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immer war es ein Schnäpschen, ein Cognäcchen, ein Wacholderchen, Likörchen oder Magenbitterchen, von denen sie selbst ein bis drei Fußbädchen trank.

      So gerne Mutti Besuch zuhause empfing, so gerne machte sie auch Besuche. So war es kein Wunder, dass sie in wenigen Jahren einen sehr großen Bekanntenkreis auf der Margarethenhöhe in Essen hatte. Mit allen Damen verband sie eine herzhafte Freundschaft.

      Fast immer wurde ich mitgenommen und vorgezeigt. Schon früh lernte ich, alle lieben Tanten mit Küsschen zu begrüßen, ob Tante Mimi, Tante Hanni, Tante Addi oder Tante Agnes und Tante Erna, denn genau dieses Verhalten war meiner Mutti so wichtig, dass sie es ständig von mir verlangt hatte.

      Das war mir derart in Fleisch und Blut übergegangen, dass ich schon automatisch die Ärmchen ausstreckte, wenn wieder einmal weiblicher Besuch kam oder sich in fremder Wohnung über den Kinderwagen beugte. Die lieben Tanten schmolzen dahin ob so viel Freundlichkeit und Herzigkeit des kleinen Buben. Dabei war mir diese ewige Küsserei wildfremder Personen keineswegs eine Herzensangelegenheit.

      Wer mich genauer beobachtet hätte danach, hätte deutlich sehen können, wie ich heftig über mein Gesicht und über meinen Mund wischte nach jeder dieser Begrüßungszeremonien. Ganz besonders heftig aber wischte ich, wenn eine dieser lieben Tanten mir einen feuchten Kuss auf eine Wange oder auf meine „süßen Patschepfötchen“ oder sonst wohin gedrückt hatte.

      Schon in diesem sehr frühen Stadium meines Heranwachsens entwickelte ich eine besonders starke Aversion gegen Spucke, gegen feuchte Flecken oder feuchte Lappen jedweder Herkunft in meinem Gesicht oder irgendwo an meinem Körper. Wasserscheu war ich nur dann nicht, wenn es in eine warme Badewanne ging.

      Ansonsten hasste ich Körperschweiß, feuchtes Abwischen meiner Hände oder überhaupt feuchtes, oder halbtrockenes Wischen mit einem Lappen, um irgend ein Teilchen Schmutz oder Speiserest von meinem Körper zu entfernen.

      Wenn ich nur zusah, wie andere Mütter ihren Kindern mit Spucke und einem Tuch über das Gesicht wischten, wurde mir übel.

      Auch ertrug ich es nicht, wenn mein Tellerchen, - Mutti verniedlichte wirklich alles, woran man ein -chen oder -lein anhängen konnte -, nicht ganz trocken abgeputzt war, oder vielleicht mein Löffelchen auch nur das kleinste Fleckchen Wasser aufwies. Sollte auf meinem Brettchen gar etwas Feuchtes gewesen sein und mein Butterbrötchen angefeuchtet haben, reichte dieser unmögliche Umstand aus, mich völlig von einer Mahlzeit abzuwenden, um lieber zu verhungern als gerade dieses Stück Brot auch nur betrachtend in Erwägung zu ziehen.

      Sehr schnell hatte ich auch gelernt, mein eigenes Besteck von anderen zu unterscheiden. Mein Löffelchen hatte eine rechtwinklige Stellung vom Stiel, natürlich geformt für einen Rechtshänder, der ich nicht unbedingt war, aber der Löffel zwang mich dazu, mein Breichen mit der rechten Hand zum Mund zu führen. Niemand machte mir dieses Löffelchen streitig, aber ich bestand immer darauf, dass ich nur mit diesem Löffel essen wollte, auch wenn er mal noch nicht wieder gespült war oder versehentlich nicht gedeckt worden war.

      Als Vorbild für diese Eigenheit hatte ich aber auch ganz eindeutig meine Mutter. Denn auch in ihr Besteck, das heißt in ihren Löffel, ihre Gabel und ihren Kaffeelöffel war ihr Monogramm in großer Schmuckschrift eingraviert, als M. H, so wie auch das Besteck meines Vaters in gleicher Weise graviert war mit den Initialen W. H. Ganz besonders ich achtete später, als ich diese Buchstaben lesen konnte, ungeheuer streng darauf, dass grundsätzlich nur diese Bestecke dem richtigen Familienmitglied zugeordnet wurden.

      Selbstverständlich waren die elterlichen Essbestecke, wie auch alle für Erwachsene bestimmten Bestecke, aus schwerem Sterlings-Silber. Ein anderes Metall wäre für Mutti nie in Frage gekommen. Nur die Kinderbestecke waren aus nicht rostendem Metall, mit der Begründung, dass sie leichter waren als Silberbestecke. Bei der Zusammenstellung der Aussteuer hatte man sicher auch noch nicht daran gedacht, Silber für Kinder anzuschaffen, die noch nicht einmal ansatzweise in der Planung vorhanden waren.

      Es galt aber auch da schon der absolute Grundsatz in unserer Familie, dass Kinder in Bescheidenheit erzogen werden müssten und nicht etwa mit teuren Geschenken, teurer Einrichtung oder wertvollen Gebrauchsgegenständen verwöhnt werden dürften.

      Ganz besonders wichtig für Mutti aber war, dass sie nicht in ihrer Reiselust gehindert werden durfte. Dabei war es nur allzu ärgerlich, dass ständig die Haushaltskasse nicht so gut gefüllt war, wovon sie sich größere Reisen hätte leisten können. Da kamen Einladungen von lieben Verwandten, die Gott sei Dank über genügend Platz in schöner Umgebung verfügten, gerade recht.

      Gerne hatte Mutti daher die Einladung von Onkel Jupp, so wurde Onkel Josef Leggewie, Muttis ältester Bruder, grundsätzlich von uns genannt, und Tante Liesel nach Münster angenommen.

      Die beiden hatten in Münster ein schönes Haus mit einem geräumigen Garten dahinter, in dem sowohl die Erwachsenen als auch die Kinder nach Herzenslust sich bewegen durften. Im August, in den Sommerferien, gab es ein freudiges Wiedersehen.

      Dort war am 15. März 1941, etwa sechs Wochen nach meiner Geburt, auch ein kleiner Nachkömmling zur Welt gekommen, zur Freude oder vielleicht auch zum Nachteil seiner älteren Brüder Norbert, der schon elf Jahre alt war, und Benno, der sechs Tage später acht Jahre alt geworden war.

      So waren die Probleme ähnlich und vor allem die Mütter hatten reichlich Gesprächsstoff zu Ernährungsschwierigkeiten oder Entwicklung der beiden fast gleichaltrigen Knaben.

      Arno, mit dem ich ungehindert im gut abgeschlossenen Garten in Münster spielen konnte, war trotz seines geringeren Alters etwas größer als ich zu der Zeit, aber sonst völlig gleich entwickelt.

      Mit Tante Liesel verstand sich Mutti nicht ganz so gut, wie mit ihrem ältesten Bruder, den sie über alles liebte und bewunderte. Tante Liesel war ihr etwas zu herb. So bezeichnete Mutti alle Frauen, die nicht wie sie selbst allzu zärtlich mit ihren Kindern umgingen und die nicht, wie sie, ständig mit Verniedlichungsformen ihre Umwelt benannten. Herb war Tante Liesel in Muttis Augen auch deshalb, weil sie nicht so häufig mit Küssen oder Streicheln ihre Liebe zu ihrem Mann oder zu ihrem kleinen Sohn zur Schau stellte, wie meine Mutti das zumindest damals und auch dort tat mit ihren beiden Kindern.

      Gott sei Dank war Onkel Jupp auch zu Hause. Er hatte im Feld eine Verwundung davongetragen und war deshalb bis auf weiteres vom Wehrdienst befreit. So konnte er in Münster seine Praxis führen und dort Patienten behandeln, was in jener Zeit auch nicht unbedingt selbstverständlich war.

      Endlich konnte Mutti frei über alles reden, was sie bewegte, denn sie fühlte sich besonders in der Nähe ihres Bruders geborgen und vollkommen verstanden.

      Natürlich galt es auch in dieser Umgebung, nicht alles laut und deutlich auszusprechen, weil immer zu befürchten war, dass die Wände Ohren haben könnten. Aber innerhalb der Wohnung, wenn vor allen Dingen auch das Personal, bestehend aus einer Küchen- und Haushaltshilfe, nicht da war und auch die Sprechstundenhilfen Feierabend hatten, konnte Mutti reden, wie ihr der Schnabel gewachsen war.

      Dabei musste sie leider immer wieder beklagen, dass das Geld nie reichte, da Vati einen sehr hohen Eigenbedarf hatte und der Familie nur Bruchteile des Geldes zur Verfügung stellte, was eigentlich erforderlich gewesen wäre.

      So kam es häufig vor, dass Onkel Jupp seiner Schwester ein Scheinchen zusteckte, von dem seine Frau nichts wissen sollte. Jegliche Zuwendung dieser Art nahm Mutti dankend und ohne Gewissensbisse an, weil sie einmal zu wissen glaubte, dass ihr Bruder durch die gutgehende Praxis relativ vermögend war und zum zweitens wähnte, dass er als älterer Bruder dazu auch so etwas wie ein Recht oder gar eine Verpflichtung hatte. Dabei war sie natürlich unsagbar dankbar für jede Mark, die ihre Haushaltskasse bereicherte oder entlastete.

      Besonders gerne aber unterhielt sie sich mit ihrem Bruder über vergangene Zeiten, über gemeinsame Kindheitserlebnisse, bei denen sie häufig gelacht hatten und viele Späße und Streiche verübt. Trotz ihres bedauernswerten Schicksals, so früh schon die leiblichen Eltern verloren zu haben, hatten sie doch eine sehr schöne und harmonische Kindheit genießen können.

      Nur jetzt im Kriegsjahr 1942 kam es hin und wieder zu ernsten Gesprächen über die allgemeine Lage im Land und die besondere Lage in unserer Familie.

      Völlig unverfänglich und auch

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