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Wieder einer dieser Tage. Reiner Jansen
Читать онлайн.Название Wieder einer dieser Tage
Год выпуска 0
isbn 9783750219168
Автор произведения Reiner Jansen
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
An der Decke drei kahle Glühbirnen, keine LEDs, ts ts, dachte denn hier niemand an die Umwelt?? Weiter. Einrichtungsgegenstände: keine.
Hmmmm. Keine war ziemlich minimalistisch. Allerdings hätten auch keine Möbel Platz gehabt, denn der Raum war keineswegs leer. Der Schock traf Arthur nicht allzu hart, da er doch noch etwas tiefer in seinem Gedächtnis gegraben hatte, und auf die Szenen seiner Verhaftung und Aburteilung gestoßen war. Ohne Anwalt und rechtsstaatliches Verfahren ging so was echt zügig vonstatten, dachte er anerkennend.
Das sparte auch ungemein Steuergelder ein. Generell war es grundsätzlich keine schlechte Sache, wenn überbordende Bürokratie abgebaut wurde. Und schuldig war er ja nun zweifelsohne gewesen, er, also der José, den er heute steuerte, durch einen hoffentlich erträglichen Knast-Tag. Mal sehen, was die Duschen an Überraschungen zu bieten hatten. Würde er sich heute wohl nach der Seife bücken? Beinahe hätte er laut aufgelacht. Er war doch mittlerweile ziemlich abgebrüht, nach über zwei Jahren seiner skurrilen Wanderschaft. Es mangelte ihm immer öfter an der nötigen Ernsthaftigkeit.
Aber wenn man jeden Tag jemand anderes war, wie sollte man da überhaupt noch etwas ernst nehmen? Auf jeden Fall brauchte man ein Ziel, auf das man hinarbeiten konnte, um nicht in völlige Lethargie zu versinken. Sein nobles Ziel war die Verbesserung des Allgemeinzustandes der Welt, und damit einhergehend die experimentelle Analyse dessen, was denn nun tatsächlich der Einzelne an einem Tag verändern konnte.
Denn das sagte man doch immer so? Dass jeder etwas bewirken konnte?
Aber war da wirklich etwas dran? Konnte man? Wirklich?
Es war gar nicht so einfach, wie sich herausgestellt hatte. Nicht einmal der verfluchte Notenbankchef konnte mehr tun, als an winzigen Stellschrauben zu drehen. Es war stets so, als würde man versuchen, mit ein paar Paddel-schlägen rechts oder links des Rumpfes, den Kurs eines Kreuzfahrtschiffes zu ändern. Man konnte sich redlich abmühen, aber es brachte keinen messbaren Erfolg. Dennoch würde er es beharrlich weiter versuchen, bis seine Reise auf die eine oder andere Weise endete.
Was passieren würde, wenn der Körper, in dem Arthur das Licht der Welt erblickt hatte, seine Funktion schließlich einstellte, vermochte er nicht zu sagen. Möglicherweise wäre es das Ende seiner Reise, aber würde er dann in dem Körper steckenbleiben, den er zu diesem Zeitpunkt bewohnte? Und am Ende mit diesem sterben? Na ja, das würde sich schon zeigen, es war müßig darüber zu spekulieren. Immerhin würde er für den Fall, dass er sich weiterhin erinnerte, keine finanziellen Sorgen haben, hatte er doch bereits an Tag 27 seiner Wanderschaft einen genialen Einfall gehabt:
Er transferierte Geld auf ein Nummernkonto, dessen Zugangsdaten er immer als Erinnerung mit sich trug. Im Laufe der Zeit hatte sich darauf ein ordentliches Sümmchen angesammelt. Regelmäßig kontrollierte er den Kontostand, so denn ein Internetzugang verfügbar war. Zur Not aus einem Internet-Café heraus, wozu er aber nur selten gezwungen war. Die meisten Leute verfügten heute glücklicherweise über einen privaten Anschluss.
So abgelegen konnte der Winkel der Welt gar nicht sein, in den es ihn verschlug. Für seine Zukunft hatte Arthur also bereits vorgesorgt, wie man es von einem Buchhalter und Finanzberater erwarten durfte. Zuletzt hatte der Chef der amerikanischen Notenbank ihm ein ganzes Monatsgehalt überwiesen. Wirklich nett von dem Kerl. Und er würde keine Anzeige erstatten, da er sich natürlich daran erinnerte, es selbst getan zu haben.
Nur der Grund war schwer zu begreifen. Was war nochmal der Anlass gewesen? Es fühlte sich für diesen Typ vermutlich so an, als wäre er gar nicht er selbst gewesen, auch wenn er sich an alle Details dieses Tages erinnerte. Er hatte bei einer Sitzung die Beherrschung verloren, seine Waffe aus dem Büro geholt. Ob der Rücktritt des alten Ben kurz nach Arthurs Intermezzo darin seine Ursache hatte? Dass er sich seitdem selbst nicht mehr voll vertraute, sich gar die Zurechnungsfähigkeit absprach?
Vielleicht sogar intensiver psychologischer Betreuung bedurfte? Das scherte Arthur nicht. Mit diesem geldgeilen Gesindel hatte er keinerlei Mitleid. Aber es machte ja ohnehin keinen Unterschied, wer dort im Chefsessel saß. Die verschlungenen Pfade des globalen Kapitals kannte schon lange niemand mehr vollständig, der Überblick war mit der Einführung des Computerhandels endgültig verloren gegangen. Das Netzwerk des Mammon war zu komplex geworden, für unsere kleinen Köpfe. Alles, was blieb, war geschäftig an Stellschrauben zu drehen und zu hoffen, dass es weiterhin funktionierte, dass der kleine Mann auf der Straße dem Befehl des Kapitals weiterhin Folge leistete, brav in seinem Hamsterrad lief, und vor allem, das hatte höchste Priorität, an den Wert der bedruckten Zettelchen glaubte, in der modernen Form mehr Stoff als Papier, die man „Geldscheine“ nannte. Dann ging alles weiter seinen gewohnten Gang. Bis zur nächsten Krise, versteht sich.
Nach diesen betrüblichen Gedankengängen hatte Arthur jegliche Lust verloren, den Raum, in dem er gegenwärtig lag, näher zu untersuchen, aber er rang sich dann doch dazu durch. Der Raum war wie gesagt bar jeden Mobiliars, aber nicht leer. Genaugenommen war er randvoll, zumindest was den Fußboden anging: Dort lagen, dicht aneinander gedrängt, dutzende Männer aller Altersklassen, nicht unähnlich dem gestrigen Filmset, eine Bandbreite von Teenagern bis alten Männern, die auf diese Weise schlafend die Nacht verbracht hatten. Eben waren die nackten Glühbirnen eingeschaltet worden, die schnörkellos an Kabeln von der Betondecke hingen. Erstes Murren wurde laut.
Von anderer Stelle drang noch Schnarchen zu ihm herüber. Durch ein kleines vergittertes Fensterchen dicht unter der Decke war fahles Tageslicht zu erkennen.
Die frische Morgenluft, die hereinwehte, machte auf dem Absatz wieder kehrt, angesichts der quasi schnittfesten Ausdünstungen von etwa drei Dutzend ungepflegter Männerkörper. Arthur musste einen Würgereiz unterdrücken, als er sich auf die Wahrnehmung seines olfaktorischen Sinnesorgans konzentrierte.
Man konnte es nicht diplomatischer Ausdrücken: Es stank bestialisch in dieser Zelle des Zentralgefängnisses von Kolumbiens Hauptstadt Bogotá, Abteilung Langzeithäftlinge, alle Anwesenden mit Mord bzw. organisierter Drogenkriminalität auf dem Kerbholz. Eine feine Gesellschaft.
Zwölf Jahre hatten sie ihm aufgebrummt, dem alten José, da er bei seiner Verhaftung bereits in den inneren Zirkel des Kartells aufgestiegen war. Die einzige Karriere, die er jemals hatte erwarten können, angesichts seiner Herkunft aus einem Armenviertel. Arthur verurteilte ihn nicht, da er die Ausweglosigkeit in den fremden Gedankenspuren lesen konnte. Langsam regten sich jetzt die Körper um ihn herum, und unterbrachen seine Erkundungsreise in ein vergangenes Leben, mit all seinen Hoffnungen und Träumen, dem Scheitern und der Verzweiflung, der emotionalen Abstumpfung und schließlich der Fügung in ein alternativloses Schicksal.
Die Verrichtung der morgendlichen Notdurft in einem kleinen Verschlag in der Ecke, der ein Plumpsklo beherbergte, war ebenso ekelerregend wie entwürdigend. Keiner der Männer hier schien sich mehr daran zu stören, der Mensch kann sich wohl an fast alle Lebensumstände gewöhnen, so grausig sie auch sein mögen. Dann wurde das Frühstück gereicht, eine undefinierbare Pampe aus Mais und Weizengrieß, nur der Hunger trieb es hinein. Arthur hatte gelesen, dass es in solchen Gruppen ähnlich einem Wolfsrudel eine feste Hackordnung gäbe, und er bemühte sich, keinen Schnitzer zu machen, der ihm, also José, gefährlich werden konnte. Allein der Fehler, ranghöheren Rudeltieren in die Augen zu schauen, konnte unter solch extremen Umständen bereits das Leben kosten, das war die harte Realität. Während der gesamten Dauer des Freigangs im Innenhof der schwer gesicherten Anstalt blieb sein Blick daher auf den Boden gerichtet. Dennoch nagte ein unangenehmes Gefühl an ihm, eine Sorge, deren Ursache er noch ergründen musste. Irgend etwas war kürzlich vorgefallen, das teilte ihm sein Unterbewusstsein mit.
Vor einigen Tagen musste es gewesen sein, also vor Arthurs Gastspiel in José, den er nun möglichst unbeschadet durch diesen Tag zu steuern versuchte. Nicht ganz uneigennützig, denn Arthur hatte keine Ahnung, was passieren würde, wenn sein Wirt zu Tode kommen sollte. Würde seine Reise dann abrupt enden? Wäre er dann ebenfalls tot, nach dem Motto: Die Uhr mag stehen, der Zeiger fallen – es sei die Zeit für mich vorbei, oder würde er sich wieder eingeschlossen finden in seinem vollständig gelähmten Körper, der sterblichen Hülle des Arthur D. im fernen England?
Das wollte er um jeden Preis