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sofort, als Herr Weinstein ihn dazu ermunterte:

      „Sie wissen doch genau, Herr Weinstein, dass ich niemals ein Buch von Ihnen erhalten habe. Deshalb kann ich auch keines mitbringen und auch keine Hausaufgaben machen, wenn Sie welche aus dem Buch aufgeben. Das habe ich Ihnen doch auch schon mehr als zehnmal gesagt, aber immer wieder hacken Sie auf mir rum Aber Sie hören sowieso nie zu, wenn ich was sage, ist ja auch viel zu laut bei Ihnen in der Klasse, wenn Sie da sind!“

       „Nun wird‘ mal nicht unverschämt!“ mischte sich sofort Frau Kern ein, „da merkt man doch, wie wenig Achtung du vor uns Lehrern und vor der Schule hast, wenn du hier schon so frech wirst, vor dem gesamten Kollegium! Außerdem hast du nur zu reden, wenn ich dich dazu auffordere! Und jetzt halt gefälligst deinen Mund. Von dir möchte ich jetzt nichts hören! Herr Fiori bitte!“ Ahmed wollte sofort auf diese Rüge reagieren, kam aber, so zurecht gewiesen, nicht dazu, weshalb ich das Wort ergriff:

      „ Ich habe den Ahmed selbst nicht im Unterricht, kenne ihn aber sehr gut vom Schulhof her. Wann immer ich Hofaufsicht hatte, ist mir Ahmed niemals unangenehm oder besonders aggressiv aufgefallen. Deshalb möchte ich darum bitten, dass er selbst ausreichend Gelegenheit erhält zu einer Stellungnahme.“

      Immer wieder bat der Dolmetscher um eine kurze Unterbrechung, damit er alles übersetzen könne. Alle Lehrerinnen und Lehrer trugen etwas dazu bei, um zu erklären, wie aggressiv Ahmed meistens sei. Der Schüler seines Vertrauens, Adnan Kayali erklärte kurz, dass Ahmed nicht angriffslustiger wäre als andere, dass er aber häufiger provoziert würde. Zum Beispiel würde Christian immer wieder den Ahmed als Dieb beschimpfen oder als Zigeuner oder als Hurensohn. Dann sähe Ahmed natürlich rot und würde zuschlagen. Aber das wäre doch auch sehr normal.

      Frau Kern meinte dazu zwar, dass sie selbst auch nicht ständig zuschlüge, wenn ihr danach zumute wäre. Deshalb fände sie das Verhalten von Ahmed auch gar nicht normal. Aber es wäre halt bezeichnend, dass auch der Schüler seines Vertrauens zugäbe, dass Ahmed häufig zuschlüge. Nun war Ahmed an der Reihe, selbst einmal zu den ganzen Vorwürfen Stellung zu nehmen:

      „ Ich gebe zu, dass ich an dem Tag, als wir den Spaß mit Herrn Kraft gemacht hatten, schon unheimlich wütend geworden war. Aber es war nicht so, wie Herr Kraft es erzählt hat. Wir hatten aus Spaß so eine Kette gemacht, um zu sehen, wie Lehrer darauf reagieren. Wir wollten natürlich keinen lange aufhalten oder am Gehen hindern. Wir haben auch mit anderen Schülern das so gemacht. Aber keiner hat so reagiert wie Herr Kraft. Er schwenkte sofort auf mich zu, stieß mit der linken Faust gegen meinen rechten Arm, packte mich dann mit der rechten Hand am Oberarm, dass es richtig weh tat, und knirschte mit den Zähnen. Er meinte, dass er doch wohl noch ein wenig stärker wäre und ich solle gefälligst sofort auf die Seite gehen. Aber er hat so leise gesprochen, dass es außer mir keiner hören konnte. Dann habe ich ihn angeschrieen, er soll mich loslassen. Da hat er dann gebrüllt, was mir einfiel, wo ich überhaupt herkäme, ich sollte wieder in den Libanon verschwinden, wo meine Mutter dann das Zelt putzen dürfte. Da wurde ich noch wütender und schrie, er sollte meine Mutter nicht beleidigen. Dann hat er mich weggeschuppt, dass ich fast gefallen wäre und hat gedroht, dass ich von der Schule fliegen würde und er eine Anzeige machen wollte. Ich habe vor lauter Wut alles Mögliche gesagt, was ich heute nicht mehr weiß. Dafür möchte ich mich auch entschuldigen, aber ich bin auch sehr stark provoziert worden.“

      Frau Kern ließ ihm noch Zeit, das seinem Vater zu erzählen in der Landessprache und sagte dann:

      „Du gibst also zu, dass du Herrn Kraft beschimpft hast und dass du ihn wohl auch bedroht hast. Wir dürfen jetzt dich, deinen Vater, deinen Bruder, den Dolmetscher und Adnan bitten, nach draußen zu gehen und zu warten, bis wir mit der Beratung fertig sind. Dann rufen wir alle wieder herein und verkünden, was wir beschlossen haben.“

      Während alle hinausgingen, redeten der Dolmetscher und Ahmed auf den Vater ein, wahrscheinlich um ihm zu erklären, was jetzt folgte.

      Dieses Mal hatte ich mich als erster gemeldet. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass es sich ganz genau so zugetragen hatte, wie Ahmed erzählt hatte. Deshalb nahm ich eindeutig Stellung für den Jungen:

      „ Immer wieder wurde jetzt von Ahmeds Fehlverhalten berichtet im Unterricht oder auf dem Schulhof. Dabei wurde betont, dass Ahmed nicht so ganz ordentlich ist in Hinsicht auf seine Hausaufgaben. Ich finde, dass sein sonstiges Verhalten eigentlich nicht in dieser Konferenz besprochen werden sollte, wenn es darum geht, den schwerwiegenden Vorwurf einer tätlichen Bedrohung zu behandeln.“

      Sofort mischte sich Frau Schalleer ein, ohne übrigens ausdrücklich von der Schulleiterin zum Reden aufgefordert worden zu sein:

      „Das ist doch wohl völliger Unsinn, Herr Fiori. Aber Ihre Einstellung ist ja weitgehend bekannt. Natürlich müssen wir uns ein Bild machen von dem Gesamtverhalten eines Schülers, über den wir hier verhandeln, sonst können wir wohl kaum zu einem gerechten Urteil kommen! Hier geht es darum, den unangenehmen Charakter eines auffälligen Schülers öffentlich darzulegen und zu berücksichtigen!“

      Frau Kern erteilte mir wieder das Wort: „Fahren Sie fort, Herr Fiori, aber Frau Schalleer hat natürlich recht, wir können das einmalige Fehlverhalten eines Schülers nur dann richtig beurteilen und würdigen, wenn wir auch sein sonstiges Benehmen in der Schule berücksichtigen. Im Übrigen fällen wir hier keine Urteile, Frau Schalleer, sondern wir beschließen über eine Ordnungsmaßnahme, wir sind ja keine Richter. Bitte, machen Sie weiter, Herr Fiori!“

      Mir tat der Junge schon leid, es hatte wohl wenig Zweck, hier für seine Rechte einzutreten, aber ich wollte es wenigstens versuchen:

      „Also, ich bin schon der Meinung, dass es für die Beurteilung eines einmaligen Fehlverhaltens nicht ganz so wichtig ist, wie der Junge sonst im Unterricht mitarbeitet oder ob er immer seine Hausaufgaben gemacht hat. Doch in diesem Fall möchte ich schon mein eigenes Erlebnis erzählen, das ich nur wenige Minuten vor Herrn Kraft mit Ahmed und der Gruppe gehabt hatte. Auch ich eilte zuvor am gleichen Tage hinüber in unser Zweitgebäude, als mir die Jungen, die eine Kette gebildet hatten, entgegen kamen und lachend sagten, dass ich dort nicht durch käme ohne etwas dafür zu tun.

      Ich setzte eine drohende Miene auf und rief, dass ich jedem eine Sechs geben würde, wenn ich nicht sofort durchgelassen würde. Die Jungen lachten über den Scherz und meinten, davon wären sie wenig beeindruckt, denn ich hätte sie ja in keinem Fach und könnte keinem eine Sechs geben.

      Also änderte ich meine Taktik und versprach dem, der mich auf der Stelle durchließe, eine Eins. Wieder lachten alle, aber sofort öffnete sich die Kette an mehreren Stellen, so dass ich ungehindert meinen Weg fortsetzen konnte. Einige fragten dann nur noch, hinter mir herrufend, in welchen Fächern ich denn die Einsen verteilen wollte. Ich antwortete fröhlich, in Chinesisch, Japanisch und Koreanisch, worauf die Jungen lachend weiter zogen und ihre Kette neu bildeten. Ich denke, wir sollten nicht jeden Scherz, den Schüler mit uns machen wollen, gleich als persönlichen Angriff aufnehmen.

      Das ist bis jetzt mein Haupteinwand gegen eine Ordnungsmaßnahme, die in dieser Konferenz beschlossen werden soll.“

      Sofort gab es wieder Wortmeldungen von mehreren Kolleginnen und Kollegen. Die Diskussion, die sich nun ergab, wurde sehr wenig sachlich geführt.

      Frau Schalleer wurde richtig böse: „Das ist doch mal wieder typisch. Herr Fiori ermuntert mit seinem unpädagogischen Verhalten Schüler ja gerade dazu, sich unverschämt und frech gegenüber uns Lehrern zu verhalten. Er hätte gleich energisch gegen diese Art der Scherze vorgehen müssen, dann wäre Herrn Kraft das nicht passiert! Es ist einfach unmöglich, dass Schüler die Frechheit besitzen, mit Lehrpersonen gleiche Spiele zu machen wie mit Mitschülern!“

      Frau Kern antwortete sofort: „Also, es geht hier nicht um Herrn Fiori und sein Verhalten gegenüber Schülern. Hier geht es darum, dass Ahmed unangemessen heftig Herrn Kraft gegenüber reagiert hat. Natürlich haben Sie Recht, dass Schüler sich nicht erlauben dürfen, mit Lehrern so zu spielen. Wir sind schließlich nicht ihre Eltern oder lieben Verwandten. Gott sei Dank nicht. Wir haben auch nicht zu klären, Herr Fiori, ob Herr Kraft sich vielleicht nicht ganz angemessen verhalten hat. Deshalb wollen wir wirklich tunlichst vermeiden, hier über Kollegen und ihre Reaktionen zu diskutieren.“

      Trotzdem wurde heftig weiter diskutiert, wie unverschämt

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