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Schlag doch zu! Autobiografie. Harald Fiori
Читать онлайн.Название Schlag doch zu! Autobiografie
Год выпуска 0
isbn 9783738095890
Автор произведения Harald Fiori
Издательство Bookwire
Vormittags machte Mutti häufig mit mir Spaziergänge in die nähere Umgebung. Am liebsten wanderten wir zu einem nahegelegenen Park und dort zu einem Ententeich, wo wir manchmal etwas altes Brot ins Wasser warfen und uns darüber freuten, wie die Enten danach schnappten.
Mittags fast pünktlich um zwölf Uhr kochte Mutti irgend etwas, was wir beide immer ganz pünktlich aßen, wenn Ursel nicht spätestens um ein Uhr aus der Schule kam. Mit Ursel zusammen aßen wir immer um ein Uhr. Kam sie später waren wir meistens schon um halb eins mit dem Essen fertig und Mutti legte mich in mein Kinderbett und sich selbst auf das Sofa, wo sie mindestens eine Stunde lang schlief.
Wenn Ursel dann während des Mittagsschlafes von der Schule kam, musste sie sich das noch warme Essen unter der Bettdecke ihres Bettes hervorholen und alleine essen.
Entgegen sonstiger Gepflogenheiten wurde Weihnachten 1943 nicht so feierlich begangen, vor allen Dingen fehlte Vati und es kam auch niemand zu Besuch. Das lag wohl hauptsächlich daran, dass die Wohnung dafür viel zu klein war, aber wohl auch daran, dass in allen Großstädten Deutschlands mehr Bomben fielen als der Führer und sein Volk es sich jemals hatten träumen lassen. Deshalb hatte die Regierung wohl auch jeglichen zivilen Weihnachtsreiseverkehr verboten. Ob noch weitere Gründe für dieses Verbot vorlagen, wurde nicht bekannt gegeben, war denn auch für uns unbedeutend, da wir nicht vorhatten, über die Feiertage irgendwohin zu verreisen oder jemanden zu besuchen.
Für uns war es in Braunschweig recht angenehm, weil dort tatsächlich viel seltener Flieger- oder Bombenalarm zu hören war, so dass ich mich ein wenig erholte, weil ich nun häufiger durchschlafen konnte, obwohl ich eigentlich nie richtig gemerkt hatte, dass ich überhaupt erholungsbedürftig war.
Auch Mutti und Ursel genossen die Ruhe, die hier herrschte, wobei ich davon weniger mitbekam, weil ich reichlich damit beschäftig war, an Muttis Rockzipfel zu hängen und ständig Muttis Schoß zu belagern, wann immer das möglich war.
Mutti war auch selten abgeneigt mich mit Liebkosungen zu verwöhnen, so dass ich die Existenz meiner Schwester nur dadurch überhaupt wahrnahm, weil auch diese ihrem kleinen, süßen Brüderchen ständig mit Umarmungen und Küssen ihre Zuneigung demonstrieren wollte. Das war keineswegs mir in jedem Fall angenehm, weil ich ihre stürmischen Liebesbeweise oft als störend und zu heftig empfand.
Bei all dieser familiären Harmonie fiel es schwer, auch für Mutti, Nachrichten mitzubekommen, dass am dritten November 1943 auf Anordnung Himmlers siebzehntausend jüdische Frauen und Männer bestialisch ermordet wurden. Obwohl näher dran, spürten wir in dem Braunschweiger Vorort auch nicht, dass britische Bomben schwerste Zerstörungen in Berlin verursachten.
Ganz sicher aber wusste in unserer Familie niemand, dass am 28, November 1943 in der Konferenz von Teheran ganz Europa aufgeteilt wurde in einer Form nach Beendigung des Weltkrieges. Am 29. November wurde Tito für lange Zeit Regierungs-Chef in Jugoslawien.
Allerdings mussten alle Bürger des deutschen Reiches mitbekommen, dass die deutsche Fußballmannschaft am vierten Dezember in Tokio eine japanische Mannschaft mit 3 : 0 besiegte, was immerhin eine gewisse Normalität demonstrieren sollte.
Genau am 24. Dezember , am heiligen Abend, erhielt Eisenhower den Oberbefehl für die Invasion in Frankreich, die im Jahre 1944 die endgültige Niederlage des Nazi-Regimes einleitete.
Am 30. Dezember 1943 brach die Rote Armee in der Ukraine durch, am 28. Januar war Leningrad nach neunhundert Tagen Belagerung und blutigster Kämpfe frei.
Am gleichen Tag wurde mit dem Film „Feuerzangenbowle“ mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle nachhaltig zur Schau gestellt, dass außer Krieg auch normale, lustige Dinge in Deutschland produziert werden konnten.
Wenn Reichsminister Martin Bormann angesichts des starken Geburtenrückgangs offiziell die Bigamie für die Zeugung außerehelicher Kinder forderte, konnte es schon vorkommen, dass sich auch Mutti ganz energisch entrüstete, auch wenn sie sonst grundsätzlich weder Kommentare zur Politik abgab geschweige denn, sich in irgendeiner Form politisch betätigte oder äußerte.
Das wichtigste Ereignis an meinem dritten Geburtstag, am Mittwoch, dem zweiten Februar 1944, war zweifelsohne mein Versprechen, das ich Mutti, hochheilig beschworen, geben musste. Ich versprach, mit dem festen Willen, dieses Versprechen zu halten, ganz feierlich, dass ich von diesem Tage an nie mehr Windeln benötige und auch nicht mehr in mein Bettchen machen würde. Dagegen verblasste natürlich in unserer Familie ein weiterer Beweis deutscher Kultur in Krisenzeiten, die Erstaufführung in szenischer Form, die die bayrische Staatsoper auf die Bühne brachte, nämlich Carl Orffs „Carmina Burana“
Da ich ein gegebenes Versprechen grundsätzlich hielt und niemals brechen wollte, blieb ich tatsächlich nachts trocken. Nur ganz selten hatte ich geträumt, irgendwo auf einer Toilette zu sitzen oder zu stehen, dann war mein Bettchen leider wieder mal nass geworden, was ich Mutti dann am nächsten Morgen unter heftigen Tränen beichtete. Das brachte mir zwar keine Schelte schon gar keine Strafe ein, aber ich selbst war so fürchterlich unglücklich darüber, dass ich ein Versprechen nicht eingehalten hatte, wenn ich auch eigentlich nichts dazu konnte.
Fast grotesk mochte es anmuten, dass ab dem 20. Februar 1944 Blinker an Autos oder anderen Motorfahrzeugen im Straßenverkehr keine Pflicht mehr waren, weil die deutsche Industrie kriegsbedingt solche Teile nicht mehr herstellen konnte.
Unter dem Begriff „Big Week“ begann am 20. Februar 1944 eine Bomberoffensive der alliierten Luftwaffe, die außer gegen Hamburg, Leipzig und Posen auch gegen Braunschweig gerichtet war, so dass ebenfalls in unserem sicheren Evakuierungsquartier die Nächte nicht mehr so ruhig waren, wie bisher genossen.
So kam es, dass wir allmählich uns mit dem Gedanken vertraut machen mussten, die Stadt Braunschweig wieder zu verlassen, was nach den Osterzeugnissen, die Ursel noch abwarten musste, zum endgültigen Abschied von dieser Stadt führte.
Vati war nicht untätig geblieben während dieser Zeit und hatte bei seiner Mutter sich dafür eingesetzt, dass seine Familie doch vorübergehend bis zum Ende des Krieges bei ihr in ihrem Hause wohnen dürfe. Er hatte auch schon, kaum dass diese Genehmigung erteilt war, zwei Zimmer provisorisch eingerichtet, in die wir dann einziehen mochten.
Das großelterliche Haus in der Bismarckstraße 18 in Bad Godesberg gehörte zu den alten hochherrschaftlichen Großbauten mit besonders hohen Wänden und Decken und ebensolchen Fenstern.
Zum Haus gelangte man durch einen gepflegten Vorgarten, der mit einer niedrigen, leicht rissigen, grauen Mauer und darin eingelassenem schmiedeeisernen schwarz gestrichenen Zaun vom Gehweg abgeteilt war.
Die gediegene naturholzbelassene Eingangstür, erreichte man über eine hellgraue Granittreppe aus fünf Stufen, die zunächst auf einen etwa zwei mal zwei Meter großen Podest führten, dessen Boden ebenso mit hellgrauem Granit belegt war. Podest und Treppe waren überdacht und wetterfest eingerahmt.
Von dieser Treppe aus links hineinkommend wölbte sich hinter der Eingangstüre ein enorm großer, weiträumiger, sehr hoher Flur, dessen Boden mit roten Florentiner Fliesen bedeckt war. Eine riesige Holztreppe führte rechts neben der Eingangstüre in das erste Stockwerk, das uns Kindern zu betreten strengstens verboten war. Denn dort oben wohnte Frau Stephans, eine ältere Dame, die ständig Ruhe haben musste und eben deshalb auf gar keinen Fall von uns Kindern gestört werden durfte.
Unser Reich befand sich links von der Eingangstüre in dem Erkerzimmer, das zur Straße hinausschaute in den Vorgarten. Der Erker des Zimmers buchtete sich als Halbrund aus an der kürzeren der Tür gegenüberliegenden Seite und erhellte den ganzen Raum durch insgesamt vier sehr hohe Fenster, die oben mit einem Rundbogen abschlossen.
Zu meiner großen Freude thronte an der langen Wand links vom Eingang mein über alles geliebtes Büffet, das mir sofort wieder das heimatliche Gefühl der Verbundenheit vermittelte, das ich so lange während der Wohnzeiten in Behelfsquartieren vermisst hatte.
Vati hatte alle Möbel, die man zum täglichen Leben und zur Gemütlichkeit benötigte, in dieses eine Zimmer hineinstellen lassen , so dass links neben der Tür eine kleine Küche mit weiß emailliertem Herd mit einer hellen Stahlkochfläche, einem Küchenschrank aus Kiefernholz und ein Regal Raum bot