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stellten sich auch die Polstermöbel im Wohnzimmer dar, ein Sofa mit Platz für vier Personen, zwei kleine Sessel und ein ganz hoher Sessel, dessen Besonderheit darin bestand, zwei nach innen gestellte Ohren am oberen Ende der Lehne zu besitzen, weshalb er von der Familie immer nur ehrfürchtig „der Ohrensessel“ genannt wurde. Dieser Sessel war der Lieblingsplatz meiner Mutter, die sich darin räkeln konnte, wie sie mochte. Allerdings sah ich sie nie nähend darin sitzen, weshalb auch das Nähtischchen im Wohnzimmer eigentlich an Bedeutung verlor. Meine Mutter konnte nicht nähen, sagte sie jedenfalls immer. Außerdem sei ihr diese Arbeit verhasst.

      Alle Polstermöbel waren mit rotbraunem Plüsch bezogen, reich gemustert, ähnlich wie die dunklen Holzmöbel. Vor dem Ohrensessel stand immer eine gepolsterte mit dem gleichen Plüsch bezogene Fußbank, so dass man im Sessel sitzend auch noch seine Bein ausstrecken und hoch legen konnte.

      Besonders zu erwähnen ist noch ein Blumen- oder Abstelltisch, etwa 1,30 Meter hoch, kreisrund mit einem Durchmesser von etwa dreißig Zentimetern. Das besondere an diesem Tisch war einmal das Wurzelholz, aus dem der Tisch bestand und zweitens die Intarsien, ein Blumen-, Orchideen-Ornament, in dem Tischrund. Alle Möbel zeugten von gutbürgerlichem Wohlstand oder gar Reichtum.

      Ähnlich gediegen wie das Wohnzimmer war auch das Schlafzimmer, furniert mit echter rustikaler Eiche, ebenfalls einem Inbegriff des Wohlstands in diesen Jahren. Es bestand aus einem dreitürigen hohen Kleiderschrank, dessen mittlere Tür einen Spiegel enthielt, was für die damalige Zeit etwas Besonderes war. Neben den beiden schweren, zwei Meter langen Ehebetten standen rechts und links Nachtschränkchen, die eine Tür und eine Schublade enthielten. Hinter der Tür des einen Schränkchen verbarg sich ein Nachttopf. An einer freien Wand glänzte eine Frisierkommode mit drei Schubladen und einem ovalen Spiegel. Auf der Kommodenfläche sah man eine mit goldenen Pflanzen bemalte Wasserkanne in einer Porzellanschüssel stehen, offensichtlich als Waschplatz bestimmt in Zimmern ohne fließendes Wasser.

      Die relativ kleine Küche beherbergte einen zweiteiligen Küchenschrank aus echtem Kiefernholz, dazu passend bedeckte die gegenüberliegende Wand ein einteiliger Schrank, auch Sideboard genannt, in denen sich alle sonstigen Töpfe, Pfannen und Geschirr, Bestecke und Küchenutensilien befanden, die in kleinem Haushalt fehlen dürfen. In der Mitte der Küche stand ein Tisch, ebenfalls aus Kiefernholz, jedoch in der Tischplatte ausgelegt mit einem robusten grün melierten Kunststoffbelag für diverse Arbeiten mit Messern oder anderen scharfen Gegenständen, natürlich leicht zu reinigen. Zwei dazu passende Küchenstühle luden zum Sitzen ein, obwohl es in unserer gutbürgerlichen Familie streng verpönt war, in der Küche zu essen oder sich auch nur niederzulassen, um zu plaudern. Dafür war ausschließlich das Wohnzimmer vorgesehen in Ermangelung eines gesonderten Speisezimmers, was eigentlich standesgemäß hätte vorhanden sein müssen. Außer Mutti werkelte nur das Pflichtjahrmädel in der Küche, das auch häufig für die Versorgung und Betreuung des kleinen Erdenbürgers und seiner Schwester eingespannt wurde.

      Alle diese besonders feinen Möbel waren beschafft worden aus der Mitgift meiner Mutter, die sehr reichlich ausgefallen sein musste. Vati selbst konnte als Sohn eines gehobenen Beamten keineswegs solche Reichtümer der jungen Ehe beisteuern.

      Dass er von der gutbürgerlichen Dynastie der Familie meiner Mutter überhaupt als Schwiegersohn akzeptiert worden war, hatte er nur der Tatsache zu verdanken, dass sein Vater als ein gehobener Postbeamter, ganz offensichtlich auch als dem gleichen Stande zugehörig anerkannt wurde. Er selber hatte allerdings ebenfalls einen recht guten und vor allen Dingen sehr höflichen und bescheidenen Eindruck gemacht und hatte eben mit seiner Schulbildung den strengen Auswahlkriterien der Familie standgehalten.

      Etwas weniger feudal ausgestattet war unser Kinderzimmer, das außer einem Bett für meine Schwester auch das Paidi-Kinderbettchen für mich beherbergte neben einem kleinen Kleiderschrank und zwei kleinen Kommoden.

      Dass es ein Paidi-Bett war, erwähnte meine Mutter immer wieder, weil diese Marke damals wohl als besonders wertvoll und auch teuer und solide galt.

      Im Kinderzimmer konnten wir außerdem ein Kinderstühlchen benutzen, mit am Boden entlanglaufenden Leisten mit einem Tischteil verbunden. Die Lehnen des Stuhles waren rund gebogen, die Tischplatte etwa sechzig Zentimeter im Quadrat. Das ganze Möbelstück war extrem niedrig, eben nur für kleine Kinder bis etwa sechs Jahren geeignet.

      Zur Wohnung gehörte dann noch eine Mansarde, die als Gästezimmer eingerichtet worden war.

      Sie spielte nur deshalb eine Rolle in den Erzählungen meiner Mutter, weil dort Opa Fiori residierte, wenn er uns besuchte.

      Opa Fiori war etwas ganz Besonderes, schon deshalb, weil er entgegen dem damaligen Trend tatsächlich den Kinderwagen seines Enkelkindes Harald schob, was zu der Zeit wohl sonst kein Mann tat, weil es als unmännlich galt.

      Am Tage vor meiner Geburt, Samstag, dem 01. Februar 1941, hatte mein Vater Wochenend-Urlaub bekommen, der später als richtiger Urlaub verlängert wurde, so dass er meine Schwester beaufsichtigen konnte während des Krankenhausaufenthaltes meiner Mutter.

      Vati, wie er von meiner Schwester und später auch von mir genannt wurde, war als Soldat in Holland stationiert und dort wohl in irgend einer Schreibstube tätig. Laut Aussagen meiner Mutter war er Offizier, laut seinen eigenen Aussagen Fähnrich.

      Auf den wenigen vorhandenen Fotografien aus jener Zeit ist zu erkennen, dass er auf den Schulterstücken den Dienstrang eines Unteroffiziers trug. Nicht zu erkennen ist auf dem Ärmel der Uniform, ob ein Sternchen darauf hindeutet, dass er tatsächlich Offiziersanwärter war wegen seiner Schulbildung, der so genannten Primareife , von der er später häufiger sprach. Aber selbstverständlich hätte es nicht zur guten Bürgerlichkeit gepasst, wenn mein Vater tatsächlich „nur“ Unteroffizier gewesen wäre.

      Das weltbewegende Ereignis meiner Geburt hatte so sehr wenig Weltbewegendes, dass es überhaupt nicht erwähnt wird in Geschichtsbüchern oder sonstiger Literatur.

      Man stelle sich vor, ein so wichtiger Mensch wie ein Lehrer wird geboren, und niemand weiß das. Selbst ich hatte keine Ahnung davon. Nicht nur davon, dass ich Lehrer werden würde, nicht einmal von meiner Geburt. Eigentlich ist das ein schier unglaubliches Phänomen, dass ein Mensch vom eigentlich wichtigsten Ereignis in seinem Leben aus eigener Erinnerung nichts weiß. Alles lernt er später kennen aus Erzählungen anderer, was mit der Geburt und den ersten Lebenstagen im Zusammenhang steht. Hätte ich Erinnerungen an meine Geburt, könnte ich wohl Folgendes erzählen:

      „Wohlgeborgen schwimme ich hier in warmer Flüssigkeit, von Liebe umgeben. Doch was ist das!?! Was stößt hier so entsetzlich? Warum wird mein Kopf nach unten gedrückt? Hilfe, Hilfe, nun verschwindet auch noch das wohltuende Bad um mich herum! Gott sei Dank ist es noch warm, aber viel trockener. Hört doch auf zu drücken! Das ist ja fürchterlich aufregend! Ah, nun werde ich ruhiger! Aber nein, ihr wollt mich doch nicht dort Kaputtdrücken! Was soll das? Hier ist kein Platz für meinen Kopf! Hilfe, Hilfe, Hilfe! Mein Kopf wird zerquetscht. Aus, nein wie kalt! Ich falle, nein ich stürze! Nichts hält mich auf, warum werde ich nicht gehalten? Ich stürze, ich stürze! Hilfe! Doch nun hält mich was, es tut weh. Was ist das für ein Geräusch oder was merke ich da? Ah, nun werde ich gehalten, etwas Wärme umgibt mich. Endlich! Wo bin ich? Was bin ich?“Mutti hat an den Geburtsvorgang leicht andere Erinnerungen. Der erste oder zweite Februar 1941 war weder weltgeschichtlich noch heimatgeschichtlich von irgendwelcher besonderen Bedeutung. Sicher, man weiß, dass dieses Jahr ein Kriegsjahr war, noch das zweite Kriegsjahr, um genau zu sein. Man weiß vielleicht auch, dass zu diesem Zeitpunkt die deutsche glorreiche Armee auf dem Vormarsch war, zumindest verkündeten die deutschen Medien, hauptsächlich der Volksempfänger, mit dem alle Familien ausgestattet waren, auch gutbürgerliche, genau immer wieder dieses. „Die deutschen Truppen erringen Siege an allen Fronten.“ Dabei wurden auch lobend die Vormärsche der Verbündeten, der Italiener und der Japaner, erwähnt, die Gebiete eroberten, von denen man in Deutschland nur Kenntnisse hatte, wenn man ein gebildeter Mensch war und gut im Geographieunterricht aufgepasst hatte. Aber alles Übrige war schon etwas wenig erwähnenswert. Man merkte auch in Deutschland nicht so sehr viel davon, dass Krieg war, obwohl man sich schon wundern musste, dass es nicht immer alles zu kaufen gab, was man früher in Friedenszeiten bekommen konnte. Es ist ein eigentümliches Phänomen des Krieges, dass die Sieger im eigenen Land niemals hören, welches Leid angerichtet wird,

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