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vor, als ich sie da auf dem Schiff, tausende Seemeilen von Hamburg entfernt, so vor mir sah. Ich vermisste sie – irgendwie. Hey, ich hätte sie sogar ziemlich gern mit an Bord gehabt. Das, liebe Leute, hätte ich natürlich nie im Leben einem meiner Kumpels daheim erzählen dürfen und ich hoffe sehr, ihr behaltet es für euch!

      In der folgenden Nacht träumte ich von Lu. Wieder steckte ich in einer Höhlenfelsspalte fest, wie ich es in letzter Zeit häufiger geträumt hatte. Um mich her begann auch in diesem Traum das Wispern der grillenartigen Stimmen, die kleinen Schatten erschienen wieder an den Felswänden. Auf einmal tauchte Lu´s Gesicht ganz nah vor mir auf. Ich hatte nicht mit ihr gerechnet, freute mich aber wahnsinnig, dass sie aufgetaucht war, um mir zu helfen. Hein Herz pochte heftig vor Freude über ihren Anblick. Lu sah mich ernst an und streckte mir ihre Hand entgegen. Diese war klein und zart, doch mit einem festen Druck ausgestattet. Sie zog an meinem Arm und der Griff der Felsklauen an Hüften und Rücken lockerte sich merklich. Langsam, wie in Zeitlupentempo, glitt ich ihr entgegen.

      Als ich beinahe frei gekommen war, näherte sich Lu´s Gesicht meiner Hand, beinahe, als wolle sie sie küssen. Die Schatten an den Wänden wurden unterdessen kleiner, ich sah erste Gnome hinter Felsnasen hervortreten. Der Anblick stimmte mich ein wenig ängstlich, doch gleichzeitig auch zuversichtlich. Immerhin war Lu gemeinsam mit den kleinen Wesen erschienen, sie waren bestimmt gutartig und hilfsbereit wie Lu selbst. Ich strahlte meine Retterin dankbar an und sie erwiderte mein Lächeln. In dem Augenblick bemerkte ich, dass ihre Ohren merkwürdig spitz zuliefen. Beinahe, als sei sie mit Spock vom Planeten Vulkan verwandt. Ihr Mund hatte sich meiner Hand bis auf einen Zentimeter angenähert. Als sich ihre Lippen zu einem, wie ich zumindest erwartete, Hoffnung spendenden Lächeln von den Zähnen zurückzogen, erstarrte ich zu einem Eiszapfen.

      Ihre Zähne glichen den dreieckigen, scharfkantigen Beißwerkzeugen, die Haie und Piranhas ihr Eigen nennen. Ihr vermeintliches Lächeln war zu einem Zähnefletschen mutiert, Geifer tropfte aus ihren Mundwinkeln. Ihre Hand war kräftig und behaart wie die eines Seemannes. Das Weiße ihrer Augen war rot unterlaufen, sie gab unmenschliche Grunzlaute von sich. Als sie ihre wahrscheinlich rasiermesserscharfen Zähne in meine Hand schlug, erwachte ich. Ich war klitschnass und saß senkrecht im Bett. Meine rechte Hand kribbelte, es piekste darin. Schreck lass nach, hatte ich vielleicht gar nicht geträumt? Befand ich mich auf der Rückreise, größtenteils unversehrt, doch ohne rechte Hand? Spürte ich Phantomschmerzen in meinem entzündeten Armstumpf? Meine Linke griff suchend nach der verwundeten Hand und fand sie, erwachend dank wieder einsetzender Durchblutung, fies kribbelnd, aber insgesamt wohlauf.

      Die Taufe

      Es folgte ein Abschnitt der Reise, den ich gern verschwiegen oder noch lieber vergessen hätte. Ich werde ihn jedoch, der Vollständigkeit halber, kurz erwähnen.

      Sobald ein Reisender erstmals in seinem Leben den Äquator überquert, wird er in aller Regel einer Taufzeremonie unterzogen. Zu meiner Bestürzung legte die Besatzung unseres Schiffes allergrößten Wert auf diese Tradition. Ich schaute mich unter meinen Mitreisenden um, doch hatte ich auch kurz vor Erreichen der magischen Linie keinen Schimmer, mit wem gemeinsam ich die kleine Zeremonie anzugehen haben würde. Eine akribische Durchsicht der Lebensläufe aller offiziell an Bord Anwesenden ergab dann leider, dass ich der einzige Kandidat war. Das hatte ich nicht erwartet. Wenigstens Ralfii oder einer der vielen wissenschaftlichen Helfer hätte doch mein Schicksal teilen können. Aber nein, alle ließen mich allein mit dieser unschönen Angelegenheit und schlimmer noch: sie bereiteten mich mit vielen kleinen Anekdoten geradezu liebevoll auf mein bevorstehendes Martyrium vor. Immer wieder streute man zum Beispiel beim Abendessen ein paar Geschichten darüber ein, für wie viel Freude und gute Laune doch der Brauch auf den vorangegangenen Forschungsfahrten gesorgt hatte. Außer bei den Täuflingen, nahm ich an.

      In den Träumen jener Nächte wurde ich nicht selten kielgeholt. Aber so weit würden sie doch nicht gehen. Oder? Die Sache selbst ertrug ich wie ein Mann. Schon beim Anblick der beschwingten Gesichter meiner lieben Mitreisenden in der morgendlichen Messe war mir klar, dass es an diesem Tag geschehen würde. Ich schlüpfte also in meine ältesten Klamotten, setzte mich wie meditierend im Schneidersitz auf das Sonnendeck und hoffte insgeheim, dass ich mich nicht allzusehr blamieren würde. Irgendwie musste ich dabei auch an Karl denken, um dessen Willen ich mich wie ein Mann in mein Schicksal fügen wollte. Um ihn nicht dem Spott seiner Kollegen auszusetzen. Weil er ein Weichei großgezogen hatte. So ein Unsinn!

      Jedenfalls saß ich wie beschrieben auf Deck, kehrte mein Äußeres nach innen und ließ mich von der Sonne brutzeln. Meine Augen hielt ich geschlossen: einerseits um sie vor der gleißenden Äquatorsonne zu schützen, andererseits damit ich dem Verderben nicht auch noch ins Gesicht sehen musste. Dann ging alles ganz schnell. Zwei Paar Gummisohlen näherten sich mir von hinten, leise quietschend wie die Gelenke hoch betagter Scharfrichter. Heimliches Gewisper, unterdrücktes Kichern. Der Himmel verdunkelte sich, es roch nach staubiger Erde und Schiffslagerraum. Sie hatten etwas über meinen Kopf gezogen, einen Kartoffelsack vermutlich. Schon jetzt war ich froh, nicht meine guten Sachen angezogen zu haben.

      Man hatte also zwei von ihnen geschickt. Gut so, denn den kleinwüchsigen Kerl, der mich mit seinen dünnen Armen umklammert hielt, hätte ich locker über Bord befördern können. Das verhinderten leider zwei schraubstockartige Pranken, die meine Hände auf den Rücken bogen, um sie dort zu fesseln. Ich war auf das Schlimmste gefasst. Doch was wäre, wenn meine Vorstellungskraft gar nicht ausreichte, die anstehenden Gemeinheiten zu erahnen? Es half nichts, ich musste da durch. Ich war sicher, Karl oder wenigstens Heinz würden schon dafür sorgen, dass die Taufe nicht wirklich gefährlich geriet. Aber nun weiter mit den beklagenswerten Ereignissen jenes wunderbar windstillen Sonnentages.

      Werner packte mich, verschnürt und grunzend wie ein angehendes Spanferkel, auf seine breiten Schultern. Ralfii folgte uns, sein höhnisches Gackern erinnerte mich an ein schadenfrohes Hühnchen. Während ich noch darüber grübelte, ob Geflügel wohl in der Lage war, Schadenfreude zu empfinden, schafften sie mich auf das Fischereideck, auf dem zu anderen Zeiten tonnenweise Fisch zappelte. Im Namen der Forschung sein Leben aushauchte. Jetzt zappelte ich in meinem Kartoffelsack, während in einer sicher seit Stunden der prallen Sonne ausgesetzten Blechtonne Fischinnereien und andere sorgsam für diesen Anlass zurückgelegte Küchenabfällen beschaulich vor sich hin gärten. Ein messerscharfer Gestank ließ mich Konsistenz und Reifegrad der blubbernden Masse ahnen, bevor mich Ralfii von meiner Kopfbedeckung befreite.

      Nachdem er dies getan hatte, schauten meine im grellen Sonnenschein blinzelnden Augen in die Gesichter von 15 grunzenden Männern der Besatzung und zehn johlenden Wissenschaftlern. Von der Sichtblende befreit und dementsprechend natürlich ahnend, was in Kürze geschehen würde, spürte ich, dass sie ein Tau um meine Füße banden. Karls Stimme murmelte derweil eine allzu leise und absolut unbefriedigende Entschuldigung. Man hätte ihn dazu genötigt oder so. Blödsinn. Ich war entsetzt. Beinahe noch härter traf mich, während ich mit den Füßen am Beladungskran und mit dem Kopf über der unbeschreiblich stinkenden Abfallbrühe baumelte, der Anblick des in eine Art Talar gehüllten Smutjes. Er hatte also nicht nur für die Füllung des Taufbeckens gesorgt, er würde auch noch selbst den Zeremonienmeister geben. Und ich hatte gedacht, Heinz sei mein Freund!

      Eine Viertelstunde und drei schön gemütliche Eintauchungen in die gärende Ausgeburt menschlicher Schadenfreude später befand mich eine salbungsvoll daherplaudernde Schiffskochstimme für äquatorgetauft. Ich versuchte verzweifelt, durch den in meine Nase und den Mund eindringenden Schleim hindurch ein wenig möglichst unverbrauchten Sauerstoff in die Lungen zu pumpen, als ich durch die Fischlebern in meinen Ohren hindurch etwas vernahm, das sich anhörte wie: „Man möge den Täufling nun für sein weiteres Leben wappnen!“

      Kurzfristig war ich völlig ahnungslos, was das nun schon wieder bedeuten mochte, doch bald entleerten zwei mir nicht namentlich bekannte Matrosen den Inhalt eines wunderbar flauschigen Daunenkopfkissens mitten in den atemberaubend frischen Luftschwall hinein, der sich auf den Weg in meine Atmungsorgane begeben hatte. Diese äußerliche Daunenschutzschicht sollte sich wie eine Rüstung um meinen verwundbaren Knabenleib schmiegen. So jedenfalls sah es der Brauch vor. Die letzte der kleinen, hauchzarten

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