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jedes Kind dieses Alters, als das Vollkommenste und Schönste empfand, was ein Kind überhaupt erleben konnte. Was empfinden Kinder?

      Schöner Lehreralltag

      Ich hasste Lehrerkonferenzen, vor allen Dingen die, die sich ausschließlich mit der Bestrafung von renitenten Schülerinnen oder Schülern beschäftigen.

      Neun Jahre war ich jetzt an dieser Schule und hatte alle guten Vorsätze und Pläne mittlerweile begraben müssen. Das Kollegium war insgesamt nicht besser und nicht schlechter als andere auch, aber einzelne Cliquen gab es und einzelne Kolleginnen und Kollegen, die eigentlich als Schande für den Lehrerberuf zu bezeichnen wären. Leider gab es weder im Kollegium noch in der Schulleitung noch in der Schulaufsichtsbehörde Kräfte, die stark genug waren, gegen Machenschaften vorzugehen, die den Schulalltag und vor allem das Zusammenspiel von Lehrern und Schülern vergiften konnten.

      Zwar hatte ich noch nicht resigniert, war aber schon fast am Ende meiner Kräfte, die im Kampf gegen diese wenigen Störenfriede aufgebraucht worden waren. Auch neu hinzugekommene Kollegen vermochten nicht, das Betriebsklima zu verbessern. Und insbesondere die Häufigkeit von Klassen- und Lehrerkonferenzen zwecks Erteilung von Ordnungsmaßnahmen legten ein lebhaftes Zeugnis ab von der unheimlichen Spannung zwischen Lehrenden und Lernenden.

      Besonders eifrig in dieser Branche tat sich der Kollege Kraft hervor.

      Dabei hatten wir uns alle im Kollegium so gefreut, als dieser relativ junge Kollege an unsere Schule versetzt wurde. Endlich mal einer unter vierzig Jahren! Und dann auch noch mit der schwierigen Fächerkombination Musik und katholische Religionslehre.

      Doch im Verhalten war dieser junge Kollege älter als alle, die schon sehnsüchtig auf ihre Pensionierung warteten. Seiner Meinung nach hatten Schüler grundsätzlich nur zu gehorchen, Rechte hatten sie eigentlich keine. Was ein Lehrer anordnete, hatte den Charakter eines Gesetzes. Spaß von Schülern untereinander oder gar gegenüber Lehrpersonen waren unerwünscht. Wenn schon Spaß erlaubt war, dann ausschließlich Spaß, den der Lehrer machte und den nur er auch als Spaß empfand. Dabei war es selbstverständlich, dass Schüler über Lehrerspäße zu lachen hatten. Wäre doch gelacht! Ehrfürchtig hatte ein Schüler zu warten, bis er vom Lehrer angesprochen wurde, durfte nicht etwa zuerst das Wort ergreifen. Gedient hatte der Kollege nicht, also gab es keine Beziehungen zum Militär. Er hätte auch das entschieden abgelehnt.

      Denn sein Verhalten war nicht etwa militärisch, nur halt konsequent gegenüber unmündigen, zum Gehorsam verpflichteten Kindern. Ständig frustriert, dass genau diese Einstellung selbst bei anderen konservativen Kolleginnen und Kollegen nicht die erhoffte Zustimmung fand, war der junge Kollege auch deshalb keine besondere Bereicherung für das Kollegium, weil er in Folge dieser Frustration häufiger wegen Krankheit fehlen musste.

       Wieder einmal war es ihm gelungen die Schulleiterin zu bewegen, eine Lehrerkonferenz einzuberufen, um einen Schüler der Schule zu verweisen. Denn über einen solchen Verweis konnte und durfte laut Allgemeiner Schulordnung ausschließlich die Lehrerkonferenz entscheiden. Mit eingeladen waren außer allen Lehrern und Lehrerinnen der Schule die Eltern des Schülers, ein Schüler seines Vertrauens, in diesem Fall noch ein Dolmetscher, weil der Vater des Jungen Libanese war und der deutschen Sprache nicht mächtig. Der Vater war zwar nicht allein erschienen, wohl ohne seine Ehefrau, hatte aber noch einen älteren Sohn mitgebracht, den Bruder Ahmeds.

      Die Schulleiterin eröffnete die Konferenz:

      „Sehr geehrte Damen und Herren, liebes Kollegium und Schüler, wir müssen heute über einen wirklich traurigen Anlass konferieren, der eine Ordnungsmaßnahme nach der Allgemeinen Schulordnung zum Thema hat. Der Schüler Ahmed Hamdu hat sich in unmöglicher Art und Weise so verhalten, dass er erheblich den Schulbetrieb gestört hat. Die Schwere seines Vergehens machte auch eine Lehrerkonferenz erforderlich, weil diese wahrscheinlich zu beschließende Ordnungsmaßnahme nicht von der Klassenkonferenz beschlossen werden darf. Was nun im Einzelnen geschehen ist, wird jetzt Herr Kraft vortragen. Bitte Herr Kraft!“

      Herr Kraft setzte sich in Positur, würdigte weder den Schüler Ahmed noch seinen Familienangehörigen eines Blickes und begann:

      „ Vor drei Tagen wollte ich zum Musikunterricht in unser zweites Lehrgebäude hinüber gehen, als mir eine Horde von Schülern entgegen trampelte, die eine Kette gebildet hatten und mir den Weg versperrten. Eilig, wie ich war, versuchte ich diese Kette zu durchbrechen, als Ahmed plötzlich zornrot im Gesicht auf mich einschrie, ich solle gefälligst meine Dreckfinger von ihm lassen, sonst würde ich ihn mal kennen lernen. Dabei ballte er in eindeutiger Pose seine Faust. Ich wies ihn zurecht und machte ihn auf die Unmöglichkeit seines Verhaltens aufmerksam, als er plötzlich schrie, ich sollte gefälligst nicht seine Mutter beleidigen, ich wäre ein alter Faschist oder Nazi, so genau konnte ich ihn nicht verstehen.

      Jedenfalls drohte ich ihm sofort eine Maßnahme nach der Allgemeinen Schulordnung an und gebot ihm, sich schleunigst zu beruhigen und in seinen Unterricht zu gehen.

      Unter lautem Schimpfen, dessen Inhalt ich hier nicht wiedergeben möchte, weil ich sonst vor Scham rot würde, verzog er sich in provozierender Art in die meiner eigenen entgegengesetzten Richtung, ständig Drohungen gegen meine Person ausstoßend. Das ist der Grund, warum ich die Schulleitung darum gebeten habe, diese Konferenz einzuberufen. Gleichzeitig habe ich auch eine Anzeige bei der Polizei gemacht. Denn ich sehe beim besten Willen nicht ein, dass ich mich in dieser Form von Schülern, besonders nichtdeutscher Herkunft, bedrohen lassen muss. Wir wollen doch hier keine amerikanischen Verhältnisse haben. Es muss in diesem Fall ein Exempel statuiert werden!“

      Mehrere Kolleginnen meldeten sich zu Wort. Die Schulleiterin notierte kurz und forderte Frau Ahnschütz auf zu sprechen. Während es allgemein rumorte im Kollegium, meldete sich der Dolmetscher und bat darum, den Vorwurf von Herrn Kraft kurz übersetzen zu dürfen. Als er schnell auf Herrn Hamdu, den Vater des Delinquenten einredete, verfinsterte sich dessen Gesicht mehr und mehr. Er antwortete mehrmals dem Dolmetscher, der zum Schluss fragte, ob der Vater seinen Sohn zu diesen Vorwürfen befragen dürfe.

      Ahmed antwortet sehr kurz, und der Vater schien etwas beruhigt. Frau Kern, die Schulleiterin, wollte wissen, was die beiden gesprochen hätten. Der Dolmetscher erklärte, dass der Vater nur gefragt hätte, ob alles stimme, was Herr Kraft vorgetragen hatte. Ahmed habe geantwortet, das meiste wäre nicht ganz richtig. Er würde es später richtig stellen, wenn er dran sei.

      Nun forderte Frau Kern Frau Ahnschütz, die sich als erste gemeldet hatte, auf, ihren Beitrag zu leisten. Auch Frau Ahnschütz setzte sich in Positur, räusperte sich und begann:

      „Ahmed ist ein Schüler, der auch in meinem Unterricht dadurch auffällt, dass er häufig stört und vor allen Dingen aggressiv wird seinen Mitschülern gegenüber. Ihm ist ein solches Verhalten, wie Herr Kraft es vorgetragen hat, durchaus zuzutrauen und er soll es nur ja nicht abstreiten. Das glauben wir nicht.

      Hast du nicht neulich erst mit Christian eine Schlägerei anfangen wollen, Ahmed? Und das mitten im Unterricht?! Nein, ich will jetzt dazu nichts hören. Es hat mir gereicht, wie du ihn als Hurensohn beschimpft hast und noch dazu sofort mit der Faust auf ihn losgesprungen bist. Nur mit Hilfe von Saudin und Volker konnten wir dich zurückhalten. Auch ich bin der Meinung, dass Ahmed zu aggressiv ist und eigentlich auf unserer Schule nichts zu suchen hat. Ganz abgesehen davon, dass er auch nicht besonders gut aufpasst und häufig ohne Hausaufgaben zum Unterricht erscheint!“

      „Frau Penner, bitte“, forderte Frau Kern die nächste Kollegin auf, mir zunickend, weil ich mich an dieser Stelle zum zweiten Male meldete.

      Frau Penner wandte sich sofort Ahmed zu: „Na, da hörst du es auch von anderen. Hast du nicht erst vorgestern in der Hofpause ebenfalls vor dem Christian gestanden mit geballten Fäusten. Auch da konnte ich nur mit Mühe dich davon abhalten zuzuschlagen. Ich glaube wirklich, dass du lernen musst, dich zu beherrschen und unterzuordnen!“

      Herr Weinstein war dran: „Dass Ahmed übermäßig aggressiv ist, kann ich nur bestätigen. Aber auch uns Lehrern gegenüber ist er äußerst vorlaut. Erst neulich meinte er in meinem Physikunterricht, ich könne ihn mal. Ich sollte nicht dauernd auf ihm herumhacken. Dabei hatte ich nur zum zehnten Male festgestellt, dass er wieder einmal seine Unterlagen

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