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es sich anfühlte, als mich der harte aber immerhin lauwarme Strahl des Deckreinigungsschlauches traf, während ich noch immer über dem Tor zur Hölle baumelte. Schon kurze Zeit später fühlte ich mich wie neu geboren. Die komplette Schiffsbesatzung (sogar der selten sichtbare Kapitän) wie auch alle Wissenschaftler hatten mir anerkennend auf die Schultern geklopft. Werner hatte mich angestrahlt und mir, nicht ohne Schadenfreude und mit einem hämischen Blick auf den betreten zu Boden sehenden Ralfii berichtet, dass schon gestandene Männer während der Zeremonie um Gnade gewinselt hätten.

      Meine Brust schwoll richtig an, als mein Vater auf mich zu trat und mir kräftig die Hand schüttelte, während er mir wortlos anerkennend auf die Schulter klopfte. Als letzter Mann in der Prozession kam Heinz an die Reihe. Er zerquetschte meine Hand beinahe, während er bekundete: „Ich mache das nicht für jeden. Kannst stolz drauf sein, mien Jung. Ich bin jedenfalls saumäßig stolz darauf, dein Kumpel zu sein. So, und jetzt lass uns was essen gehen, bevor wir noch vom Fleisch fallen oder hier das Flennen anfangen. Die Nummer hat mich bannich hungrig gemacht. Und wie steht es mit dir? Isst du einen Happen mit, Kerl? Oder haste in der Tonne da schon zu viel genascht? Ich hab die Leckerbissen übrigens extra für dich zurückgelegt.“ Das allgemeine Gelächter tat jetzt gar nicht mehr weh. Heinz und ich schlenderten nebeneinander her unserer wohl verdienten Currywurst entgegen, während Werner mein Taufbecken komplett über die Reling beförderte.

      Während der letzten Tage unserer Überfahrt erfuhr ich, dass das Schiff die Strecke viel schneller hätte zurücklegen können. Wir waren jedoch in einem leichten Zickzack-Kurs geschippert, um unterwegs (vor allem bei Nacht, deshalb hatte ich es gar nicht mitbekommen) an vorher festgelegten Punkten Planktonproben zu fangen. Ich wollte mich ein wenig nützlich machen und half den Wissenschaftlern, die Proben grob zu sortieren und einzulagern. Die Fischereibiologen Klaus und Christian zeigten mir, wie ich Fischlarven und die einzelnen Krebschenarten voneinander unterscheiden konnte. Ich verbrachte viel Zeit mit den Jungs und lernte eine ganze Menge sinnvolles Zeug. Das machte richtig Spaß und war damit irgendwie vollkommen anders als in der Schule.

      Während ich immer neue Krebsfamilien zu unterscheiden lernte, dachte ich oft daran, was von alledem ich wohl Lu erzählen würde. Ob sie sich das Leben hier an Bord und meine wissenschaftliche Arbeit überhaupt vorstellen konnte? Sie war gut in Bio, aber was hatten wir da bisher schon gelernt? Den Kreislauf des Regens. Toll. Den kannte ich doch bereits seit dem Kindergarten....Als ich eines Vormittags während unserer Kaffeepause mit Christian und Klaus an Deck ging, entdeckte ich auffällig viele Möwen am westlichen Horizont. Ich holte mein Fernglas aus der Kajüte um zu überprüfen, ob da vielleicht ein weißer Pottwal blies. Ich konnte nichts dergleichen ausmachen. Bei ganz genauem Hinsehen aber sah ich einen dunklen Streifen, der in der Ferne das Wasser zu begrenzen schien.

      War es möglich...niemand hatte mich darauf vorbereitet, mir angekündigt, wann es soweit sein würde. Unruhe brodelte in mir auf, ich hastete die schmale, weiß gestrichene Eisentreppe zur Brücke hinauf. Wieder blickte ich durch mein Glas Richtung Westen und meinte, eine deutliche Linie zu erkennen. So ähnlich müssen sich Kolumbus und seine Leute gefühlt haben. Sie hatten sich zwar ein wenig mit ihrem Ziel geirrt (und ich hoffte, dass wir das nicht getan hatten), aber dieses durch den ganzen Körper krabbelnde Entdeckergefühl muss doch ganz ähnlich gewesen sein. Ich umarmte meinen Vater, der zufällig auch auf der Brücke stand und rannte zur Kombüse, um Heinz und allen anderen Seeleute, denen ich auf meinem Weg zu ihm begegnen würde, von dem baldigen Erreichen unseres vor ein paar Tagen noch unvorstellbar fernen Zieles zu berichten.

      Als echter Hamburger konnte ich von Rios Hafen nur enttäuscht sein. Ich hatte mit Tausenden riesiger Containerkräne gerechnet, dem Glanz der Metropole angemessen. Pustekuchen. Den Abschied von der Mannschaft brachte ich rasch und voller Reiselust hinter mich. Als es jedoch galt, mich von Heinz zu verabschieden, blubberte es doch ganz ordentlich in meinen Augen. Der letzte Rat des Weltmannes Heinz an den Jungspund Mati lautete ungefähr so: „Du machst das schon! Ganz sicher treffen wir uns irgendwann mal wieder, wirst schon sehen. Dann erzählst du mir deine Abenteuer, abgemacht? Also, gute Reise und allzeit ne handbreit Wasser unterm Kiel! Pass gut auf dich auf. Und denk an meine Worte: Finger weg von Frauen mit schwarzen Augen und zu vielen schwarzen Bohnen. Die einen fressen dich von innen her auf, die anderen verspeisen dich mit Haut und Haaren.“

      Ein Tag in Rio

      Der Rest der Mannschaft war zu beschäftigt mit dem Löschen der wissenschaftlichen Ausrüstung, um mich gebührend zu verabschieden. Gut so. Ich kletterte von Bord und machte meine ersten Brasilien-Fotos. Es war ziemlich warm, aber die Wärme empfand ich nicht als unangenehm. Dank der frischen Meeresbrise war die Luft frisch und nicht sonderlich schwül. Es roch nach Schiffsdiesel, Fisch, Salzwasser, Früchten und auf jeden Fall ordentlich fremd. Nach Abenteuer eben.

      Ich sah mich um. Der Hafen war quirlig und betriebsam. Dunkelhäutige Menschen trugen Lasten umher, saßen auf Kisten, beäugten uns kritisch und machten offenbar Witze über die Neuankömmlinge. Sie entblößten weiße Zähne, tranken klare Flüssigkeiten aus Glasflaschen oder spuckten in die Gegend. Unser Schiff legte ab, nachdem es uns abgesetzt und Proviant aufgenommen hatte. Heinz stand an der Reling und streckte den rechten Daumen in die Höhe. Ich fühlte mich ein wenig verlassen, doch das gab sich, als Karl mir über den Kopf strich und mir seinen Arm auf die Schultern legte. „So, Mati, wir sind angekommen. Morgen sehen wir uns Rio an, übermorgen reisen wir weiter nach São Paulo. Wenn ich meinen Vortrag gehalten habe, werden wir Leute und Material auf zwei bis drei Autos verladen und zur Feldstation nach Posse fahren. Die Reise wird dir gefallen. Sie dauert etwa zwei Tage und man sieht schon einiges von Brasilien. Zum Ende der Fahrt wird zwar alles in roten Staub gehüllt sein, aber ich werde zusehen, dass wir vorn fahren. Du bekommst schon einen Eindruck vom Land, wenn wir durch die Dörfer brettern.“

      Karl benutzte Worte wie „brettern“, weil er vermutete, so würden sich junge Leute unterhalten. Das ließ ihn älter wirken, doch irgendwie auch fürsorglich und es passte zu seiner mitunter tollpatschigen Art, mir seine Zuneigung zu bekunden. Wir fuhren zu unserem Hotel im Stadtteil Ipanema, stellten unsere Taschen in ein Zimmer mit Blick auf einen wuseligen Marktplatz und entschieden uns, den Abend am Strand zu verbringen. Auf dem kurzen Weg ans Wasser erteilte mir Karl Instruktionen, wie ich mich in brasilianischen Großstädten zu verhalten hatte. Es sei gefährlich dort, ich solle keinen Schmuck tragen, meine teure Kamera nur am Tage und nicht für jedermann sichtbar bei mir führen. Manchmal behandelte er mich echt wie ein kleines Kind. Naja, so müssen Väter wohl sein. Ich würde also ihm zuliebe schweren Herzens ein paar Tage lang auf mein Brillantdiadem verzichten.

      Unser Strandspaziergang war cool. Wir aßen gegrillten Fisch und ein paar andere leckere Sachen an einer Imbissbude. Während ich den Surfern in der Dünung zuschaute, hatte Karl irgendein Problem mit seinem Hals. Vielleicht trainierte er bereits für unsere Höhlentouren. Jedenfalls bemühte er sich alle paar Minuten, den Kopf wie eine Eule um 180 Grad zu verdrehen. Natürlich klappte das nicht und er musste mit dem Oberkörper nachhelfen. Bei seinem ungefähr fünften Versuch bemerkte ich, dass sein Blick einem auf drei kaffeebraune Hautfleckchen verteilten, atemberaubend minimalistisch gehaltenen Bikini folgte. „Seit wann interessierst du dich denn für Mode?“ Karl fand meine Frage offenbar keiner Antwort für würdig. Anstatt etwas zu erwidern, schlürfte er von dem Moment an still seinen Caipirinha und blickte stur aufs Meer hinaus, als hätte man ihm Scheuklappen angelegt. Ich dachte an Heinz´ Abschiedsworte, dann an einen alten Song, in dem die Zeile „she´s a maneater“ vorkam und mit einem Male war mir sehr bewusst, dass ich mich erst ganz am Anfang meiner Reise in die Welt der Erwachsenen befand. Musste ich mir um Karl etwa ernsthafte Sorgen machen? Wollte Lu mich trotz ihrer alles andere als schwarzen Augen eigentlich nur aufessen? Ich nahm mir vor, an diesem Abend darum zu beten, dass die überhand nehmende Verwirrung bald wieder nachließ.

      Anstelle von Klarheit bescherte mir die folgende Nacht wirre Träume. Ich reiste über staubige Waschbrettpisten, durch Wellblechdörfer mit unscharfen Konturen. Auf baumbeschatteten Steinbänken am Rande hitzeflirrender Marktplätze saßen beängstigend dicke, mit schwarzen Augen hungrig nach Frischfleisch ausschauende Frauen. Kleine, dunkelhäutige Männer standen in einer Schlange vor einem großen holzfeuerbeheizten

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