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„Also, meine Lieben, wenn ihr schon wieder auf die Lehrerkonferenz anspielen wollt, und jetzt alle Schülerinnen und Schüler ankommen und den Unterricht von Herrn Kraft boykottieren wollen, dann spiele ich nicht mit! Das könnt ihr euch von der Backe kratzen!“

      Beide protestierten heftig: „Nein das ist überhaupt nicht der Grund. Damit hat das absolut nichts zu tun. Wir wollen von Herrn Kraft weg, weil, na ja, weil die Jungen immer nach seinem Unterricht so blöd sind. Sie fassen uns an die Brust oder sogar an den Hintern oder vorne an. Ali hat sogar schon mal einen Besen genommen und mit dem Besenstiel versucht, einigen Mädchen vorne ins Geschlechtsteil zu stoßen!“

      Ich verstand immer noch nicht: „Was hat das denn aber mit Herrn Kraft zu tun? Ich werde mir die Jungen ganz gehörig zur Brust nehmen, da könnt ihr euch drauf verlassen! Das ist ja eine Erzschweinerei. Aber ich habe, ganz ehrlich, immer noch nicht begriffen, warum ihr deshalb aus dem Religionsunterricht von Herrn Kraft herauswollt?! Kann mir das jetzt mal eine von euch so erklären, dass auch ich das begreifen kann?“

      Katja fasste sich endlich ein Herz: „Also, das müssen Sie verstehen. Wir möchten nicht von Herrn Kraft geküsst werden. Das macht er nämlich mit den Mädchen aus Klasse 10.“

      So fragte ich: „Wieso, versucht er denn, euch zu küssen im Unterricht? Das höre ich jetzt zum ersten Mal. Stimmt das?“

      Melanie ergänzte: „Nein, das macht er natürlich noch nicht, aber wir denken, dass er das möchte. Er kommt immer so komisch nah während der Unterrichts. Dann berührt er einen von hinten mit dem Gesicht am Kopf oder er streicht, wie zufällig mit dem Arm über unsere Brust. Manchmal umarmt er einen auch ganz fest, angeblich, um beim Schreiben zu helfen. Jedenfalls ist uns sein Verhalten ganz unangenehm, und wir wollen nicht, dass es so weiter geht, oder wir eine schlechte Note bekommen, wenn wir uns seine Annäherungsversuche nicht gefallen lassen!“

      Allmählich wurde mir die Sache doch unheimlich. Herr Kraft war nicht gerade der Typ Kollege, der mir besonders sympathisch war. Einerseits sollte ich ihn von der Schulleiterin her beraten und mich in seine Situation versetzen, dabei wohlwollend seine Interessen beachten, andererseits verabscheute ich von ganzem Herzen das, was mir die beiden Mädel gerade anvertraut hatten. Hinzu kam, dass ich seine Art, ständig nach Strafen oder nach Polizei zu rufen ebenso nicht verstand und nicht teilte. Wie sollte ich mich da nur verhalten?

      Am liebsten würde ich öffentlich herausschreien, was für eine blöde Person er ist. Aber genau das konnte ein Bumerang werden. Denn er konnte jederzeit den Spieß umdrehen und behaupten, ich steckte mit den Schülern unter einer Decke und wollte ihn nur fertig machen. War das, was er mit den Mädchen da tat, schon als strafbare Handlung anzusehen? Hatte es Sinn, schon jetzt gegen ihn vorzugehen? Wichtiger schien mir tatsächlich, die Mädchen vor Übergriffen zu schützen. Das musste also zuallererst geschehen. Nur hatte ich noch nicht ganz verstanden, was die mehr als derben Späße der Jungen mit dem Verhalten von Herrn Kraft zu tun hatten. Wo war da irgendein logischer Zusammenhang?

      Diese Frage galt es zuerst zu klären: „Wo ist denn da ein Zusammenhang zwischen dem blöden Verhalten eurer Mitschüler und den unschönen Annäherungsversuchen von Herrn Kraft? Könnt ihr mir das auch noch erklären?“

      Dieses Mal ergriff wieder Katja das Wort: „Ja, haben Sie das denn nicht verstanden? Die Jungen kriegen das mit auch im Musikunterricht und machen sich lustig über diese dämlichen Berührungsspielchen von Herrn Kraft und meinen, wir hätten das gern. Dann spielen sie hinterher immer weiter und ärgern uns mit noch viel massiveren Übergriffen. Dabei fragen sie dann immer, ob uns das Spaß macht, wenn sie das machten. Oder ob wir es lieber von Herrn Kraft hätten. So, und deshalb wollen wir unbedingt von Herrn Kraft weg und wollen wenigstens nicht mehr an seinem Religionsunterricht teilnehmen! Bitte, bitte helfen Sie uns!“

      Das erschien mir tatsächlich wirklich erforderlich und das allerwichtigste im Augenblick. Wir vereinbarten, dass beide Mädchen schon am nächsten Tag einen schriftlichen Antrag von den Eltern mitbrächten, auch von ihnen beiden unterschrieben, dass alle damit einverstanden wären, demnächst am evangelischen Religionsunterricht teilzunehmen und nicht mehr am katholischen. Beide Mädchen versprachen feierlich mit ihren Eltern über die wahren Gründe für diesen Wechsel zu sprechen. Andererseits baten sie mich, das nicht an die große Glocke zu hängen, weil sie befürchteten, dass sich Herr Kraft fürchterlich an ihnen rächen könnte.

      Obwohl ich immer wieder danach einige Andeutungen bei der Schulleiterin machte, hatte sie nicht verstehen wollen, was die eigentlichen Gründe waren, für die mit ihrer Genehmigung durchgeführte Maßnahme eines Wechsels in meinen Religionsunterricht. Sie glaubte angeblich fest daran, dass es nur die Anhänglichkeit von Schülerinnen ihrem Klassenlehrer gegenüber war, die diese veranlasst hatten, einen Unterrichtwechsel zu beantragen.

      Mehr als ziemlich eindeutige Anspielungen aber wollte ich nicht machen, weil auch ich fürchtete, einen solchen Prozess nicht zu überstehen. Überdies hatte ich auch in meiner Ausbildung zum Beratungslehrer gelernt, gerade im Umgang mit derartigen Sachverhalten besonders behutsam zu Werke zu gehen und nur dann eine solche Verhaltungsweise offen zu legen, wenn absolut sicher war, dass ein Mensch mit diesen Veranlagungen auch wirklich überführt werden und vor allen Dingen von den Opfern seiner Tätigkeiten getrennt werden konnte.

      Ein Vorgehen gegen diesen Kollegen musste äußerst behutsam erfolgen. Doch auch eine von mir selbst initiierte Lehrerkonferenz, bei der eigentlich seine Neigung offen gelegt werden sollte, schlug ins Gegenteil aus, da ich selbst nicht genug Rückhalt im Kollegium hatte und besonders die Schulleiterin absolut nicht verstand, um was es eigentlich ging.

      Einer weiterführenden Maßnahme wurde ich zum Schluss des Schuljahres enthoben, da der Kollege aus persönlichen Gründen zum Schuljahresende aus dem aktiven Schuldienst ausschied. Damit war ich natürlich meine Sorgen los, nicht aber das Gefühl, hier vielleicht doch kläglich versagt zu haben.

      Aber auch so hatte ich reichlich Arbeit damit, musste auch innerlich damit fertig werden. Dazu war es hilfreich, in irgendeiner Form vernetzt zu sein, so dass ich wenigstens mit einem anderen Kollegen, auch Beratungslehrer, über mein Problem sprechen konnte, dem ich auch voll vertrauen durfte, weil auch er, wie jeder Beratungslehrer oder Berater zu besonderer Geheimhaltung verpflichtet war.

      Trotzdem kam ich der Bitte meiner Schulleiterin nach und sprach Herrn Kraft an: „Herr Kraft, manchmal habe ich den Eindruck, dass Sie Probleme damit haben, im Umgang mit den Schülern den richtigen Umgangston zu treffen. Jedenfalls scheint es so, dass Sie häufiger als andere Angriffen ausgesetzt sind. Gerne bin ich bereit, mich mit Ihnen zusammen zu setzen. Dann könne wir ja mal darüber sprechen, wie solche Dinge vielleicht von uns allen oder auch von Ihnen gelöst werden können, auch ohne Gewaltandrohungen.“

      Herr Kraft lief puterrot an, ließ mich fast nicht ausreden und reagierte sehr heftig:

      „Wenn ich mich mit irgendjemandem darüber unterhalten möchte, dann nur mit jemandem, bei dem ich eine kleine Chance sehe, dass ich meine Ansichten überhaupt zu Gehör bringen kann. Sie aber wären der letzte, mit dem ich über so etwas sprechen möchte. Bei Ihnen hätte ich ja nicht den Deut einer Möglichkeit, meine Meinung überhaupt vorbringen zu können. Nein, ganz bestimmt möchte ich mit Ihnen niemals ein Gespräch führen über Pädagogik und über den Umgang mit jungen Menschen oder Schülern!“

      Damit wandte er sich ab und ließ mich stehen wie einen Bettler.

      Schon vierzehn Tage später gab es wieder eine Lehrerkonferenz, initiiert von Herrn Kraft gegen den Schüler Ahmed. Meine Kinder aus meiner Klasse hatten also Recht behalten. Ich hatte natürlich eindeutig Vorurteile gegen Herrn Kraft und glaubte nicht ein einziges Mal daran, dass der Schüler Ahmed schuldig sein könnte, an dem, was ihm nun zur Last gelegt werden würde. Dabei wusste ich überhaupt nicht, worum es ging. Ich hatte nur gerüchteweise gehört, dass Ahmed Herrn Kraft tatsächlich tätlich angegriffen hätte.

      Herr Kraft trug vor, Ahmed hätte ihn völlig überraschend und ohne jeglichen Grund plötzlich auf der Straße angegriffen, als er gerade nach der letzten Unterrichtsstunde auf dem Heimweg gewesen wäre. Nur die Tatsache, dass einige Mädchen aus der zehnten Klasse ihm zu Hilfe geeilt wären, hätte Schlimmeres verhütet. Aber er hätte ja mit einer solchen Tat eigentlich rechnen müssen, nachdem was in der letzten Konferenz schon für Drohungen ausgesprochen

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