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und demnächst wieder pünktlich die Messe zu besuchen, genau wissend, dass sie dieses Versprechen garantiert nicht einhalten konnte.

      Diese Gewissensbisse, so erzählte sie später immer, brachten sie dazu, am 07. Dezember 1942 aus der katholischen Kirche auszutreten. Mit einem einzigen Verwaltungsakt wurde sie mit ihren beiden Kindern für aus der katholischen Kirche ausgetreten erklärt und in die evangelische Kirche aufgenommen.

      Noch weniger als meine Mutter aber berührten mich alle diese Dinge, die sich in meinem zweiten Lebensjahr abspielten, denn für mich, den kleinen Buben war das wichtigste, dass ich immer satt wurde, dass Mutti sich, so oft sie konnte, um mich kümmerte und dass ich möglichst nicht allzu oft in den engen, dicht gedrängt vollen Bunker musste, um dort den ungeheuren Lärm abzuwarten, der außerhalb infernalisch tobte.

      So lebte es sich recht gut als Kleinkind im Kriegsjahr 1942, wenn auch Mutti ständig große, immer mehr wachsende Sorgen hatte, die richtige und ausreichende Ernährung für mich zu finden.

      Erste eigene Erinnerungen

      Ausgerechnet am zweiten Februar 1943, an meinem Geburtstag, an dem zum ersten Mal drei Kerzen für mich brannten, kapitulierte die sechste Armee in Stalingrad.

      Allerdings war das nur eine Nachricht und nichts wirklich Wichtiges in meinem Leben. Gott sei Dank war das sehr weit von mir entfernt und berührte mich auch überhaupt nicht persönlich, weil niemand aus unserer Verwandtschaft dort am Krieg beteiligt war.

      So konnte denn auch Mutti für mich die beiden kleinen Kerzen anzünden für meine beiden vollendeten Lebensjahre und die größere in der Mitte für das kommende Jahr. Mutti hatte auch extra einen Tortenboden gebacken und mit Sauerkirschen belegt. Zur Geburtstagsfeier hatten sogar Tante Dorchen und Onkel Willi aus Trier ein Paket an ihr Patenkind geschickt, das hauptsächlich Nahrhaftes und Leckeres und etwas zum Anziehen enthielt.

      Zum Kaffee am Nachmittag waren nur Tante Traute mit ihrer Tochter Traute da und Dickerchen, die bei solchen Gelegenheiten nicht fehlen durfte.

      Von der fröhlichen Feier selbst bekam ich nicht sehr viel mit, da mir der Rummel um meine Person einerseits heftig missfiel, andererseits aber auch meinem Ego schmeichelte, weil ich, wie eigentlich ständig gewünscht, Mittelpunkt war und alle sich mit mir intensiv beschäftigten. Also strahlte ich über alle Maßen und genoss die vielen Aufmerksamkeiten und die Spiele, die mit mir und Klein Traute von allen mitgespielt wurden. Es blieb auch ruhig an diesem Dienstag, kein Fliegeralarm störte uns und niemand forderte lautstark, dass verdunkelt werden müsse am frühen Nachmittag.

      Zum Abendbrot gab es selbstgebackenen Hefestuten, ein Gebäck, das grundsätzlich bei uns dick mit Butter bestrichen wurde, wenn solche denn vorhanden war in jenen Tagen, und ebenso beliebt war wie Kuchen oder Plätzchen. Schokolade war etwas rar geworden in dieser Zeit des negativen Überschusses, so dass ich darauf verzichten musste, ohne allerdings diese Leckerei ernsthaft zu vermissen, weil sie mir dafür gar nicht genügend bekannt und vertraut war.

      Dass es abends dann zur Feier des Tages für die Erwachsenen ein Likörchen gab, war nicht so selbstverständlich wie in früheren Jahren, aber Mutti hatte über Vatis Kontakte in Holland doch ein wenig Danziger Goldwasser da, welches den Damen kredenzt wurde. Kurz danach wurde ich noch auf das Töpfchen gesetzt, ein Ritual, das seit mehr als einem Jahr täglich dreimal wiederholt wurde und mich allmählich zu etwas größeren Sauberkeit gebracht hatte, so dass ich nachts nicht mehr so oft die Windeln vollmachte. Außerdem war eine frühe Erziehung zur Reinlichkeit und zum Trockenbleiben ein unerlässliches, unumstößliches Gebot damaliger Erziehungsgrundsätze.

      Das einzige, was Mutti an meinem eigenen Reinlichkeitsverhalten störte, war die Tatsache, dass ich fast immer, wenn ich auf dem Töpfchen saß, hingebungsvoll mit dem kleinen Schniepel spielte, der einmal mein männliches Geschlechtsorgan zu werden versprach. So war mein Geburtstag trotz vieler unschöner Kriegsereignisse fast ein normaler Geburtstag, wie ihn sich ein kleines Kind von zwei Jahren wünschen konnte.

      Allerdings sollte das Jahr 1943 nicht nur für Deutschland, sondern ganz besonders für unsere Familie erhebliche Änderungen mit sich bringen, von denen wir selbstverständlich an meinem Wiegenfest noch nichts ahnen konnten.

      Immer häufiger wurde auch die Stadt Essen bombardiert, vor allem wegen der Krupp-Werke, die schließlich als Schmiede der Nation galten. Das bedeutete aber nicht nur, dass wir immer häufiger den nahegelegenen Bunker aufsuchen, sondern auch, dass es immer schwieriger wurde, sich angemessen zu versorgen und zu ernähren. Deshalb war Mutti natürlich heilfroh, als wieder zu den Osterferien eine Einladung zu Oma nach Bad Godesberg auf dem Tisch lag. Dieses Mal war es auch möglich, Fahrkarten zu bekommen und mit dem Zug dorthin zu fahren. Denn die Stadt Essen galt als extrem gefährdet, weshalb Menschen, die in anderen Gegenden sicherer untergebracht werden konnten, zur Wegfahrt auch eine Gelegenheit erhalten mussten.

      Die Freude in Omas Haus die Ferien zu verbringen währte allerdings nicht allzu lange, da schon sehr bald ein Telegramm von Tante Traute eintraf, des Inhalts, dass sich Mutti sehr schnell zurückbegeben möchte, wenn sie noch Möbel retten wollte, da ausgerechnet unser Haus an der Seite getroffen worden war, an der wir wohnten.

      Mutti organisierte mit Vatis und der Nachbarn Hilfe einen Möbeltransport, mit dem die Möbel, die nicht zerstört oder stark beschädigt waren, nach Bad Godesberg in Omas Wohnung gebracht wurden. Gott sei Dank waren die meisten Möbel noch brauchbar, so dass nicht allzu viele Verluste zu beklagen waren. Wenn auch einige Stücke deutliche Beschädigungen und Spuren des Brandes oder Steinsplitter aufwiesen.

      Das größte Problem allerdings bestand darin , dass Oma eigentlich gar nicht spontan so viel Platz schaffen wollte in ihrer Wohnung, um unsere Möbel zu lagern und uns noch dazu zu beherbergen.

      Mutti stellte bravourös unter Beweis, dass sie durchaus in der Lage war, Dinge zu organisieren, die eigentlich mehr als eine Kraft benötigten. Denn Vati war nicht frei zu bekommen für einen längeren Zeitraum. Er konnte gerade noch einen Möbelwagen besorgen und seine Mutter überreden, einen Raum freizumachen für unsere Möbel, aber alles Weitere blieb Mutti überlassen.

      Gott sei Dank war Omas Haus sehr groß und geräumig, verfügte nicht nur über große Räume im Parterre des Hauses sondern auch über einige Kellerräume, so dass alle schweren und gediegenen Möbel, auf die Mutti und Vati so stolz waren, dort irgendwo eingeräumt werden konnten. Nur war Oma nicht in der Lage und auch nicht willens, so schnell Platz zu schaffen für die gesamte Familie. Schließlich hatte sie sich mit ihrer Tochter Erna so eingerichtet, dass die gesamte Wohnung im Parterre des Hauses belegt war. Außerdem wusste ja niemand so genau, wie lange der Krieg noch dauern würde und ob danach wieder solche Verhältnisse eintreten konnten wie zu Friedenszeiten.

      Tagelang war Mutti unterwegs, um eine Wohnung zu finden, was nicht ganz so einfach war, denn inzwischen waren sehr viele schon ausgebombt und brauchten dringend Wohnraum.

      In Muffendorf, einem kleinen Ort vor Bad Godesberg fand Mutti dann endlich eine Bleibe für uns in einem Mehrfamilienhaus, in dem der Dachboden als Wohnung genutzt werden konnte, weil er schon einmal ausgebaut worden war und leicht möbliert. Auch gab es dort unter dem Dach fließendes Wasser, was für eine Familie mit kleinen Kindern außerordentlich wichtig war.

      Genau in dieser Wohnung setzten meine ersten Kindheitserinnerungen ein, die sich als lebendige Bilder für alle Zeiten in mein Gehirn eingebrannt hatten.

      Ganz besonders war mir dort aufgefallen, dass unser Wohnzimmer nicht mehr so aussah, wie ich das gewöhnt war. Am meisten vermisste ich unser geliebtes Büffet, das nun wegen Platzmangels keineswegs in der kleinen Wohnung mit den schrägen Decken aufgestellt werden konnte. Es lagerte wie auch fast alle anderen schweren und ach so gediegenen Möbel bei Oma in der Bismarckstraße 18 in dem einzigen Parterrezimmer, das von Oma und Tante Erna nicht regelmäßig benutzt worden war und zum Teil auch in den ausgedehnten Kellerräumen, die alle ausgebaut und trocken waren.

      Wegen dieses Platzmangels in der Muffendorfer Dachgeschosswohnung konnten Ursel und ich auch nicht dort spielen, so dass wir als Ausweichspielplatz sehr häufig den Podest benutzten, der vor unserer Wohnung die Möglichkeit erschloss, auf den Speicher oder eben in die Dachgeschossbleibe zu gelangen.

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