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waren, natürlich auch sehr erleichtert, wenn die Sirenen Entwarnung verkündeten und der ganze Spuk vorüber war.

      Trotz meines geringen Alters hatte ich sehr wohl schon begriffen, dass es darum ging, nicht in den engen, menschenüberfüllten Bunker zu müssen, den ich mehr hasste als alles andere, was mich in jener Zeit bedrücken konnte. Deshalb war ich auch immer sehr artig und still, wenn andere daran zweifelten, dass wir das Haus verlassen hätten beim Fliegeralarm. Auch nach der Entwarnung nahm die hochnotpeinliche Vernehmung kein Ende, wenn die neugierigen Nachbarinnen wissen wollten, wo wir denn während des Angriffs gewesen wären, da uns auch keine Menschenseele habe zurückkommen sehen.

      Mutti war nie um eine Lüge verlegen, Notlügen nannte sie das. Entweder waren wir zufällig gerade unterwegs gewesen und dort in den nächstliegenden Bunker geflüchtet, oder wir waren wieder einmal zu Besuch bei der Großmutter und mit dieser in den hauseigenen Luftschutzkeller gegangen. Trotz aller Zweifel mussten die Nachbarn diese Aussagen glauben, da sie auch von Ursel und mir bestätigt oder nicht in Frage gestellt wurden.

      Tatsächlich richteten die ständigen Bombenangriffe, tagsüber auf militärische Ziel und nachts auf alle möglichen Städte und Stadtzentren erheblichen Schaden an, viele tausend Menschen fielen diesen Bombenteppichen zum Opfer. Wie nah wir oft waren, mag man daran sehen, dass in der Nacht vom 11. zum 12. Juni 1943 2000 Bomben auf Düsseldorf geworfen wurden, wobei die ganze Stadt in Flammen stand und 120.000 Menschen obdachlos wurden.

      Die Alliierten bombardierten in den folgenden Nächten Bochum, Oberhausen, Krefeld, Mülheim an der Ruhr und Wuppertal-Elbehrfeld, Städte die komplett in Schutt und Asche gelegt wurden. Schwere Angriffe folgten auf Gelsenkirchen und Köln, das zum wiederholten Male heftig angegriffen wurde.

      So rissen in der Nacht vom 28. zum 29. Juni Bombeneinschläge einen Teil des Kölner Doms weg. Es kamen nicht nur mehr als 500.000 Menschen durch die Flächenbombardierung um, sondern es wurden auch unschätzbare Kulturdenkmäler zerstört.

      Trotz aller Durchhalteparolen der NS-Führung verloren die Menschen mehr und mehr das Vertrauen zu ihrem Führer, immer häufiger kam es zu offenen Revolten.

      Zahlreiche Evakuierungen sollten dafür sorgen, dass Mütter und Kinder in Sicherheit gebracht wurden, obwohl es kaum noch größere Städte gab, in denen man wirklich sicher sein konnte.

      Wir wurden nach Braunschweig evakuiert. Mutti hatte sich dafür etwas ganz Besonderes ausgedacht, weil sie gerne ein paar Möbel und Gebrauchsgegenstände mitnehmen wollte, die mit der Bahn sehr schlecht zu transportieren waren.

      Sie hatte ein Fuhrunternehmen ausfindig gemacht, das zur Zeit unserer Evakuierung, Ende Oktober 1943, einen Transport in Richtung Braunschweig durchführen musste. So konnte Mutti ihre Habseligkeiten auf die offene Ladefläche eines Salztransporters deponieren.

      Auch wir selbst mussten auf der Ladefläche mitfahren. Das Abenteuer begann spät abends in der Dunkelheit. Mutti hatte in der Mitte des mit den schweren Salzsäcken beladenen Lastwagens zwischen den Säcken eine Lücke entdeckt, die groß genug war, jeweils eine kleine Person aufzunehmen, so dass wir dort im Kreis auf den Salzsäcken sitzen und die Beine in dieses Loch stecken konnten.

      Der Wagen fuhr nicht besonders schnell, da er trotz der Dunkelheit nicht, oder meistens nicht mit Licht fahren durfte, um nicht als Ziel für feindliche Schützen oder Flieger sichtbar zu sein. Trotzdem war der nächtliche Fahrtwind so kalt, dass wir schon sehr bald schnatterten und zitterten vor Kälte.

      Da mir das Sitzen oben auf den Säcken sowieso ausgesprochen schwer fiel, hatte ich schon sehr bald entdeckt, dass in dem Loch, in das ich hineinrutschte, eine sehr angenehme Wärme herrschte ohne den entsetzlichen, eisig kalten Fahrtwind.

      Natürlich blieb meine Entdeckung kein Geheimnis, und auch Ursel wollte hin und wieder in den Genuss einer etwas behaglicheren Fahrt kommen, die das Loch mit seiner Wärme tatsächlich bot. Das führte einerseits zu einem Streit, weil tatsächlich nur wirklich eine einzige kleine Person diesen geschützten Raum nutzen konnte, nicht einmal Mutti, die dafür zu groß war, andererseits flossen wegen der abscheulichen Kälte und dem elementaren Bedürfnis, uns in diesem Loch aufwärmen zu können auch reichlich viele Tränen.

      Denn immer, wenn Mutti dafür sorgte, dass auch Ursel sich aufwärmen durfte, flossen meine Tränen nicht nur, weil ich den schönen Platz für mich allein beanspruchte, sondern vor allem, weil die Kälte tatsächlich schmerzhaft in die Haut biss. Auch Ursel weinte, wenn sie ihrerseits nach einigen Minuten ihrem Brüderchen Platz machen musste.

      Nur Mutti harrte tapfer aus und lehrte uns auf diese unfreiwillige Weise, uns sozial und mitfühlend zu verhalten. Auch wenn diese Lehre nicht sofort ihre Früchte zeigte und jeder von uns immer wieder eifersüchtig darauf achtete, dass die Zeit in der Wärme nicht für den anderen etwa ein wenig zu lang ausfiel.

      Trotz aller Kälte und aller Strapazen, die diese Fahrt zu einem Horrorerlebnis werden ließ, schlief ich nach einigen Stunden ein. Ich erwachte erst wieder durch ein gleißendes Licht, das durch meine geschlossenen Augenlider drang. Unsanft wurde ich daran erinnert, dass ich nicht daheim in meinem Bettchen schlief sondern auf einer harten Bank, den Kopf in Muttis Schoß gebettet.

      Daneben hockte meine Schwester, die ebenfalls ihren Kopf von der anderen Seite auf Muttis rechter Schoßhälfte gebettet hatte. Davon, dass wir am Ziel des Lastwagens angekommen waren, dort in einem Schuppen Muttis geringe Habe abgeladen hatten und danach bis zum nächsten Bahnhof gelaufen waren, hatte ich nichts mitbekommen, weil ich trotz aller Schaukelei und wechselnder Arme, in die ich gelegt wurde, nicht ein einziges Mal aufgewacht war, selbst dann nicht, wenn ich kurz mal abgelegt wurde auf einem Salzsack oder auch einfach auf den Boden, wenn gar nichts anderes frei war.

      Nur dieses helle Licht hatte meinem Tiefschlaf ein Ende gesetzt. Helles Licht war auch wirklich in jenen Tagen recht ungewöhnlich, in denen es immer wieder darauf ankam, möglichst alles nach draußen zu verdunkeln und auch möglichst selten überhaupt Licht einzuschalten wegen der Gefahr, vom Feind gesehen zu werden oder weil gerade mal ein Erlass des Führers dafür Sorge trug, dass Energien nicht unnötig verschwendet wurden.

      Aber Braunschweig war zu diesem Zeitpunkt noch relativ frei, der Feind offenbar noch weit fort, so dass man zumindest auf diesem Bahnhof einmal nicht mit dem Licht sparen musste. Außer dem Licht störte mich auch der Lärm auf dem Bahnsteig und die ständigen lauten, unangenehm klingenden Durchsagen, die bekannt gaben, welcher Zug auf welchem Bahnsteig zu erwarten wäre, welcher Zug ausgefallen war, und welche Soldaten sich wo bei ihrer Einheit zu melden hätten. Schlaftrunken, wie ich war, aber auch wegen meines Alters verstand ich sehr wenig von den lauten Aufrufen.

      Nach stundenlanger Warterei erkämpfte Mutti sich mit uns beiden einen Platz in einem Zugabteil, dabei heftig mit einem Soldaten streitend, der den Sitzplatz beanspruchte, den Mutti eingenommen hatte, damit Ursel auf ihrem Schoß sitzen konnte und ich in ihren Armen liegen und weiter schlafen.

      Irgendjemand hatte dann Mitleid mit dem offenbar verwundeten Soldaten, der der Meinung gewesen war, dass Mütter mit kleinen Kindern in diesen Zeiten eigentlich nichts in einem öffentlichen Zug zu suchen hätten, sondern brav und fromm in ihre Wohnungen gehörten, um dort auf ihre Kinder aufzupassen und auf die Feldpost zu warten.

      So gelangten wir dann zu der uns zugewiesenen Wohnung, die im ersten Stock eines Zweifamilienhauses lag. Auch dort vermisste ich als erstes unser schönes Büffet, konnte mich aber sonst recht gut zurechtfinden, war auch schon selbständig genug, um alleine hinauszugehen und auf dem Gehweg vor dem Haus zu spielen, wie fast immer allein. So war ich es gewöhnt und entbehrte auch deshalb nichts.

      Auch in Braunschweig hatte Mutti sehr schnell Freunde gefunden, mit denen ein ähnlicher Kaffee-Klatsch-Kult betrieben wurde, wie sie es von Essen her gewohnt war und in Muffendorf pflegen konnte. Die von ihr auserkorene Familie hieß am Berge, die Frau lebte allein etwa zweihundert Meter entfernt von unserer Wohnung in einer Seitenstraße ebenfalls im ersten Stock in einer möbliert abgegebenen Wohnung.

      Frau am Berge war etwas älter als Mutti und hatte schon weiße Haare. Sie war außerordentlich freundlich, besonders zu mir, da sie selbst im Laufe des Krieges kinderlos geworden war, ihr einziger Sohn war leider gestorben nach einem tragischen Unfall beim Spielen in der Hitlerjugend. Er wäre aber auch zu dem Zeitpunkt schon achtzehn Jahre

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