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Was sich aber gerade nach einer guten Nummer als äußerst schwierig darstellte, wie jeder Kerl bestätigen kann.

      Arthur seufzte leise.

       Morgen wollten sie ihn in die große Strafanstalt überstellen, um seine Untersuchungshaft anzutreten. Also Brian, genau genommen. Den Penner, dem man nun, dank ihm, neben Kreditkartenbetrug auch versuchten Missbrauch Minderjähriger unterstellte, da er sich an einen kleinen Jungen herangemacht hatte.

      Oder zumindest hatte er unbeabsichtigt diesen Eindruck erweckt.

      Es würde daher wohl eine harte Zeit werden für den unglücklichen Brian, im Knast, mit all den harten Jungs, mit dieser Vorgeschichte, dachte Arthur, und bedauerte Brian ein wenig für sein hartes Los. Aber eigentlich konnte es ihm egal sein, wie diese gescheiterte Existenz ihr Ende fand.

      Ob in einigen Jahren mit vom Alkohol zerfressener Leber in der Gosse, oder mit einer von Hand angespitzten Zahnbürste in der Bauchdecke steckend, in einer Blutlache auf dem kalten, trostlosen Boden der Gefängnisdusche liegend, war eigentlich auch egal. Ihn selbst betraf das nicht. Zum Glück.

      Er würde dann bereits wieder fort sein.

      Morgen.

      Ein neuer Tag. Ein neuer Sonnenaufgang, weit weg von hier. Anderer Ort, neue Probleme. Fressen, Vögeln, Fernsehen. Das Übliche.

      Und er würde sich wieder erinnern.

      An heute.

      Und an gestern.

      Wie jeden Tag.

      Es war zum Kotzen.

      Kapitel 6: Der Verräter

      Anfangs war Arthur immer aus dem Schlaf hochgeschreckt und hatte sich hektisch umgesehen, eine rasche Bestandsaufnahme machend und das Gedächtnis durchforschend, um möglichst gewappnet zu sein für alles was da kommen möge, am neuen, am heutigen Tag. Im Laufe der Tage war er mehr und mehr dazu übergegangen, es lässig zu nehmen, da es ja ohnehin keine große Rolle spielte. Einen Tag konnte man immer herumbringen, egal, wer oder wo man war. Also tat er meist das, was er als er selbst, als disziplinierter Brite, sich nie gegönnt hatte: Er dreht sich erst noch einmal gemütlich herum, vielleicht ergab sich ja noch was anderes, wenn er zum Beispiel noch einmal einschlief und eine Station weiterfuhr. Diesbezüglich hatte Arthur allerdings eine Entdeckung gemacht. Ein leichtes Eindösen reichte nicht aus, um das Gehirn das aktuelle Ich komplett abschalten zu lassen. Dazu schien es einer Tiefschlaf-Phase zu bedürfen, einer REM- Phase. Reichte der Schlaf nicht tief, dann durfte – oder musste – er bleiben.

       Das besagte Herumdrehen gestaltete sich diesmal jedoch ungewöhnlich schwierig. Irgendetwas sperrte sich. Er ruckelte etwas herum.

      Wo zum Teufel war er?

      Beziehungsweise wo war der Körper, über den er für heute die Kontrolle hatte? Ein schwer identifizierbarer Geruch drang an seine Nase.

      Was war das bloß? Die Augen immer noch geschlossen, versuchte er, seine detektivischen Fähigkeiten zu schärfen.

      Was teilten ihm seine fünf Sinne mit? Er lag offenbar zärtlich angeschmiegt an wärmende Körper, angeschmiegt im Sinne von exakt eingepasst, ein bisschen wie Tetris im Bett. Von vorne und von hinten, also das gute und das böse Löffelchen zugleich. Dabei dachte Arthur mit etwas Wehmut an sein gestriges Abenteuer, und an die phantastischen Frauenkörper, die er sowohl aus der Ferne als auch aus nächster Nähe hatte bewundern dürfen. Soviel Glück würde er doch nicht zweimal haben? Renata, bist du es?

      Er tastete vorsichtig seine Umgebung ab.

       Als Antwort drang eine Lautäußerung an sein Ohr, die ihm spanisch vorkam, weil es sich um Spanisch handelte. Und zwar Spanisch mit deutlich hörbarem lateinamerikanischem Akzent (Kolumbien?). Die Aussage an sich war eine Beleidigung, und zwar seine sexuelle Orientierung betreffend.

      Er seufzte innerlich, und saugte vorsichtig an der Oberfläche seines neuen Gedächtnisses. José Rodriguez, 52, gebürtig in einem Vorort von Bogotá, erste Anzeichen eines Herzleidens (Kurzatmigkeit), was allerdings nur Arthur in diesem Moment bemerkte, da er einen solchen Fall aus seiner bewegten Vergangenheit kannte. Okay. Was sonst noch?

       Armut, Verzweiflung, Alkohol, soweit so normal. Shit happens. Life is no sugar licking, oder so ähnlich. Viel Elend, was es da zu bestaunen gab.

       Und mittendrin José. Der Beginn einer Karriere in einem berüchtigten Drogenkartell. Erst als Laufbursche, dann als Wachtposten, schließlich als Kurier. War er damit ein böser Mann, ein Verbrecher? Man konnte es sich einfach machen und mit einem klaren Ja antworten. Drogenhandel war ein Verbrechen. Man konnte sich ja dagegen entscheiden, und stattdessen Chefarzt oder Topmanager werden. Jedem Menschen standen doch alle Möglichkeiten offen!? Wer nur genug Ehrgeiz und Einsatz zeigte, konnte den Absprung aus der Armut schaffen, egal woher er oder sie kam!

      Soweit die vielzitierte Theorie. Gerne vertreten von Self-made Leuten, denen beim ersten oder zweiten Versuch der große Wurf gelungen war. Oder auch von Damen, die sich einfach vom richtigen Typen hatten ficken lassen, und die dann anderen erzählen wollten, dass man „immer am Ball bleiben müsse“, wenn man es schaffen wollte. So wie sie eben. Ha ha.

       Natürlich war es völliger Blödsinn. Wie viel Glück tatsächlich mit im Spiel gewesen war, daran wollte sich das Self-made-Ego gar nicht mehr so gerne erinnern. Niemand war faul oder fleißig geboren, ebenso wenig wie gut oder böse, und Arthur war mittlerweile zu dem Schluss gelangt, dass es im Grunde genommen auch keine „guten“ oder „bösen“ Menschen gab.

      Jeder wurde zu dem, was die Kindheit aus ihm machte. Jeder folgte dem Instinkt zu überleben, und tat was dazu nötig war. Würde man zwei Menschen, einen guten und einen bösen, austauschen, also von Geburt an, so würde der Böse gut und der Gute böse geworden sein. Da gab es kein Entrinnen. Daher enthielt sich Arthur prinzipiell jeglichen Urteils über den Lebenslauf seiner Schützlinge. Im Grunde konnte niemand etwas für seinen Werdegang, denn der freie Wille hatte in dieser existentiellen Frage kein wirkliches Mitspracherecht. Im Raume stand hier keine Geringere als die von Philosophen oft vermutete, von Rechtsgelehrten jedoch strikt abgelehnte generelle Schuldunfähigkeit des Menschen, welche das auf Strafe basierende Justizsystem in Frage stellen würde. Kann oder darf man jemanden bestrafen, der gar nicht anders handeln konnte?

      Wenn es völlig klar wäre, dass auch der Richter selbst, in den Schuhen des Delinquenten steckend, so oder ähnlich gehandelt haben würde?

      Dass es eben keine „bösen“ Menschen gab?

       Dann blieben als Rechtfertigung für die verhängte Strafe anstelle der gerechten Sühne nur noch zwei Möglichkeiten übrig: Rache, also Aug um Auge, Zahn um Zahn, was zivilisatorisch indiskutabel war, und die gute alte Abschreckung. Dünnes Eis für das Justizsystem, da Studien belegen, dass die verhängten Strafen kaum eine abschreckende Wirkung entfalten. Zum einen werden Verbrechen in der Regel nicht aus reiner Langeweile begangen, sondern haben einen Grund, einen Auslöser, darunter Hass, Verzweiflung, Armut, oder alles kombiniert. Zum anderen denkt der Täter bei der Tat entweder überhaupt nicht, oder ist sich sicher, nicht erwischt zu werden. Mit Abschreckung kam man hier nicht weiter. Und wenn es eine individuelle Schuld gar nicht gab, was blieb dann noch?

      Rache, wie schon erwähnt. Die Rache des Opfers oder der zu Recht zornigen Hinterbliebenen am Täter. Wie in der „guten alten Zeit“. Das war vielleicht nicht die beste Strategie. Aber wie war er darauf gekommen?, fragte sich Arthur in diesem Augenblick, immer noch am Boden liegend.

      Ah, richtig, der Drogenschmuggler, also er selber, heute und hier.

       Hmmm, wo war dieses „hier“ eigentlich? Vielleicht sollte er doch einmal die Augen öffnen? Immer dieselbe Frage. Na schön. Überraschung!

      Och nöö… dachte er sofort, was geht denn hier ab!? Sein Blick wanderte fassungslos umher, doch es gab nicht wirklich viel zu sehen.

      Nur viel Unerfreuliches.

       Der Raum, in dem sich sein heutiger Gastgeberkörper zur Ruhe gebettet hatte, war etwa zwanzig Quadratmeter groß, so schätze er nach einem kurzen

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