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kam nicht in Frage, weil die alle evangelisch waren. Opa eigentlich auch, aber bei Opa war das eine Ausnahme. Mutti hatte auch gemeint, ich sollte mich mal richtig freuen auf den Ehrentag. Am Sonntag, dem 9. Februar 1941 war es dann so weit, genau sieben Tage nach meiner Geburt. Was machten die nur mit mir?! Nicht nur Windelpuck und alles Unbequeme wurde mir angezogen, nein nun musste es auch noch ein Taufkleidchen sein. War es vielleicht das, was meine Schwester schon vor sechs Jahren angehabt hatte? Alle waren da und es wurde viel erzählt, viel zu laut, störend. Mutti hatte sich auch fein gemacht, wurde aber in einem Stuhl geschoben, weil sie zu schwach war die ganze Strecke bis zur Taufkapelle zu laufen. Vati schob sie. Opa trug mich auf seinem Arm, und ich schlief mal vorsichtshalber ein. Der Weg durch die unterirdischen Gänge des Krankenhauses war recht unheimlich. Dann ging es ein Stück über die Straße, danach wieder in den Kellerzugang zum Elisabeth-Krankenhaus. Das Haus war katholisch und verfügte über eine eigene kleine Kapelle. Da ich schlief, bekam ich nicht mit, ob eine Orgel spielte oder ob nur gesungen wurde. Plötzlich wurde ich unsanft geweckt. „Na, was soll denn das? Was soll ich denn mit dem Wasser im Gesicht? Und das komische Gemurmel über meinem Kopf? Ba, nun schmiert der Kerl mir auch noch irgendeine Salbe ins Gesicht. Wie ekelhaft und unappetitlich!“ Opa und Tante Dorchen mussten auch etwas sagen. Ja, und dann war der Spuk auch schon vorbei. Man beglückwünschte Mutti und Vati herzlich, danach ging es durch alle Gänge wieder zurück in das Krankenhaus, in dem ich geboren worden war. Na endlich, die freundliche Schwester nahm mich in Empfang, zog mir die überflüssigen Sachen aus und legte mich in mein Bettchen. Irgend ein Kind schrie immer, sollte ich nun auch mal ein wenig schreien oder lieber schlafen. Na, ja erst mal etwas schreien, schließlich war ich doch unsanft aus meiner Gewohnheit gerissen worden. Dass ich als Zweitnamen den Vornamen Walter erhielt, war nicht wegen möglicher Bräuche, den Vornamen des eigenen Vaters an den Sohn zu vererben, sondern hatte den ganz einfachen Grund, dass es zur Zeit meiner Taufe keinen heiligen Harald gab. Als katholisch getauftes Kind musste ich aber als Taufnamen den Vornamen wenigstens eines Heiligen bekommen, um später dann diesen Namenstag feiern zu können. Ich hatte nie verstanden, warum ausgerechnet mein Vater mit dem Vornamen Walter ein Heiliger gewesen sein sollte. Vati war mit den ganzen Verwandten nach Hause gefahren, wo nett die Taufe gefeiert wurde. Mutti war in ihrem Zimmer im Krankenhaus geblieben und erschöpft sofort eingeschlafen. Sie hatte von der Taufe die geringste Freude gehabt. Nie wurde später auch davon Näheres erzählt. Mich hätte brennend interessiert, warum die Taufe unbedingt in so kleinem beengten Kreis in der kleinen beengten Kapelle im benachbarten Krankenhaus stattfinden musste. Aber darauf bekam ich nie eine Antwort. Sollte der Krieg und seine Auswirkungen eine Rolle gespielt haben, oder war es möglicherweise doch Geldmangel? Denn bei aller von Reichtum zeugenden Pracht der hochherrschaftlichen Möbel, war eigentlich immer eine besondere Art von Armut in unserer Familie sehr deutlich zu spüren, von der natürlich niemals offen geredet wurde. Schließlich hatte man ja einen Ruf zu verlieren. Und Armut war immer auch ein Zeichen von geringer Bildung und von geringer Herkunft, zumindest in den Augen unserer Familie.

      Geschichtliches und Wichtiges

      Das Hören von amtlichen Nachrichten gehörte zu den täglichen Pflichten guter deutscher Staatsbürger. Ganz bestimmt aber musste Vati, als eingezogener Soldat, immer auf dem neuesten Stand sein. Ob natürlich alles, was in der Welt passierte, so genau in den deutschen Nachrichten zu hören war, war nicht nur damals fraglich. Denn das ist eine altbekannte Weisheit: „Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst.“

      Aber nicht nur der Krieg machte es erforderlich, nicht immer die Wahrheit bekannt werden zu lassen, auch die Diktatur als solche verträgt sich nicht mit der absoluten politischen Wahrheit.

      Am Sonntag, dem 2. Februar 1941 konnte man zum Beispiel lesen oder hören, dass die schwedische Handelsflotte nach amtlichen Mitteilungen aus Stockholm seit Beginn des Krieges 111 Schiffe verloren hatte, 587 Seeleute waren getötet worden.

      In Zürich standen die beiden Gründer einer Kreditgenossenschaft vor Gericht, weil sie Gelder in Millionenhöhe veruntreut haben sollen. In der Zeitung der Militärs in Deutschland konnte man folgenden Artikel lesen:

      „Erfolge im Atlantikkrieg

      Aufgrund der großen britischen Überlegenheit zur See führt die deutsche Marine einen Krieg, der sich vornehmlich gegen die überseeischen Handelsverbindungen Londons richtet. Marine-Oberbefehlshaber Erich Raeder will möglichst viele gegnerische Handelsschiffe, die Nachschub für die britische Rüstungsindustrie an Bord haben, versenken. Sein Ziel ist es dabei, ‚eine Knappheit vor allem an Kriegsmaterial’ zu erreichen. Direkte Auseinandersetzungen mit gegnerischen Kriegsschiffen seien jedoch zu vermeiden.“

      Von den Briten unbemerkt, durchbrachen am 4. Februar die deutschen Schlachtschiffe „Scharnhorst“ und „Gneisenau“ die stark überwachte Dänemarkstraße und stießen in den Atlantik vor. Sie sollten Transport- und Versorgungsschiffe mit Frachtgut für Großbritannien angreifen.

      Nicht für alle bestimmt war folgende Nachricht: vom 5. Februar 1941:

      „Britische Flugzeuge starten erneut gegen deutsche Städte. Bei einem Angriff auf Düsseldorf sterben 35 Menschen im Bombenhagel.“

      Dagegen war wichtig für alle am 6. Februar, dass das Reichspropagandaministerium die Antiquaschrift als Normalschrift eingeführt hatte. Alle Druckerzeugnisse waren von diesem Tag an auf die lateinische Druckschrift umzustellen.

      Am 7. Februar wurde der bisherige Gau Koblenz-Trier in Gau Moselland umbenannt. In diesen Gau wurde Luxemburg eingegliedert, das seit Mai 1940 deutsch besetzt war.

      Am 8. Februar nahmen Griechenland und Großbritannien Verhandlungen auf über die Entsendung britischer Truppen in den gegen Italien kämpfenden Ägäisstaat.

      Am 9. Februar begann eine Großaktion deutscher See- und Luftstreitkräfte gegen britische Schiffe. Bis zum 12. Februar wurden 16 Schiffe versenkt.

       Und an diesem Tag fand meine Taufe statt !

      Am Freitag, dem 14. Februar kam ich nach Hause. Alles war nett geschmückt, Ursel hatte ein Bild gemalt und „Herzlich Willkommen“ darauf geschrieben. Mutti war total erschöpft, legte aber glücklich den kleinen dicken Kerl in das Kinderbettchen, das zunächst im Schlafzimmer aufgebaut worden war.

      Schnell war auch Tante Traute eingeladen, um nach dem neuen Erdenbürger zu sehen und gute Ratschläge zu erteilen, denn immerhin hatte sie jetzt zwei Monate Erfahrungsvorsprung, während Mutti doch sechs Jahre nach der Geburt ihres ersten Kindes nicht mehr so ganz genau wusste, was alles zu tun sei mit dem Säugling. Der Bengel machte aber auch irgendwie Sorgen. Er war einfach nachts zu oft wach, dafür schlief er dann morgens in der Frühe, wenn er trinken sollte.

      „Was ist denn richtig,“ lautete die bange Frage, „soll ich denn nachts aufstehen und den Jungen füttern? Soll ich ihn schreien lassen? Ich kann das aber nicht länger ertragen. Dann muss er in das Kinderzimmer!“

      Selbstverständlich wusste Tante Traute auf alles eine Antwort: „Natürlich darfst du auf gar keinen Fall nachts dem Schreien nachgeben, man darf ein Kind nicht verwöhnen, der soll sich von Anfang an an die Zeiten gewöhnen, die ihm vorgegeben werden. Schieb ihn ruhig ins Kinderzimmer! Dann hörst du ihn nicht und kannst ruhig durchschlafen. Morgens wird er dich schon wecken und dann auch richtig trinken. Er ist sowieso etwas zu dick und zu träge.“

      Also durfte ich nachts laut schreien, störte niemanden. Meine Mutter erzählte immer, dass ich morgens ganz ruhig in meinem Bettchen lag, ohne einen Pieps von mir zu geben und still mit meinen Händchen spielte. Was natürlich von Tante Traute als eigentümlich bezeichnet wurde und vielleicht auch behandlungsbedürftig. Auf jeden Fall müsste man den Kinderarzt fragen, auch wegen des viel zu dicken Kopfes des Knaben. Schließlich habe man immer schon geargwöhnt, dass mit dem Kind nicht alles ganz richtig sei.

      „Nachts allein im Kinderbett ist es sehr, ja ausgesprochen einsam. Wer nur kümmert sich um mich? Warum kommt niemand, wenn ich schreie? Hört mich denn niemand? Das Schreien ist völlig wirkungslos! Ich glaube, ich lasse es lieber. Wenn ich so allein bin, kann ich ja friedlich vor mich hinbrummeln, das macht müde. Irgendwann schlafe ich ein. Brauche ich denn wirklich den

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