Скачать книгу

Gefallene des Verlierervolkes arme irregeleitete Schweine sind, denen man eigentlich den Tod nicht gegönnt hat. Manchmal sind feindliche Soldaten auch Bestien in Menschengestalt. Was also gab es noch am ersten Februar 1941? Das Radio verkündete laut und eindringlich: „Bei den Ski-Weltmeisterschaften im italienischen Cortina d’Ampezzo ist deutsche Mannschaft die erfolgreichste der Welt. Immer noch erfolgreich ist der Vormarsch der glorreichen deutschen Armee, ob in Italien, in der Sahara oder im Süden Argentiniens unserem Flugstützpunkt auf Feuerland! Sieg Heil den deutschen Truppenverbänden!“ Dass sportliche Weltmeisterschaften ausgefochten wurden in diesen Kriegstagen, die nun schon fast zwei Jahre dauerten, wunderte mich immer wieder. Offenbar lebte man in Deutschland wirklich unbehelligt vom Krieg, nur die jungen Väter waren eben nicht zu Hause.Der Krieg fand woanders statt! Die Not und das Elend, das deutsche und italienische Truppen in das übrige Europa brachten, sogar nach Nordafrika und in den Vorderen Orient, betraf nicht die Menschen in der deutschen Heimat, die davon auch nichts hörten, sondern nur von den phantastischen Erfolgen der Verbündeten in einem Krieg, der nach Darstellung der Machthaber dem deutschen Volk aufgezwungen worden war. Natürlich wurde auch meine Geburt in der Zeitung erwähnt, nämlich wie vor allem bei gutbürgerlichen Familien üblich in der Zeitung unter Geburtsanzeigen. Dort stand zu lesen: Harald = Walter

       Ursel hat ein strammes Brüderchen bekommen.Dieses zeigen hocherfreut anWalter Fiori und Frau Margarete geb. Leggewie Essen, den 2. Februar 1941 Im Stillen Winkel 40 z. Zt. Huyssensstift

      Mein Vater war nicht in der Partei, wie er immer wieder betonte, später. Er war in Holland stationiert während der ganzen Zeit bis zum Ende 1945. Dort war er in irgend einer Schreibstube, was nicht verwunderte bei seinem Beruf.

      Am Samstag, dem 1. Februar 1941 war er jedenfalls zu Hause, obwohl Mutti immer gehofft hatte, ich wäre erst am 19. Februar, an ihrem eigenen vierzigsten Geburtstag zur Welt gekommen.

      In der Nacht zum Sonntag, dem 2. Februar 1941, war es dann soweit. Meine Geburt kündigte sich mit aller Macht an. Noch am Nachmittag durfte Ursel, meine Schwester, auf Muttis Bauch fühlen, wie ich mich bewegte. Aber nachts waren nur noch Mutti und Vati allein im Schlafzimmer.

      Um drei Uhr in der Frühe wurde Mutti sehr unruhig. Sie konnte nicht mehr schlafen. Plötzlich spürte sie einen kleinen Ruck im Unterleib, das Fruchtwasser ging ab. Vati stand auf und bestellte ein Taxi.

      Auch das kam mir immer sehr eigentümlich vor, dass man mitten im Krieg ohne Probleme ein Taxi bestellen konnte.Alle Taschen waren gepackt, Mutti konnte allein die Treppen hinuntergehen, nachdem der Taxifahrer geschellt hatte. Vati trug die Taschen. Ursel schlief, Opa Fiori war zu Besuch da, er wurde geweckt, damit er auf Ursel aufpassen konnte. Das Krankenhaus, das uns aufnahm, hieß Huyssensstift, ein damals ziemlich neues und recht modernes Haus. Mit der Geburt ging es sehr schnell. Vati wurde sofort nach Hause geschickt, nachdem er seine Frau abgeliefert hatte, und fuhr mit dem gleichen Taxi wieder zurück. Damals war es noch nicht üblich, dass Väter im Kreißsaal zusehen und tröstend das Händchen der Angetrauten halten durften bei der Geburt. Meine Mutter lag schneller im Kreißsaal, als sie selbst es beschreiben konnte. Dort bekam sie dann ein Pfeifchen, wie sie erzählte. Bis zur Geburt meiner eigenen Kinder konnte ich mir darunter nichts vorstellen, hatte aber das unbestimmte Gefühl, dass es der Mutter irgendwie half, über die Schmerzen der Geburt hinwegzukommen oder das Pressen zu erleichtern.Danach war alles gekommen wie im Sturzflug. Mutti hatte kaum gespürt, dass die einsetzenden Presswehen sehr rasant dafür sorgten, dass zuerst das Köpfchen aus dem Geburtskanal herausschaute und schon mit einer weiteren Presswehe der Körper des Säuglings herausschoss. Eine stark entwickelte Akro-Phobie meinerseits könnte vielleicht mit diesem Geburtsvorgang erklärt werden.Im Familienstammbuch auf der Seite 7 liest sich der Vorgang so: Zweites Kind: Geburtsregister Nr. 202 des Jahres 1941 G Geburtsschein. Vornamen und Familienname: --------------------------------------------------------------- ------------------------Harald Walter Fiori---------------------------- geboren am 2 ten Februar-------------------------1941 in Essen------------------------------------------------------- ---------------------Essen am 5. Februar-----------1 941 Der Standesbeamte In Vertretung Das runde Siegel mit den runenähnlichen Worteinträgen Standesamt in Essen ziert mittig ein Adler mit ausgebreiteten Schwingen, an dessen unterem Ende, also am Schwanz ein Kreis zu sehen ist mit einem Hakenkreuz in der Mitte des kleinen Kreises. Unleserliche Unterschrift

      Es ergibt sich die Frage, ob das Hakenkreuz, wie ich es interpretiert habe, tatsächlich unten in die Schwanzspitze gehört. Aus heutiger Sicht der deutschen Geschichte hätte es dort am besten seinen Platz gehabt und wäre von der deutschen Bevölkerung nie beachtet worden.Wann immer ein religiöses Zeichen oder religiöse Rituale und Gepflogenheiten zum Missbrauch herangezogen werden, sollten die Menschen aufschreien und den Missbrauch ablehnen, damit Diktaturen, ganz gleich welcher Art, sich nicht über angeborene Menschenrechte hinwegsetzen können, mit den Symbolen , die von Menschen verehrt werden oder wurden.Darunter ist eingetragen, dass ich am 9. Februar 1941 in der St. Hubertus-Pfarre (Huyssensstift) zu Essen getauft wurde. Darunter ein Siegel der Pfarrkirche. „Wie viele Eindrücke stürmen auf ein Kind ein, wenn es gerade zur Welt gekommen ist. Nichts ist mehr so warm und mummelig wie vor der Geburt. Warum bin ich nur so allein? Was schreit da dauernd? Bin ich das etwa selbst? Es ist so grell! Nein da kommt etwas. Am besten mache ich mal meinen Mund ganz klein und meine Augen ganz groß! Ah, da werde ich mollig und warm angelegt! Wie herrlich! Ich spüre heimeliges Herzklopfen! Etwas spricht beruhigend mit mir. Diese Stimme klingt schön, beruhigend, lieb und anheimelnd. Warme Haut!“„Warum trinkt der Junge denn nicht, Schwester? Er muss doch trinken!“ fragte bang meine Mutter, während sie vergeblich versuchte, mich anzulegen. „Der hat die ganze Zeit geschrieen, jetzt ist er zu müde zum Trinken“, lautete die Antwort. „Aber ich habe doch so viel Milch, Schwester, was soll ich denn damit machen. Wohin nur mit der ganzen Milch?“ klagte Mutti. Das Abpumpen war nicht gerade sehr angenehm gewesen, aber Bübchen, wie ich fortan genannt wurde, wollte einfach nicht trinken. Traute, meine Tante Traute, Muttis beste Freundin, wurde um Rat gefragt, immerhin hatte sie bereits am 5. Dezember ein süßes kleines Mädchen zur Welt gebracht, viel süßer und hübscher als der hässliche Glatzkopf, der in Muttis Armen lag, mit seinem Stiernacken, wie Oma Fiori gesagt hatte, „Wie entsetzlich, ein Stiernacken! Hoffentlich behält Oma nicht recht, hoffentlich wächst sich das wieder aus. Männer mit Stiernacken sind etwas Unangenehmes, etwas Hässliches!“ Tante Trautes Ratschläge trösteten wenig: „Das gibt sich, wenn ihr erst einmal zu Hause seid. Vielleicht ist der Junge ja auch nicht ganz normal, du solltest zum Kinderarzt gehen, sobald du wieder zu Hause bist!“ Doch das war nicht die einzige Schwierigkeit, die durch den Säugling entstand. Der Bengel musste getauft werden. Eigentlich kein besonderes Problem, sollte man annehmen. Aber Mutti war katholisch und das Krankenhaus, in dem ich geboren wurde, war evangelisch, nämlich das Krankenhaus der evangelischen Huyssensstiftung Warum nur war die Taufe so eilig? Warum musste sie unbedingt noch in der Klinik erfolgen? War es wegen des Krieges? War es damals üblich? Mutti gab nie eine plausible Erklärung dafür ab. Es war einfach nur eine sehr schnelle und aufregende Taufe.Die Taufe soll vor allen Dingen Kinder davor bewahren, vielleicht nicht ins Himmelreich zu kommen, wenn sie denn schnell sterben würden. Wenn man als Christ erzogen und immer wieder belehrt wurde, mutet das sehr eigentümlich an, weil doch gerade Kinder in ihrer Unschuld überhaupt nicht von Gott verstoßen werden, sondern in allen Ländern der Welt, so lehrt es das Christentum, von Gott liebevoll als Kinder Gottes, des Allmächtigen, ohne Wenn und Aber, angenommen werden. So lehrt es die Bibel. Aber möglich ist es natürlich, dass das Kind noch von der Erbsünde belastet ist, was immer man darunter zu verstehen hat. Ich selbst fühlte mich weder sündig noch belastet, noch bekam ich überhaupt wissentlich etwas von der ganzen Taufe mit. Wäre es anders müsste ich folgendes erzählen:Mutti hatte mir anvertraut, dass am Sonntag Taufe sein sollte. Da kämen alle Taufpaten und Verwandten, die noch Zeit hätten und es wäre überhaupt alles sehr feierlich und wichtig. Opa wäre ganz stolz auf seinen ersten männlichen Enkel und wollte deshalb unbedingt Pate werden. Eigentlich wäre es uns ja lieber gewesen, Onkel Jupp wäre Patenonkel geworden, weil Onkel Jupp der Lieblingsbruder von Mutti sei, aber leider bekäme Onkel Jupp keinen Urlaub. Onkel Jupp wäre gerade im Feldlazarett, wo er als Arzt eingesetzt war. Aber ich müsste auch unbedingt eine Patentante

Скачать книгу