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schlendern sie am Seiteneingang des Rundbaus vorbei, fährt ein riesiger schwarzer Bus vor. Neugierig schaut sie auf und entdeckt den Schriftzug Bitter Elation. Es ist der Tourbus! Plötzlich wird ihr heiß und kalt zugleich, das Blut schießt ihr ins Gesicht und färbt ihre Wangen wahrscheinlich umgehend knallrot. Tief durchatmend hebt sie den Blick zu den Fenstern und erstarrt. Irgendetwas lässt sie eine der schwarz getönten Scheiben fixieren, obwohl sie logischerweise dahinter nichts sehen kann, während Sonja sie mit sich weiterzieht. Das ist auch gut so - denn kaum hält der Bus, stürmen bereits die ersten Fans herbei, um ein heiß begehrtes Autogramm zu ergattern.

      »Willst du warten? Soll ich versuchen ein Autogramm für dich zu bekommen?«, fragt die Gefährtin, die noch immer innerlich erstarrte Lilith.

      Diese schüttelt den Kopf und geht langsam rückwärts weiter. Zu faszinierend ist der Anblick, als sich die Tür geräuschlos öffnet und ein Bandmitglied nach dem anderen aussteigt. Der Sänger verlässt als letztes den Bus. Wie angewurzelt bleibt sie stehen.

      Obwohl sie sich bereits etliche Meter vom Bus entfernt haben, kann sie erkennen, dass er sie sofort fixiert und sie regelrecht mustert. »Sag mir bitte, dass ich mich täusche«, flüstert sie, unterdessen sie nicht aufhören kann ihn weiter anzustarren.

      »Nein, du täuschst dich wirklich nicht, außer wir brauchen beide eine Brille. Ja, er schaut dich tatsächlich an.«

      Dann wendet er endlich den Blick von ihr ab. »Lass uns von hier verschwinden!«, sagt Lilith beinahe erleichtert und zieht an Sonjas T-Shirt.

      »Warte!«, sagt diese auf einmal und nun ist sie diejenige, die einen Punkt in der Menge vor sich fixiert.

      »Was ist los?«

      »Ich weiß es nicht genau, aber irgendetwas ist da. Ich kann es nicht beschreiben. Aber es fühlt sich … vertraut an«, antwortet sie.

      Sofort betrachtet sie ebenfalls aufmerksam die Menschenansammlung und plötzlich nimmt auch sie das unbekannte und dennoch vertraute Gefühl wahr. »Was ist das?«

      »Ich weiß es nicht. Aber es ist verdammt stark! Los lass uns gehen!«, sagt die Freundin hastig.

      Noch immer versucht Lilith die Ursache der Empfindung zu ergründen und erkundet noch einmal rasch die Menge. Da erblickt sie den Sänger erneut. Abermals mustert er sie und sie bemerkt einen Funken des Wiedererkennens in seinen Augen. »Oh nein! Was habe ich getan?«, stammelt sie bestürzt.

      Schnell dreht sie sich herum und die beiden eilen über die breite und stark befahrene Hauptstraße, in den Park. An einer Parkbank halten sie endlich an und setzen sich, um zu verschnaufen.

      »Was ist denn los, Süße?!«, fragt Sonja sie besorgt.

      Sie kann es aber nach wie vor nicht begreifen, immer wieder stammelt sie: »Er hat mich erkannt! Was habe ich getan?«

      »Nichts Schlimmes, nichts Böswilliges und vor allem war es keine Absicht, oder?«, versucht die Begleiterin sie zu beruhigen. »Es war dein Unbewusstsein, das kannst du im Schlaf nicht so einfach steuern! Vergiss es, okay?«

      Es war also nicht nur eine Tasse gewesen, im Gegenteil - sie hatte wirklich komplett die Kontrolle verloren und war sich dessen bis gerade eben nicht einmal bewusst.

      »Das darf mir nicht passieren!«, presst sie hervor.

      »Das darf niemandem passieren, aber du konntest ja nichts dafür, Süße! Ich flehe dich an: Vergiss es, denk nicht mehr darüber nach! Du weißt, was sonst passieren kann.«

      Lilith ist froh jemanden an ihrer Seite zu haben, mit dem sie über ihr Geheimnis sprechen kann. Sie nimmt allen Mut zusammen und erzählt ihr von der geborstenen Tasse. Die Freundin schaut sie wie vom Blitz getroffen an.

      Nach einer Weile sagt sie: »Okay. Das hättest du mir heute Mittag erzählen sollen. Aber gut, das tut nun auch nichts mehr zur Sache. Konzentrier dich, mach es wie immer, dann geht es dir auch wieder besser!«

      »Was meinst du, ob er mich tatsächlich erkannt hat oder hatte er nur eine Art Déjà-vu?«, hakt sie noch einmal nach.

      »Wahrscheinlich hat er nur einen Verdacht. Ich glaube nicht, dass er wirklich weiß, wer du bist«, entgegnet Sonja. »Mach dir mal keinen allzu großen Kopf darum.«

      Wenn es nur so einfach wäre! Immerhin war der Traum teilweise ausgesprochen leidenschaftlich. Erneut errötet sie leicht. Ungern muss sie zugeben, dass er zumindest einen Teil davon geträumt haben muss. Es ist ihr unendlich peinlich und würde sich wünschen, dass sich der Boden unter ihren Füßen auftun würde, um sie mit sich zu reißen. Aber ihre Süße hat recht.

      Tief durchatmend fixiert sie die vor ihr spielenden Kinder. Allmählich wird sie ruhiger, das Zittern lässt nach, ihr Herz rast nicht mehr so heftig. Sie greift in ihre Tasche und holt ihre Zigaretten heraus. Während sie raucht, genießt sie die warmen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut und schließt für kurze Zeit ihre Augen. Ein leichter Wind fährt durch die Zweige der Bäume um sie herum und lässt die Blätter leise rascheln. Erst jetzt nimmt sie auch das Vogelgezwitscher, die lachenden Kinderstimmen und die sich unterhaltenden Spaziergänger wahr.

      Ihr wird klar, dass sie nichts mehr ändern kann. Was passiert ist, ist passiert! Mit dieser Einsicht verbessert sich ihre Gemütsverfassung von Minute zu Minute. Etwas weiter entfernt spielen Jugendliche lautlachend Frisbee. Schmunzelnd erinnert sie sich an das Spiel am See in ihrem Traum. Ob die Bandmitglieder das wirklich tun würden - so einfach mit fremden Frauen ausgelassen herumzutoben?

      Daraufhin schaut sie sich neugierig um. Für einen Wochentag herrscht reges Treiben in dem Park und das am frühen Nachmittag. Etliche Mütter sitzen auf den Bänken, manche mit Kinderwagen vor sich und lassen ihre Kinder miteinander tollen. Radfahrer sausen an ihnen vorbei und einige lümmeln tatsächlich leicht bekleidet auf den weitläufigen Wiesen, ähnlich wie sie es sich in ihrem Traum ausgemalt hatte. Sie lag also gar nicht so falsch, aber sicherlich sieht es in fast allen Parks auf der Welt bei solch einem großartigen Wetter aus.

      Sonja meint auf ihre Uhr blickend: »Wir sollten langsam hinübergehen.«

      Zustimmend erhebt sie sich und hakt sich bei der Freundin unter. Während sie zum Haupteingang zurückbummeln, unterhalten sie sich und nach und nach gewinnt sie ebenso an Sicherheit zurück. Der Besucherstrom vor der Halle hat nachgelassen, da sie länger im Park saßen als gedacht. Am Eingang zeigen sie ihre Tickets vor und betreten das großartige Bauwerk. Im Inneren des Gebäudes müssen sie sich durch die Massen kämpfen, um sich an einer der ewig langen Warteschlangen an der Bar anzustellen.

      Als sie endlich ihre Getränke in den Händen halten, gehen sie zu ihrer Loge im zweiten Stockwerk hinauf. Dort sitzen bereits drei sehr junge Frauen oder eher Mädchen, die sich angeregt unterhalten und die beiden Freundinnen gar nicht beachten. Diese gehen nach vorn an die Brüstung und setzen sich auf ihre Plätze. Es war eine sehr gute Idee, sich die Sitze direkt am Geländer zu sichern.

      Ihre Loge befindet sich linker Hand der Bühne und bietet eine fantastische Sicht auf die Tribüne und den gesamten Saal. Die Sessel und Logenwände sind mit rotem, etwas verschlissenem Samt bezogen. Sie fährt über den warmen, weichen Stoff, trotz der Risse und des Abriebs wirkt er noch edel. Überwältigt blickt sie sich im Saal um, als sie dabei nach oben schaut, entdeckt sie die riesigen Lampen, die die Kuppel zieren. Die riesige Orgel, die eigentlich im Hintergrund der Bühne thront, wurde mit einem übergroßen schwarzen Vorhang abgehängt.

      Aufgeregt rutscht sie auf ihrem Stuhl herum. »Ich kann es immer noch nicht glauben, dass wir wirklich hier sind. Das wird bestimmt großartig!«, sagt sie kichernd. Sie fühlt sich in diesem Moment wie ein Teenager und nicht wie 32. Sonja stimmt ihr auflachend zu. Auch sie ist nervös, was für sie wirklich ungewöhnlich ist. Allerdings hat sie, im Gegensatz zu ihr, die Band noch nie live gesehen.

      Da wird das große Licht abgeschaltet und die Vorband betritt die Bühne. Sofort erstrahlen die Scheinwerfer. Mit einem Mal verstummt das laute Stimmengewirr der Zuschauer und wird von einem tosenden Applaus abgelöst. Lilith kennt die Band nicht, aber sie klingen gut. Sofort ist sie im Konzertfieber und vergisst für eine ganze Weile, wen

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