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      D

      as Klingeln des Weckers reißt sie aus dem Schlaf. Schlaftrunken tastet sie nach dem nervtötenden Ding, um es auszuschalten.

      Mit starkem Herzklopfen erinnert sie sich an die vorangegangene Nacht und zaubert ihr ein Lächeln aufs Gesicht. Langsam öffnet sie ihre Augen und greift hinter sich, um ihn zu berühren. Als sie ihn jedoch nicht ertasten kann, dreht sie sich verwundert zu ihm herum.

      Erschrocken richtet sie sich auf und ist plötzlich hellwach. Er ist fort! Das Bett ist gemacht. Stopp! Es sieht sogar so aus, als ob er nie darin lag! Liliths Gedanken beginnen zu rotieren. Ist er doch früher als geplant aufgebrochen? Hat er ihr irgendeine Nachricht hinterlassen?

      Als sie auf den Wecker blickt, ist sie wie vom Donner gerührt; es ist bereits 10 Uhr! Jetzt sollte sie längst im Geschäft stehen! Warum hat Sonja sie denn nicht aus dem Bett geklingelt?

      Sie eilt die Stufen hinab in die Küche, um den Kaffee aufzusetzen. Anschließend hastet sie ins Badezimmer hinauf und macht sich in Windeseile fertig. Mit Erstaunen stellt sie dabei fest, dass neben seinen Utensilien auch die Handtücher, die sie ihm extra herausgelegt hatte, verschwunden sind. Irritiert durchwühlt sie den Wäschekorb. Es sind keine da! Als ob sie ihm diese nie hingelegt hätte! Keine Zeit zum Grübeln!

      Im Eiltempo kleidet sie sich an und rast zurück in die Küche. Während die Kaffeemaschine noch vor sich hin tröpfelt, setzt sie sich an den kleinen Tisch, um sich eine Zigarette anzuzünden. Wie konnte er so leise verschwinden und wo sind diese verflixten Handtücher? Wird er sich melden? Oder ist es das tatsächlich gewesen? Fahrig drückt sie die erst halbaufgerauchte Zigarette aus und beginnt ruhelos das Haus zu durchsuchen. Nichts! Keine Spur von ihm! Es scheint so, als wäre er nie da gewesen!

      Zurück in der Küche schenkt sie sich Kaffee ein. Als sie die Tasse ansetzt, um zu trinken, erblickt sie zwei ihr sehr bekannte Tickets an dem Kühlschrank. Konzertkarten!

      Ungläubig starrt sie sie an. Fassungslos stellt sie die Kaffeetasse auf den Tisch und nimmt die Eintrittskarten in die Hand. Sie wendet sie hin und her, dabei blickt sie immer wieder auf den Kalender an der Wand. Es muss Montag sein, warum hängen hier Tickets für den vergangenen Donnerstag?

      Was soll das? Hat sich Chris einen Spaß erlaubt? Aber wieso sollte er das tun?

      Nach langem Überlegen wird ihr schlagartig alles klar. Rasch muss sie sich auf den Stuhl setzten, ihr wird schlecht. Es ist tatsächlich Donnerstag und das sind ihre Tickets für das heutige Konzert von Bitter Elation. Sie war eine der Ersten, die sich Karten sichern konnte.

      Nie gab es dieses Wochenende, sie hat den Sänger nie persönlich kennengelernt, nie war sie in seinem Hotelzimmer und er lag nie an ihrer Seite. Das alles hatte nie stattgefunden. Innerlich bricht eine Welt zusammen, als ihr bewusst wird, dass sie das alles nur geträumt hat. Im wahrsten Sinne des Wortes. Das alles war nur ein verdammter Wunschtraum!

      Tränen rinnen ihre Wangen herunter. Die Wut auf sich selbst kocht in ihr hoch. Plötzlich zerspringt die Tasse vor ihr auf dem Tisch in tausend Stücke und der heiße Kaffee ergießt sich auf dem Küchenboden.

      Zeitgleich einige Hundert Meilen entfernt:

      Chris schreckt auf und ist augenblicklich wach. Hastig kramt er sein Handy aus der Hosentasche und blickt auf das heutige Datum. Es ist Donnerstag!

      Er blickt sich noch immer leicht verwirrt um. Bäume und Häuser ziehen am Fenster vorbei. Der Tourbus fährt stetig London entgegen.

      Was war das? Wer war sie? Erst nach und nach wird ihm bewusst, dass er nur geträumt hat. Allerdings war es ein sehr eindringlicher und lebhafter Traum, der ihn heftig mitnimmt. Sein Puls rast noch immer und ein merkwürdiges Gefühl wallt in ihm auf. Dazu kriecht eine unbeschreibliche Sehnsucht in ihm hoch. Noch immer kommt es ihm so vor, als könne er sie riechen und ihre Lippen auf seinem Mund spüren.

      Verzweifelt versucht er ihr Bild aus seinem Kopf zu verbannen. Er bildet sich sogar ein, dass er ihre Stimme in diesem Moment vernehmen kann und ihn zwei wundervollen grünen Augen für einige Sekunden anfunkeln.

      Seufzend kneift er die Lider zusammen und schüttelt sich. Allmählich verschwinden die Eindrücke. Wie eine sich auflösende Nebelschwade werden ihr schönes Antlitz, der Klang ihrer samtigen Stimme und ihr betörender Duft schwächer. Nur noch einmal erklingt ihr Flüstern flüchtig in seinem Kopf. Dann ist alles wie ausgelöscht.

      Erschöpft blickt er auf seine Uhr, noch eine Stunde bis Ankunft. Chris lehnt sich in den Sitz zurück, um sich kurz auszuruhen. Als sie doch erneut vor seinem inneren Auge auftaucht, muss er unbewusst lächeln. Er wehrt sich nicht und kämpft auch nicht dagegen an. Ihr Anblick erfüllt ihn mit Wärme und Geborgenheit. Mit einem wohligen Gefühl schläft er ein … LILITH!

      V

      erstört blickt sie auf die Scherben der geborstenen Tasse. Der restliche Kaffee tropft auf den kühlen Fliesenboden. Dieses platschende Geräusch kommt ihr wie ein eindringliches Hämmern auf einem Amboss vor; ein Traum … tropf … ein Wunschtraum … tropf …

      Sie presst ihre Finger an die pochenden Schläfen. Das kann alles nicht wahr sein! Wieso passiert das ausgerechnet ihr? Und warum so realistisch? Aufseufzend greift sie zum Küchentuch und wischt die schwarze Brühe auf. Dabei muss sie immer wieder an diesen verflixten Traum denken:

      Mit Sonja ist sie ohne Eintrittskarten zum Konzert nach London gefahren und durch einen außergewöhnlichen Umstand wurden sie von Chris, dem Sänger höchstpersönlich zu dem Auftritt eingeladen. Bereits Backstage funkte es bei ihr und auch er hat deutliches Interesse an ihr gezeigt. Als der Abschied nahte, wurden die beiden Freundinnen überraschend eingeladen, im Hotelzimmer der Band zu übernachten - sie blieben drei Nächte. Lilith und Chris wurden in dieser kurzen, aber sehr aufregenden Zeit ein Liebespaar.

      So etwas konnte doch auch nur ein Traum sein, schilt sie sich. Je länger sie darüber nachdenkt, desto mehr wird ihr bewusst, dass es genügend Hinweise gab, die sie im Nachhinein stutzig machen sollten. Warum hat sie diese Zeichen nicht als solche erkannt?

      Da war zum Beispiel der Satz des Gitarristen: »Wir sehen uns schneller wieder, als du denkst.« Was hatte das zu bedeuten oder interpretiert sie da einfach nur zu viel hinein? Und was war mit der verschwommenen Sicht? Manchmal hatte sie das Gefühl, als würde sich alles in Nebel auflösen. War sie dabei kurz vor dem Erwachen? Das würde zumindest so einiges erklären.

      Wie dumm und naiv von ihr zu glauben, dass das alles real wäre, als ob sich ein bekannter Sänger mit ihr einlassen würde! Aber sie weiß auch, dass sie gegen ihr Unbewusstsein nichts ausrichten kann, es ist schier unmöglich einen Traum zu steuern, zumal sie diesen Chris tatsächlich unglaublich anziehend und faszinierend findet.

      Vor acht Jahren hörte sie in einem Indie-Club zum ersten Mal ein Lied der Band und war auf der Stelle hin und weg, vorwiegend wegen seiner klaren, hohen Stimme. Sofort erkundigte sie sich bei dem DJ nach dem Namen der Gruppe. In den darauffolgenden Tagen kaufte sie direkt die beiden veröffentlichten Alben und nur wenige Monate später besuchte sie ein Konzert der bis dahin noch relativ unbekannten Jungs.

      Lilith genoss die familiäre Atmosphäre in der kleinen Veranstaltungshalle nahe ihrer Heimatstadt. Seine Bühnenpräsenz war einfach unglaublich und er sah so verdammt gut aus, noch besser als auf den Fotos, die sie bis dahin angeschaut hatte. Er wirkte schüchtern und doch zog er alle im Saal in seinen Bann, ebenso wie sie.

      Der kommerzielle Durchbruch kam nach knapp einem Jahr, aber er hob selbst dann nicht ab. In den vielen Interviews, die sie natürlich so gut wie alle mitverfolgte, gab er sich stets charmant, witzig und vernünftig. Je öfter sie ihn sah und ihm zuhörte, desto mehr nahm er einen Platz in ihrem Herzen ein. Aber verliebt? Niemals!

      Sie wollte nie zu viel

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