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Wieder einer dieser Tage. Reiner Jansen
Читать онлайн.Название Wieder einer dieser Tage
Год выпуска 0
isbn 9783750219168
Автор произведения Reiner Jansen
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Gott sei Dank, ich bin runter von diesem Schiff der Verdammten.
Bei dem Gedanken an gestern zuckte er unwillkürlich zusammen, er wollte sich nicht wirklich erinnern, schon gar nicht an das Ende dieses unerquicklichen Tages, der die Werte des christlichen Abendlandes doch arg ramponiert zurückgelassen hatte, einem qualmenden Trümmerhaufen gleich. Denn die schönen Tugenden schienen kaum über die eigenen Landesgrenzen hinaus zu reichen. Das evolutionäre Erbe jener Gattung von Affen, die sich Menschen nannten, trat unleugbar immer dann zutage, wenn fremdartige Gesichter in ihr Blickfeld traten. „Fremd“ war in der ganzen langen Menschheitsgeschichte immer ein Synonym für Gefahr gewesen, das ließ sich nicht innerhalb weniger Generationen abstellen. Der Alarm war fest installiert, und man konnte sich lediglich dahingehend trainieren, den schrillen Warnton sofort nach dem Ertönen wieder abzustellen. Nur wenn man sich dauerhaft unter fremdartigen Gesichtern bewegte, konnte man die Verdrahtung des Alarmes vollständig kappen. Denn nach einiger Zeit akzeptierte das Gehirn diese Gesichter als vertraut. Gelegentlicher Kontakt hingegen reichte in der Regel nicht aus, die uralten Verhaltensmuster zu durchbrechen.
Hinzu kam eine eigentümliche Vorstellung von „Besitz“, nach dem Motto: Das ist schließlich UNSER Land“.
Einspruch euer Ehren, dachte Arthur an dieser Stelle seiner üblichen Reflexion des letzten Tages. Das ist nicht „euer“ Land. Wir waren alle durch Zufall irgendwo auf der Erdoberfläche geboren worden und hatten keinerlei daraus ableitbare Eigentumsansprüche. Niemandem gehörte wirklich ein Stück Erdoberfläche. Im Grunde genommen war sogar das private Grundstück schon problematisch, auch wenn Arthur das nie so ausgesprochen hätte, denn man würde ihn wohl als Kommunisten bezeichnet haben, ein Schimpfwort in der modernen, aufgeklärten Welt.
Dass aber ganze Erdteile zu No-Go-Areas für Woanders-Gebürtige erklärt wurden, konnte offensichtlich nicht ethisch gerechtfertigt werden.
Denn die Sache war doch die: Der Mensch konnte - Stand heute - nur auf der Erdoberfläche dauerhaft leben. Diese war jedoch eine knappe Ressource und konnte daher nicht so einfach von kleinen Gruppen für sich vereinnahmt werden. Neueste Ergebnisse aus der Astronomie legten nahe, dass mindestens 50% des Universums NICHT aus Erdoberfläche bestanden! Genauer gesagt, deutlich über 50%. Also sehr deutlich über 50%, man könnte fast sagen, der größte Teil des Universums war erdoberflächenfrei.
Somit musste dieses knappe Gut sehr verantwortlich aufgeteilt werden, seiner Meinung nach. Diese Sichtweise schien sich jedoch nicht so recht durchsetzen zu wollen.
Es wurde als völlig selbstverständlich hingenommen, dass Konzerne große Waldgebiete als ihr Eigentum betrachten konnten, und nach Bedarf rodeten. Jeder darf doch mit seinem Eigentum tun, was er möchte, oder? Wie klein die Welt tatsächlich war, hatte Arthur zum ersten Mal so richtig verstanden, als eine der Voyager Raumsonden noch einmal ein Foto zurückgeschickt hatte.
Darauf zu sehen waren auf den ersten Blick nur Sonnenstrahlen, doch in einem davon funkelte ein kleines Körnchen im warmen Licht unseres Zentralgestirns. Alles, was sich je ereignet hatte, jeder Krieg, jede Freude, jedes Leid, jedes einzelne Ereignis in den Geschichtsbüchern hatte sich auf diesem Körnchen Materie abgespielt, geformt aus dem Auswurf eines sterbenden Sternes in der Region, in der sich heute unser Sonnensystem befindet. Beim Betrachten dieses Fotos hatte ihn ein Gefühl der Unwirklichkeit beschlichen, als wäre dies alles nur ein Wachtraum.
„Von einem Schatten der Traum, ist der Mensch“ hatte ein alter Grieche einmal vor langer Zeit philosophiert – seinerseits auf eben jenem einzigartigen Staubkorn im gleißenden Sonnenlichte sitzend. Die Welt war so unfassbar klein, nur umfassende Kooperation konnte das Überleben der gesamten Spezies angesichts der knappen Ressourcen sichern.
Das alles konnte sich Arthur in Ruhe überlegen, weil er wieder mal sturmfreie Bude hatte. Der Typ, in dessen Körper er heute steckte, Robert hieß er wohl, Bob, hatte sich reichlich zugedröhnt, und war noch nicht ansprechbar. Immerhin schien er noch im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte zu sein, nur eben total weggetreten. Wie er das hasste, wenn Leute nicht auf sich achteten, ihrem biologischen Körper keinen Respekt zollten!
Genau genommen war es natürlich egal, da man ja nur jeweils einen einzigen Tag anwesend war, aber das konnten sie ja nicht wissen, die Ahnungslosen. Entgegen seiner sonstigen Gewohnheit öffnete er diesmal die Augen sofort und erblickte über sich nicht etwa eine weißgetünchte Zimmerdecke oder gar blauen Himmel mit fröhlich zwitschernden Vöglein – nein, auch heute wieder kein Glück. Die beschissenen Szenerien schienen in der Überzahl zu sein, obwohl sich Arthur immer noch nicht sicher war, ob er durch einen repräsentativen Querschnitt der menschlichen Gesellschaft wanderte, vom Zufall mal dorthin, mal hierhin geweht, oder ob seine Stationen einem verborgenen Muster folgten. Falls ja, hatte er es noch nicht erkennen können.
Immerhin hatte er schon viel Elend mitansehen müssen. Aber vielleicht war die Welt auch einfach so, wenn man sich außerhalb der Gestade der Insel der Glückseligen befand. Diese hatte er gestern nicht erreichen können, soviel sei noch erwähnt, dann soll für immer der Mantel des Schweigens über jenes verhängnisvolle Flüchtlingsboot gelegt werden. Gefunden wurde es übrigens nie.
Einige Minuten betrachtete er die niedrige Betondecke über sich und verfolgte das Netz aus feinen Rissen mit den Augen. Hier sollte mal ein Statiker einen Blick drauf werfen, befand er. Okay, zurück zu Bob. Er war also heute dieser Bob, früher Geschäftsmann, Inhaber eines kleinen Handwerkbetriebes, Familienvater, Ehemann. Dann schlich sich die Spielsucht langsam in sein Leben und füllte mehr und mehr eine Leere aus, die er schon als kleiner Junge zu empfinden begonnen hatte.
Wie es dann so geht, war schnell erzählt. Arthur rief hierfür nur die wesentlichen Stationen aus seinem neuen Gedächtnis ab:
Das Geld wurde knapp, er wurde ein Arschloch, Frau weg, Kinder weg, Haus weg, zu viel Alkohol, natürlich, und mit dem letzten Geld war er schließlich zu seiner neuen Geliebten gezogen, der Spielerhölle Las Vegas.
Dort also befand er sich gerade. Genauer gesagt, etwas darunter, denn überirdisch war es nicht nur zu heiß, sondern vor allem zu teuer für Pleitegeier wie ihn. Wie hatte sein Leben nur so schnell so völlig außer Kontrolle geraten können? Dass er einmal als - er musste sich zwingen es auch nur in Gedanken auszusprechen - Obdachloser enden würde, ohne Sinn und Ziel im Leben, das war angesichts seiner guten schulischen Leistungen nicht absehbar gewesen. Doch gerade die Selbständigkeit barg eben dieses Risiko des Totalabsturzes.
Man sagte ja immer, wer einmal längere Zeit selbständig gewesen war, konnte keinen Chef mehr ertragen, sich nicht mehr unterordnen. Doch das Ausmaß an psychischem Druck, dem der Firmeninhaber ausgesetzt war, wenn sich abzeichnete, dass sich das Geschäft wohl auf Dauer nicht tragen würde, dass die Ausgaben immer etwas höher zu sein schienen als die Einnahmen, egal wie gut es diesen Monat gelaufen war, das konnte sich niemand vorstellen, der nicht dasselbe durchgemacht hatte. Denn man sieht vor seinem geistigen Auge all jene Menschen lachen und mit dem Finger auf einen zeigen, denen es von Anfang an klar gewesen war, dass es sich um eine dämliche Schnapsidee gehandelt hatte. So was kauft doch niemand, waren sie sich einig gewesen. Und man hatte es ihnen allen zeigen wollen. Denn die eigene Firma kam ja nicht nur einem Verlassen des Hamsterrades gleich, sie brachte zugleich die Möglichkeit mit, aus eigener Kraft, ganz ohne Lottoglück, reich zu werden. Wie sollte man das sonst bitteschön bewerkstelligen, binnen einer knapp bemessenen Lebenszeit?
Mit harter Arbeit als Angestellter etwa, um pünktlich zum Lebensende sein Reihenhäuschen abbezahlt zu haben!? Für das Erbe der Kinder?
Das war doch Bockmist!
So stand es jedenfalls in diesen Erinnerungen zu lesen, es war immer wieder so gedacht worden. Dieser Bob war wohl ein kleiner Revoluzzer, ein Nonkonformist, dachte Arthur amüsiert. Langsam lichtete sich auch der Nebel des Alkohols in ihrer beider Gehirn, so dass die Denkerei nicht mehr einem mühsamen Waten durch zähe Molasse glich. Obwohl natürlich