Скачать книгу

alt="Image"/>

      E

      r erwacht aus einem traumlosen Dämmerschlaf. Als er aus dem Fenster blickt, sieht er, dass sie bereits durch die Straßen Londons fahren.

      Plötzlich erinnert er sich wieder an diese Frau. Sie war schlichtweg eine Traumgestalt, eine sehr schöne zwar, aber eben nur ein Fantasiegebilde. Die Erinnerung an diesen doch aufregenden Traum bringt ihn kurzzeitig wieder zum Schmunzeln.

      »Hey, Chris. Wir sind gleich da«, vernimmt er Joes Stimme vor sich.

      Gedankenverloren blickt er zu seinem Bandkollegen auf. »Okay danke!«, sagt er nach einigen Sekunden und greift zur Wasserflasche. In wenigen Zügen hat er diese auch schon geleert. Der Soundcheck steht gleich an und er ist noch immer nicht voll da.

      »Hat noch jemand Kaffee?«, fragt er seine Reisebegleiter. Alle verneinen - dann muss er wohl bis zur Konzerthalle warten, um endgültig wach zu werden.

      Er steht auf, um sich zu strecken. Diese verdammten Busfahrten bringen ihn noch mal um den Verstand. Ächzend lässt er seinen Rücken knacken, woraufhin ihm prompt schwummrig wird. Langsam sinkt er wieder in den eigentlich bequemen und dennoch verhassten Sitz.

      Wie so oft mussten sie die Nacht in diesem Bus verbringen und das gerade heute – vor dem finalen Konzert der Tournee! Am frühen Morgen sind sie in Edinburgh losgefahren. Das Publikum dort war grandios und hatte es ihm leicht gemacht, eine perfekte Show abzuliefern. Das wird sehr schwer zu übertreffen sein, doch er glaubt an die Londoner.

      Am meisten freut er sich auf ein weiches und bequemes Bett. Wahrscheinlich wird er die kommenden Tage erst einmal wie ein Stein schlafen; diese Nacht ein letztes Mal in einem Hotel, da für morgen ein abschließendes Radiointerview ansteht. Zu gern würde er anschließend nach Hause fahren. Nach Hause - welch Ironie! Denn im Grunde genommen hat er kein Zuhause mehr.

      Sein Anwesen hatte er bereits vor Monaten Ann überschrieben. Die mehrmonatige Tournee kam ihm damals gerade recht. Trotz allem vermisst er sie etwas. Oder liegt es daran, dass er eine weibliche Ansprechpartnerin braucht, mit der er sich vertraut unterhalten kann? Er weiß es nicht, zu lange schon hat er nicht mehr mit einer Frau ausgiebig und tiefgründig gesprochen. Ann war die einzige in seinem Leben, mit der er sich tatsächlich über ernste Themen austauschen konnte und dabei ihren Intellekt so sehr genoss.

      Resigniert seufzt er auf, da ihm wieder einmal klar wird, dass er nichts an der Tatsache ändern kann, dass seine Frau vor zwei Jahren die Scheidung eingereicht hatte. Vor sechs Monaten bekam die Presse Wind von der Trennung, die sie wirklich sehr gut geheim gehalten hatten, und wie erwartet wurde die Ehe postwendend zerpflückt. Jeder wusste es auf einmal besser, keinen kümmerte es, was die tatsächliche Ursache war. Die Gründe dafür halten sie bis heute geheim.

      Ihm graut plötzlich vor dem morgigen Interview, genauso wie vor denen davor. Jedes endet damit, dass er nur noch über seine Ex ausgefragt wird. Er hat es satt sich immer wieder rechtfertigen zu müssen, warum die Ehe in die Brüche gegangen ist. War es nun seine Schuld? Warum die Scheidung? Liebt er Ann womöglich noch?

      Ja, er liebt sie nach wie vor - auf seine Weise. Immerhin hatte er einen Großteil seines Lebens mit ihr geteilt und sie gingen gemeinsam durch Höhen und Tiefen. In den letzten zwei Jahren hatte er immer wieder darüber nachgedacht und kam erst vor wenigen Monaten zu dem Schluss, dass sie tatsächlich mehr Tiefen als Höhen hatten.

      Das Erste tat sich bereits nach einiger Zeit auf, als festgestellt wurde, dass sie keine Kinder bekommen konnte. Bis zum letzten Tag hatte er auf sie eingeredet und ihr zu erklären versucht, dass es für ihn kein Problem darstellen würde und es so viele andere Möglichkeiten geben würde. Sie wollte ihn nicht verstehen oder konnte es nicht, zudem war er anscheinend nicht in der Lage, es ihr auch nur ansatzweise begreiflich zu machen.

      Dummerweise zogen sie ein Jahr später von London aus in dieses sehr schöne, weitläufige Anwesen an der Westküste Englands. Er liebte das Haus und vor allem den großen Garten. Aber seitdem ging es mit der Ehe endgültig bergab, da die vielen leeren Zimmer nicht mit lachenden Kinderstimmen erfüllt wurden. Doch anstatt etwas daran zu ändern, begann Ann kurze Zeit später zu trinken und verfiel zusehends in Depressionen. All das konnten sie glücklicherweise vor der Presse geheim halten.

      Seit nunmehr einigen Monaten lebt ein anderer Mann an ihrer Seite. Chris weiß zwar nicht, was das an der Kinderlosigkeit ändern soll oder warum seine Frau plötzlich aufblüht, aber es war nun einmal so. Sie malt auch wieder und ihre Bilder verkaufen sich wie warme Semmeln. Bereits mehrfach fragte er sich, ob es nicht doch an ihm lag, dass sie so unglücklich war. War er zu oft und zu lange unterwegs?

      Ab und an lässt es sich nicht vermeiden, dass er sie und ihren neuen Lover in diversen Zeitschriften entdeckt. Jedes Mal versetzt es ihm dabei einen Stich. Lachend blickt sie auf den Bildern zu ihm auf und scheint tatsächlich verliebt zu sein. Der Kontakt zwischen ihnen ist, seitdem er ihr freiwillig das Haus überschrieben hatte, komplett abgebrochen. Da er einen Rosenkrieg vermeiden wollte, ließ er sie gewähren und hält sich seitdem zurück.

      Vor wenigen Wochen, als die Band gerade noch durch die USA tourte, erfuhr er von seinem Anwalt, dass der Scheidungstermin nach nunmehr zehn Jahren Ehe feststeht. Ab nächsten Freitag ist er ein freier Mann und er hofft, dass er danach abschließen und sich auf sich und das neue Studioalbum konzentrieren kann. Er will endlich wieder leben, von vorn beginnen.

      Die Band verkündete daraufhin offiziell, dass sie nach dem Tournee-Ende für einige Monate eine Auszeit nehmen werden. Es steht viel an: Andy wird bald heiraten, was keiner außerhalb der Band und den Familien weiß. Norman will ein eigenes Tonstudio eröffnen, aber es steht noch nicht fest wo und wann. Chris wird die nächste Zeit erst einmal in dessen Zweitwohnsitz an der Ostküste Unterschlupf finden und wird diese Auszeit nutzen, um sich zu erholen und einfach nur die Seele baumeln zu lassen. Nebenher wird er hoffentlich von der Muse geküsst, um neue Songs zu schreiben und dazu ein neues Domizil finden. Nur Joe weiß noch nicht, was er in dieser Zeit machen wird.

      Dieser ist ebenso wie Norman ungebunden. Der Drummer hat zudem den Ruf eines Herzensbrechers, doch so schlimm ist es dann auch wieder nicht, wie es in der Presse dargestellt wird. Hier und da hat er kleinere Affären; warum auch nicht, er ist schließlich auch nur ein Mann. Momentan scheint er sich allerdings auf Andys Schwester eingeschossen zu haben. Es wirkt ernster, als er selbst zugeben möchte, denn er telefonierte in den letzten Monaten sehr häufig mit ihr. Und auch er, Chris, wird nun bald wieder ungebunden sein.

      Seit Monaten rennen ihm die weiblichen Fans hinterher, er hätte so viele in seinem Bett haben können. Nur zweimal ist es ihm dann doch passiert, dass er sich mit einer völlig fremden Frau eingelassen hat. Die beiden Affären waren kurz und sehr heißblütig gewesen. Mehr war es aber nicht, schließlich brauchte er eine Partnerin, die in ihm nicht nur den Sänger sah, sondern auch einen Gefährten. Und das ist anscheinend wirklich leichter gesagt als getan.

      Plötzlich kommt ihm die Frau aus seinem Traum wieder in den Sinn. Sie entsprach so gar nicht seinen Vorlieben, vielleicht machte gerade dies sie so reizvoll für ihn und die Tatsache, dass sie in ihrer Art einfach umwerfend und mitreißend schien. Schwarzhaarig, obwohl er seit seiner ersten Liebelei an der Uni, Blondinen bevorzugt. Etwas Geheimnisvolles umgab sie. Wie war ihr Name doch gleich? Lilith? Ein außergewöhnlicher Name für ein von seinem Unbewusstsein fabrizierten Traumgebilde.

      Zudem wirkte auch alles so realistisch. Merkwürdig, aber das lenkt ihn zum ersten Mal von der Trennung und der bevorstehenden Scheidung ab. Ein seltsam vertrautes und wohliges Gefühl übermannt ihn. Selbst die beiden Affären hatten das nicht geschafft und diese fanden wahrhaftig statt!

      Immer wieder schweifen seine Gedanken zu ihr ab, zu diesen leuchtend grünen Augen, dieser samtig weichen Stimme und dieser verführerisch blassen Haut. Schnell schließt er die Lider, um die viel zu intensive Vorstellung abzuschütteln. Doch stattdessen forciert er damit diese Vision und bemerkt, dass er ihren Geruch wieder wahrnehmen kann. Erschrocken öffnet er die Augen. Nein, sie ist nicht hier und sie ist auch nicht real!

      Der

Скачать книгу