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Wieder einer dieser Tage. Reiner Jansen
Читать онлайн.Название Wieder einer dieser Tage
Год выпуска 0
isbn 9783750219168
Автор произведения Reiner Jansen
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
Von unten betrachtet, im schwachen Gegenlicht des Mondscheins, schoss seine gigantische Silhouette über die gezackte Felsformation der Kante hinweg wie ein Klippenspringer, der den Sturz in unbekannte Tiefen wagt und sich seinem Schicksal anvertraut.
Seine riesigen Seitenflossen schienen die Tiefe umarmen zu wollen.
Doch es war bereits zu spät, das zu schnelle Auftauchen hatte seine feinen Blutgefäße zerstört. Fisch und ungebetener Gast hatten das Bewusstsein bereits verloren und würden es nicht mehr wiedergewinnen.
Der riesige Kadaver trudelte ohne Steuersignale für seinen ausgefeilten Bewegungsapparat den Kontinentalhang hinunter, ohne je gegen ihn zu prallen, was den vorherrschenden Strömungen zu verdanken war.
So oder so hätte es keine Rolle gespielt.
Die toten schwarzen Augen sahen nichts mehr, auch nicht das Gewimmel an roten Würmern, die sich auf weiten Strecken des Kontinentalhangs in die dort angelagerte Schicht aus gefrorenem Methanhydrat-Eis fraßen und so die Statik der gesamten Struktur empfindlich zu stören drohten. Sollten die Hänge abrutschen, würde dies katastrophale Auswirkungen haben und verheerende Flutwellen rund um den Globus schicken.
Doch diese Geschichte mochte jemand anders erzählen. Oder vielleicht war sie auch schon erzählt?
Arthurs eigene Geschichte hingegen noch nicht. Und sie war keine Fiktion.
Heute war wieder einer dieser Tage gewesen. Einer zum in die Tonne treten, um genau zu sein. Ein Tag, ohne jede Möglichkeit, irgend etwas auf dieser Welt zum Positiven zu verändern. Statt dessen zwei Leute gefressen, und eine Bootsbesatzung erschreckt. An manchen Tagen wäre man wirklich besser im Bett geblieben.
Doch nichts davon drang mehr in Arthurs Bewusstsein.
Er war bereits wieder fort. Auch der Tod konnte den Reisenden befreien. Zurück blieb nur ein toter Hai, dessen majestätischer Körper, während er sich im Fallen langsam um seine Längsachse drehte, geräuschlos im ewigen Dunkel der Tiefsee verschwand.
Kapitel 2: Der Bootsmann
Manchmal träumt man von Wasser, wenn man es in seiner Umgebung rauschen hört. Das Gehirn pflegt solche realen Sinneseindrücke mit spielerischer Leichtigkeit in das Traumgeschehen einzuflechten.
Äußere Geräusche können sich sehr effektiv in das Dickicht der Träume einschleichen und deren Verlauf beeinflussen, diese Erfahrung hat wohl jeder schon einmal gemacht. Wenn man in einer Hängematte schaukelt und ein Bächlein in der Nähe fröhlich gluckert, mag das Gehirn daraus eine wilde Fahrt auf rauem Gewässer konstruieren, um den Träumenden herum nichts als endloser Ozean und wolkenverhangener Himmel.
Dann zu erwachen und die grüne Wiese unter sich zu erblicken ist Freude und Erleichterung zugleich. Eben jene Hoffnung hegte auch Arthur in diesem Moment, als er spürte wie sich der Nebel dieses maritimen Traumes lichtete und er mehr und mehr da war, wieder vorhanden in dem Ding, was wir gemeinhin „Realität“ nennen. Er war zurück, wieder einmal, frisch von der Großhirnrinde aus der Taufe gehoben und Herr über Sinne und – am wichtigsten – des Gedächtnisses.
Mit anderen Worten: Er war wach.
Geträumt hatte er von einem riesigen Hai, der ihn verschlang. Nein, er selbst war es gewesen, der verschlungen hatte. Oder war es kein Traum gewesen, sondern einfach nur gestern? Manchmal war er sich nicht ganz sicher, so nahtlos ging alles ineinander über. Dann war er bei Sturm auf einem Boot gewesen, randvoll mit hageren Gestalten, alle dunkelhäutig, es war finstere Nacht und die Wellen hatten sie hinausgetragen, immer weiter vom Ufer weg bis keine Lichter mehr am Horizont zu sehen waren. Ein Motor hatte getackert bis er plötzlich erstarb.
Irgendwann hatten dann die Schreie begonnen, er erinnerte sich so gut daran, als wäre auch das kein Traum gewesen. Was war die Ursache für die Schreie gewesen? In seiner (neuen) Erinnerung lag all dies tief im Nebel, es fühlte sich so unwirklich an wie, nun ja, ein Traum eben. Normalerweise wurde er nicht mehr von Albträumen heimgesucht, dazu war sein Gehirn mittlerweile wohl zu abgebrüht.
Auch Gehirne konnten ein dickes Fell entwickeln, so schien es.
Seiner Angewohnheit entsprechend, hatte er es bislang noch vermieden, die Augen zu öffnen, bis er sein Gedächtnis nach ein paar groben Details zu dem ihn erwartenden Anblick durchforstet hatte. Er konzentrierte sich auf alle Sinneseindrücke, die seinen neuen Körper erreichten.
Interner Statusbericht: Keine Schmerzen – sehr gut. Hunger oder Durst nicht im drängenden Bereich, wenn auch sein Mund etwas trocken war. Untergrund: Fühlte sich wie eine grobe Decke an, seine Finger tasteten Holz. Körperposition: liegend – natürlich, er war ja soeben erwacht.
Ergänzende Meldung aus dem Innenohr: Sanftes Schwanken detektiert. Ähnlich einer Wellenbewegung. Die Ohren vermeldeten zudem gluckernde Geräusche, die Nase erschnupperte eine frische, leicht salzige Brise. Hmmmm. Wenn man sich ganz weit aus dem Fenster der Spekulation lehnen wollte, könnte man zu dem Schluss gelangen, man befände sich auf einem Boot. Einem Boot auf einem Ozean, wegen des Salzgeruches, und der langgezogenen Wellen, wie sie nur auf hoher See vorkamen.
Doktor Watson, ich kombiniere! hätte Arthur an dieser Stelle beinahe ausgerufen, allerdings hatte ihn die Erfahrung gelehrt sich in solchen frühen Momenten eines neuen Tages mit unorthodoxen Lautäußerungen zurückzuhalten. Er dachte es also nur, und versuchte nun, immer noch mit geschlossenen Augen, den Beginn seiner Seereise und den genauen Grund dafür zu erkunden. Es war doch immer von Vorteil zu wissen, wo man war und warum man dort war. Am einfachsten ließ sich üblicherweise der vorherige Tag ergründen, da diese Erinnerungen noch gestochen scharf und mit allerlei wichtigen – und weniger wichtigen – Details versehen im Speicher vorlagen. Man konnte sich das dann wie im Kino in HD auf der Leinwand des geistigen Auges ansehen. Wenn alles klappte und die Technik nicht schlapp machte. Wie es in diesem Fall zu sein schien. Das Gestern lag wie in einem fast undurchdringlichen Nebelfeld eingebettet, Arthur fühlte sich, als würde er bei Dämmerung durch ein nebliges Hochmoor stolpern und um ihn herum träten immer kurz Schemen hervor, unscharfe Szenen, die nicht wirklich etwas erkennen ließen. Als wäre er total betrunken gewesen, oder in sonst irgendeinem psychischen Ausnahmezustand, der die Aufnahmefunktion seiner Festplatte gestört hatte. Mist!
Dann musste man früher ansetzen und sich langsam vorarbeiten auf der Zeitleiste. Meist klärte sich im Lichte der kausalen Zusammenhänge auch der besagte Nebel etwas auf, und man konnte sich wieder deutlicher erinnern. Was manchmal auch Unerfreuliches zu Tage förderte.
Im Laufe der Zeit hatte Arthur auch an Gelassenheit dazugewonnen, und war mittlerweile kaum noch aus der Ruhe oder gar Fassung zu bringen.
Man mochte gar nicht glauben, welch beruhigenden Effekt es hatte, zu wissen, dass man morgen schon wieder jemand anderes sein würde! Wenn sich doch nur alle Menschen dessen so bewusst wären wie er, dann würde die Welt mit einem Schlag zu einem Paradies ohne Groll und Fanatismus werden, in dem alle Menschen ein liebevolles Miteinander anstrebten.
Oder - es würde die Hölle auf Erden losbrechen, weil niemand mehr Verantwortung für sich übernehmen musste. Das konnte natürlich auch sein. Vermutlich war es letztere Option, da brauchte man sich keine Illusionen zu machen. Immerhin stellte er selbst eine Ausnahme dar. Er war ein anständiger Kerl geblieben. Er hätte seine kuriose Situation ja auch schamlos ausbeuten können. Natürlich nur, wenn sich die Gelegenheit dazu bot. Was gar nicht so oft vorkam, musste er eingestehen. Und wie sah es heute aus? Arthur blätterte in dem Archiv seines Gehirns rückwärts. Sehr groß war es noch nicht, er musste noch relativ jung sein. Ein Teenager, na super. Ein Bubi auf Seereise, bitte nicht auf einem Partyboot für junge Leute, mit dieser grässlichen Musik, von der er nach wenigen Sekunden Kopfscherzen bekam!