So etwas hatte ich noch nie gehört, dass mich schon vorher ausgerechnet ein Vorgesetzter auf Missstände aufmerksam machte, die ich möglichst ändern sollte. Natürlich hatte ich Fragen:

      „ Ganz bestimmt habe ich dazu Fragen, Frau Steiger. In welcher Hinsicht muss dieses Kollegium beraten werden? Sind die Kolleginnen und Kollegen zu hart und mit Androhung von Strafen zu streng mit der Schülerschaft, oder sind sie zu lasch? Gibt es im Kollegium untereinander Streit? Wenn ja, worum geht es hauptsächlich? Gegen wen muss sich Frau Kern dann durchsetzen? Gibt es eine Clique, die man dann viel besser von oben her, also von Ihrer Seite her sprengen müsste?“

      Mit ihrer Antwort war ich keineswegs zufrieden:

      „Von all dem, was Sie jetzt hier als Befürchtungen ausgesprochen haben, ist dort ein wenig zu finden. Also eine echte Aufgabe für einen gestandenen Mann wie Sie. Mehr kann und möchte ich Ihnen jetzt nicht dazu sagen! Bis zum nächsten Gespräch heiße ich Sie also Herzlich willkommen an Bord!“

      Damit war ich entlassen. Das war ja herrlich! Eine echte Aufgabe wartete auf mich! Hatte mich so etwas jemals abgeschreckt? Natürlich war ich neugierig auf das, was da auf mich zukommen sollte. Gab es da etwa Kämpfe zu befürchten? Aber war ich noch stark genug zum Kämpfen? Wollte ich überhaupt kämpfen oder lieber meine Ruhe haben? Wie wurde ein Kampf dort geführt, wenn es überhaupt dazu kam? Ich war jetzt fünfzig Jahre alt. Spielte das eine Rolle an dieser Schule? Wie alt waren die Kolleginnen und Kollegen? All diese Fragen konnten nur eine Antwort finden, wenn ich mich an Ort und Stelle erkundigte.

      Mein nächster Weg führte mich zu Frau Kern. Sie war eine kleine zierliche Frau mit einer äußerst leisen Stimme. Sie hieß mich herzlich willkommen. Sie freute sich angeblich auf unsere Zusammenarbeit und lud mich ein zur nächsten Lehrerkonferenz, auf der über die Zusammenstellung der Klassen gesprochen werden sollte und über Wünsche zum Stundenplan und überhaupt die Planung des kommenden Schuljahres. Dann glaubte sie wohl, mich ein wenig vorbereiten zu müssen:

      „Es ist geplant, dass Sie eine achte Klasse übernehmen müssen, weil die jetzige Klassenlehrerin zum Ende des Schuljahres aus dem Dienst ausscheidet. Wären Sie wohl damit einverstanden?“

      Was sollte ich darauf antworten: „Natürlich bin ich einverstanden. Ich habe gerade an der letzten Schule eine achte Klasse als Klassenlehrer begleitet. Ich denke, hier wird es nicht viel anders zugehen als dort. Also, das ist mir recht lieb!“

      So ohne weiteres wollte sie mir nicht recht geben:

      „Die Klasse ist äußerst schwierig. Es sind voraussichtlich einunddreißig Kinder in dieser Klasse. Deshalb werde ich vorschlagen, dass Sie zum Beispiel den Deutschunterricht in der Klasse nicht alleine durchführen müssen, sondern ein zweiter Kollege oder eine Kollegin sich mit Ihnen den Unterricht teilt. Denn das werden Sie wohl kaum schaffen allein. Sie sind doch Deutschlehrer und wollen auch weiter in dem Fach unterrichten, wenn ich das richtig in Ihren Unterlagen gelesen habe?“

      Dieses Ansinnen befremdete mich außerordentlich. Wer jemals längere Zeit unterrichtet hatte an einer öffentlichen Schule, musste sehr schnell gemerkt haben, dass Schüler trotz aller ständiger Ermahnungen und guten Ratschläge grundsätzlich nur für den Lehrer lernten, niemals für sich, selten für ihr eigenes Ziel, schon mal, um etwas kurzfristig zu erreichen. Wenn aber zwei Lehrpersonen parallel gleichzeitig das gleiche Thema im Deutschunterricht behandelten, würde niemals das gleiche Ergebnis erzielt werden können. Mal würde die Klasse besser für den einen Unterrichtenden lernen, mal für den anderen. Vergleichbar wären dann weder Leistungen noch Lernerfolge.

      Auch die Kinder selbst würden total verunsichert, wüssten nicht, auf wen oder was sie sich besonders konzentrieren müssten. Was geschah zum Beispiel, wenn einer der beiden einmal nicht anwesend wäre? Würde dann ein Vertretungslehrer noch zusätzlich eingesetzt? War es überhaupt möglich, das Lerntempo beider Klassenhälften so zu koordinieren, dass beide zu gleicher Zeit am gleichen Ziel ankämen?

      Mir kam dieses Angebot mehr als seltsam und ungewöhnlich vor. Vor allen Dingen für die Schülerinnen und Schüler der Klasse wäre eine solche Teilung wahrscheinlich nur sehr schwer zu verkraften. Nach welchen Kriterien sollte überhaupt geteilt werden? Ich wollte all diese Fragen überhaupt nicht erst aufkommen lassen. Deshalb antwortete ich spontan, wenn auch nach einigen Minuten des Nachdenkens:

      „Nein, das möchte ich auf gar keinen Fall, Frau Kern. Mir erscheinen einunddreißig Schüler auch nicht zu viel. Ich hatte das große Vergnügen, immer mit Klassen umgehen zu müssen, die mehr als dreißig Schüler stark waren, auch schon mal fast vierzig. Das macht mir nichts aus, wenn kleinere Klassen natürlich auch angenehmer sind. Aber in dieser Hinsicht brauchen Sie keine Rücksicht auf mich zu nehmen! Ich kann mir nicht vorstellen, einen wirklich guten Deutschunterricht anzubieten, wenn dieser nicht in einer Hand liegt.“

      Etwas befremdet verzog sich das Gesicht meiner Gesprächspartnerin: „Ich dachte dabei auch vor allem an ihre Kolleginnen und Kollegen, die von einer Klassenaufteilung in einzelnen Fächern profitieren könnten, nicht nur an Sie!“

      Was sollte ich darauf erwidern: „Natürlich wäre dann Ihrer Meinung nach, auch in anderen Fächern an eine Teilung gedacht. Davon hatten Sie aber nichts gesagt. Nur gerade im Fach Deutsch halte ich eine Teilung absolut für ungeeignet. Und im Fach Deutsch wäre ich ja wohl ganz allein betroffen. Wie weit sich eine fachbedingte Teilung bewerkstelligen lässt in musischen Fächern oder im Sport oder in Fächern mit vielen handwerklichen Tätigkeiten, wie Technik oder Haushaltslehre, müsste hier vor Ort entschieden werden. In den Fächern Mathematik und Englisch müsste ja sowieso wegen der Differenzierung in E- und G-kurs geteilt worden sein, da es ja keine Parallelklasse gibt. Also ich sehe keine Notwendigkeit, die Klasse ausgerechnet im Fach Deutsch zu teilen!“

      Diese Antwort passte ihr ganz offensichtlich nicht, obwohl sie das nicht sagte. Sie verabschiedete sich recht kühl von mir und lud mich ein zur ersten Lehrerkonferenz, an der ich terminlich in ihrem Kollegium teilnehmen konnte für einen Nachmittag in der kommenden Woche.

      Natürlich ging ich hin. Denn erstens wollte ich einen guten Eindruck machen im neuen Kollegium, zweitens interessierte mich auch die Zusammensetzung, von der ich nun schon einiges ahnte oder auch argwöhnte nach diesem Gespräch mit der Schulleitung, und drittens glaubte ich nicht, gerade diese wichtige Konferenz versäumen zu dürfen, weil es in ihr darum ging, Stunden festzulegen und Belastungen für jeden einzelnen Kollegen und die Stundenplangestaltung.

      Mit mir ebenfalls zum ersten Mal in diesem Kollegium war eine neue Konrektorin anwesend. Sie war etwas älter als die Schulleiterin und körperlich genau das Gegenteil von dieser zierlichen Frau. Als sie aufgefordert wurde, etwas zu sagen zu ihrer Person, ihrem Werdegang und ihren Absichten im neuen Kollegium, sagte sie nur, dass sie zuerst einmal das Kollegium kennen lernen wollte, später würde dann auch sie etwas sagen. Irgendwie gefiel mir Frau Alster, besonders ihre burschikose Art. Sie machte wirklich einen robusten Eindruck, nicht

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