ТОП просматриваемых книг сайта:
Wieder einer dieser Tage. Reiner Jansen
Читать онлайн.Название Wieder einer dieser Tage
Год выпуска 0
isbn 9783750219168
Автор произведения Reiner Jansen
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Aber als Chef der Notenbank durfte er jeden Bänker des Landes mit der Waffe bedrohen. Niemand würde Anzeige erstatten, soviel war klar. Arthur warf die Waffe achtlos in eine Schublade und setze sich an seinen angestammten Platz am Kopfende des Tisches. Netter Ausbruch, alter Knabe, kam es ihm in den Sinn, aber natürlich völlig wirkungslos. Keiner der Geflüchteten würde zur Rechenschaft gezogen werden, egal wie sehr er polterte. Die Fehler waren über viele Jahre gemacht worden, die eingebrockte Suppe aus Hochrisiko-Krediten durfte der auslöffeln, der sie immer auslöffelte: Der kleine Mann. Guten Appetit. Auf dem Weg nach Hause, auf dem Rücksitz einer Limousine mit offenbar aus gutem Grund gepanzerten Scheiben zerbrach sich Arthur den Kopf darüber, was er in seiner gegenwärtigen Position noch erreichen könnte. Wenn man doch nur etwas Vorbereitungszeit hätte! Ein Tag war verdammt wenig, wenn man sich zuerst in den neuen Körper einleben und dessen Erinnerungen durchforsten musste. Das war immer ein aktiver Prozess, denn das Gedächtnis spuckt nur auf gezielte Anfrage etwas aus.
Wo war er? Wer war er? Was war er? Welche Schulen hatte er besucht, welche Karriere gemacht? Meist war er Mitglied im Club der einfachen Leute, logischerweise, wie es die Statistik gebot, denn diese Gruppe stellten ja den Großteil der Weltbevölkerung.
„Jeder Einzelne kann etwas verändern“, sagt man immer.
„Weit gefehlt“, murmelte Arthur grimmig zur Antwort.
Nicht einmal der viel gerühmte Notenbankchef kann etwas verändern.
Es geht immer nur um die Verwaltung der Katastrophen und natürlich um Schadensbegrenzung. Auch um die Wiederherstellung von Vertrauen. Modernes Geld basiert in erster Linie auf Vertrauen, da es keinen echten eigenen Wert besitzt. Eventuell kann sachte an kleineren Stellschrauben gedreht werden, mehr nicht. Den berühmten „großen Wurf“ gab es nicht, den würde das System auch gar nicht verkraften, - oder zulassen.
Arthur wurde fast schwindelig, wenn er das Wissen des Fed-Bosses über Geld abrief. Was „Geld“ eigentlich war, wie es entstand, also „erzeugt“ wurde. Nicht etwa in den Notenpressen der Druckereien, nein, das war nur ein vernachlässigbarer Bruchteil der gesamten Geldmenge auf diesem Planeten. Dieses Geld war sehr real. Zu real für die Tricks der Finanzprofis. Es war das, was Otto Normalverbraucher gemeinhin unter „Geld“ verstand. In diese Kategorie fiel auch das rein digitale Geld, das nur in den Computern der Banken existierte. Um dieses zu erzeugen, musste keine Presse angeworfen werden. In den Stunden vor der Sitzung hatte Arthur seine Zugangsrechte als Big Boss genutzt und sich in den Zentralrechner der Bank eingeloggt. Dort entstand das Geld, wie er schnell verstanden hatte. Mit ein paar Klicks war er auf der richtigen Eingabemaske gelandet:
<Neues Konto anlegen>
Er gab einen Phantasienamen ein, Ford Prefect, und eröffnete ein Konto. Als Kontostand wurde 0 angezeigt. Noch.
Den feinen Unterschied zwischen einen armen Schlucker und einem Multimillionär machten ein paar Fingerbewegungen über die Tastatur.
Denn so unfassbar es Arthur anfangs erschien, auf diesem Computer ließ sich das Feld mit dem aktuellen Kontostand editieren. Also beliebig verändern. Es war schließlich reine Software, Einsen und Nullen in einer elektronischen Datenbank. Wo sollte das Problem sein?
Es war kinderleicht.
Lange noch konnte er die Faszination dieses Momentes nachfühlen.
Zunächst zögerlich, mit zitternden Fingern, hatte Arthur eine Zahl eingetippt. Erst eine 1, dann eine Null, und noch eine, und noch eine. Nach sechs Nullen hörte er auf und klickte auf „speichern“, während ihm ein Schweißtropfen an der Nasenspitze hing. Der Rechner surrte kurz, die Datenleitung blinkte, und der Vorgang war abgeschlossen. Es gab nun ein neues, international anerkanntes Konto. Mit einer Million Dollar echten Geldes darauf. Das konnte überwiesen, abgehoben oder beliebig für Zahlungen verwendet werden. Es war so echt wie es nur ging. Die perfekte Fälschung, die somit aufhörte, eine Fälschung zu sein. Erzeugt binnen Sekunden, wofür der brave Arbeiter sein ganzes Leben – oder länger – ackern musste. Mit nur ein paar Mausklicks. Arthur hatte es kaum fassen können, wie einfach es hier war, unter die Zauberer zu gehen.
Er hatte soeben eine Million Dollar herbeigezaubert. Applaus, Applaus!
Eine Bank konnte also Geld einfach so „erfinden“! Dann war es einfach da.
Faszinierend, Captain, hätte der Typ mit den spitzen Ohren jetzt gesagt.
Er konnte sich nicht erinnern, im Schulunterricht jemals über dieses Detail informiert worden zu sein. Doch auch dieses digitale Geld, wenngleich viel mehr als das reale Papiergeld, war nur ein kleiner Farbtupfer im globalen Bildnis Mammons. Der weitaus überwiegende Teil des Geldes bestand in… Tja, man konnte es nicht anders sagen... Wetten. Er musste etwas tiefer im Kopf des obersten Bänkers stöbern, um auch nur im Ansatz zu verstehen, wie es sich damit verhielt. Es waren Wetten auf Marktentwicklungen, auf Kursentwicklungen, aber vor allem Wetten darauf, wie andere Wetten ausgehen würden. Und diese Wetten ließen sich zu Paketen bündeln, auf die wiederum, richtig, Wetten abgeschlossen werden konnten. Der Hebel („leverage“ genannt, im Kopf des Bänkers) wurde dabei immer größer, das Risiko natürlich auch. Die Geldwirtschaft hatte sich längst verselbstständigt und kreiste nur noch um sich selbst.
Der Teil von ihr, der tatsächlich „arbeitete“, also an der realen Wirtschaft partizipierte, war verschwindend gering. Es war an Absurdität nicht zu überbieten und zog eine unvermeidliche Konsequenz nach sich: Die Schere zwischen arm und reich würde sich weiter öffnen, auch wenn das in der sogenannten „1. Welt“ nicht offensichtlich war, da es hier – noch – einen Mittelstand gab. Wie lange noch? Wann würde der gesellschaftliche Friede brechen, ab wann sich die Reichen in bewachten Vierteln einschließen müssen, wie es heute in Südamerika bereits der Fall war?
Auch nachdem er vermittels eines der Dienstmädchen seines Anwesens, wie jeden Mittwoch und Samstag, sexuelle Befriedigung erlangt hatte und sich zur Ehefrau des Bänkers ins Bett legte, hatte er darauf noch keine Antwort gefunden. Offenbar wusste sie auch der Chef der amerikanischen Notenbank nicht, was Arthur zum einen beruhigte, zum anderen erschütterte. Das Geld führt uns alle am Gängelband durch die Manege, und wir müssen alle springen, wenn es ruft. Geld ist nicht alles, aber ohne Geld ist alles nichts, so musste man leider feststellen. Alle Annehmlichkeiten dieser Welt konnten mit Geld erworben werden, es vermehrte sich zudem aus sich selbst heraus, ein gar eigenartig Ding war es. Nein, hier gab es für Arthur nichts mehr zu tun, keine Einzelperson konnte diesen monströsen Geist zurück in die Flasche zwingen.
Die Zeiten der durch Gold gedeckten Geldmenge war lange vorbei und würde nie mehr wiederkehren. Doch die Zahlen und Größenordnungen im Kopf des obersten Bänkers stellten alle seine bisherigen Vermutungen in den Schatten, es war einfach jenseits des menschlich Vorstellbaren.
In solchen Momenten sehnte sich Arthur in sein altes, sein erstes und eigentliches Leben zurück, in den Körper, der nurmehr von Maschinen am Leben gehalten wurde, der sein ewiges Gefängnis sein sollte, aus dem ihm aber dennoch der Ausbruch gelungen war. Warum auch immer.
Seine Erinnerung an den fraglichen Tag stand ihm klar wie ein Film vor Augen, der Tag, an dem er von der Arbeit heimgekehrt war und sich anschickte, den frisch angelieferten Küchenherd anzuschließen. Damit der Teekessel wieder sein fröhliches Liedchen pfeifen konnte.
Sollen wir nicht eine Profi anrufen? hatte seine Frau mehrfach gefragt. Das sei doch gefährlich mit dem Starkstrom…?
Papperlapapp, hatte er gedacht, die Kabel aus der Wand waren schön bunt, und passten farblich zu denen, die das Gerät vorzuweisen hatte. Einfach die jeweiligen Enden miteinander verbinden, eine Sache von 10 min, dann wäre das Prachtstück einsatzbereit, Null Problemo!, hatte er damals enthusiastisch erklärt. Und war fröhlich ans Werk gegangen.
Die richtige Sicherung in die richtige Stellung zu schalten, das war natürlich Voraussetzung für gefahrloses Arbeiten an der Hauselektrik. Und wenn alle Sicherungen korrekt beschriftet sind, ist das auch überhaupt kein Problem. Wenn.
Doch manchmal stimmen die Beschriftungen nicht, wie er feststellen musste.