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Programmierern jetzt wieder Cooles eingefallen ist. Rio de Janeiro war das erste und einfachste Level gewesen, São Paulo hatte mich mit ihrer Gewaltbereitschaft beinahe aus den Socken gehauen. Alsbald begleiteten uns endlos weite, an wogende Schneelandschaften erinnernde, blühende Zuckerrohrfelder und sie hielten dies über weite Strecken der Autobahnfahrt durch.

      Die Straßen befanden sich zunächst in einem erstaunlich guten Zustand. Wir flogen auf frisch dunkelgrau flirrenden Pisten nur so dahin. Gustavo hatte uns noch am Morgen gewarnt, die Pisten seien teilweise schlecht und sehr anstrengend zu befahren. Außer seiner unkonzentrierten Fahrweise konnte ich jedoch erst einmal nichts Anstrengendes ausmachen. Nach einem guten Mittagessen, in dessen Verlauf ich erstmals auf die berüchtigten schwarzen Bohnen gestoßen war, bogen wir bald auf eine Landstraße ab. Ok, jetzt wurde die Angelegenheit schon interessanter. Obwohl eigentlich nur noch zweispurig, wurde das nachlässig geteerte Schlaglochnetzwerk dank eines schmalen Seitenstreifens drei- bis ausnahmsweise vierspurig genutzt. Heillos überladene LKW überholten hupend einen zunehmend entnervten, müden und dennoch eisern dem nirgends ausgeschilderten Tempolimit gehorchenden Gustavo. Manchmal musste er gar auf den nicht asphaltierten Zusatzseitenstreifen neben dem eigentlichen Seitenstreifen ausweichen, weil der uns gerade überholende Truckfahrer es vorzog, uns abzudrängen als selbst in den lästigen, ebenfalls bereits zweispurig daherkommenden Gegenverkehr zu geraten. Das wäre eigentlich nicht weiter dramatisch gewesen, hätten sich auf der Sandpiste nicht die träge hin und her schaukelnden, gänzlich unbeleuchteten Esel- und Ochsenkarren herumgetrieben.

      Ich zog es vor, nicht nach vorn sondern ausschließlich aus meinem Seitenfenster in die an uns vorbeigleitende Landschaft zu starren. Der rote Farbton des Bodens vertiefte sich, je weiter wir uns von der Küste entfernten. Unschöne Industriestädte wechselten sich mit Waldresten und endlosen Zuckerrohrfeldern ab. Am Abend entdeckte ich ein orangegelbes Feuerband, das sich in der Ferne einen Hügel entlang schlängelte. Rita versicherte mir, das sei nichts Ernstes. Solche kleinen Brände seien eine Art Buschfeuer und völlig harmlos. Sie entstünden häufig durch weggeworfene Zigaretten oder würden absichtlich von Bauern gelegt, um abgeerntete Felder abzubrennen. Solche Feuer würden erst dann brenzlig, wenn sie sich auf Dörfer zu bewegten. Diese Versicherung aus dem Munde einer in der wohl gefährlichsten Stadt der Welt aufgewachsenen Studentin vermochte nicht, mich ganz zu beruhigen.

      Wir übernachteten in einem netten Hotel inmitten einer hübschen Kleinstadt mit vielen auffällig dunklen Gesichtern. Das Abendessen bestand aus Reis und einem Eintopf mit Wurst und schwarzen Bohnen darin. Ich dachte an Heinz´s Warnung vor diesem Gericht, das mir dennoch ausgesprochen gut schmeckte. Auf dem Heimweg in unser Hotel bemerkte ich viele ganz besonders schöne Mädchen. Sie hatten sich zurecht gemacht, als würden sie in die Disco oder so gehen. Aus der Ferne drang Musik an mein Ohr. Sie klang fremd und doch gleichzeitig als wäre jede Weigerung vollkommen zwecklos, nach ihr zu tanzen. Gern wäre ich auf das Fest gegangen, aber ich war so müde, dass ich augenblicklich einschlief, nachdem ich in unserem Zimmer angekommen war.

      Mitten im Nirgendwo

      Während der runzelige Indio seine Zigarette drehte, mischte er einige mäusekötelartige Krümel unter den Tabak. Der Rauch roch würzig und ein wenig nach Baumharz. Sein hellbrauner Lendenschurz baumelte dicht über der Wasseroberfläche des munter daher plätschernden Baches. Der Blick des Mannes war auf eine tiefe Stelle unter den Wurzeln eines Baumes gerichtet. Seine linke Hand führte unerträglich langsam die bald in der Abenddämmerung aufglimmende Zigarette an von der Sonnenglut gewellte Lippen. Seine rechte Hand schnellte hervor, tauchte platschend in das bis auf den sandigen Grund des Gewässers vollkommen durchsichtige Wasser ein und zog einen silbrigen, heftig um sein Leben zappelnden Fisch daraus hervor. Das Tier war nicht besonders groß, ich schätzte es auf 20 cm und vielleicht etwas mehr als 200 Gramm. Ein typisches Rotauge, würde ich meinen.

      Der Indio richtete sich auf, drehte sich um und einige Worte verließen seinen Mund gemeinsam mit einem Rest Zigarettenrauch. Während er zu mir hinüber lächelte, bemerkte ich einige schwarze Lücken zwischen den ansonsten weißen Zähnen. Das überraschte mich angesichts des offensichtlich hohen Alters des Mannes nicht. Und es überraschte mich ebenfalls nicht, dass ich verstand, was der olivhäutige Mann sagte. Eine Art Babelfisch in meinem Kopf flüsterte die Bedeutung der mir eigentlich unbekannten Worte: „Ikuma wird unseren Heimweg bewachen, wenn wir ihr diesen Fisch bringen, mein Sohn.“

      Nachdem er die Worte gesprochen hatte, biss mein Vater dem inzwischen ruhiger gewordenen Fisch den Kopf ab und spuckte ihn in das Wasser. Dunkelheit schwappte über uns herein, in nicht allzu großer Entfernung grollte ein offenbar hungriger Jaguar. Trotz der noch immer in den Büschen lauernden Tageshitze rollte sich eine Gänsehaut meinen nackten Rücken hinab bis zu meinem Lendenschurz. Ein Heer neongelb funkelnder Glühwürmchen half dem mondlosen Sternenhimmel, unseren Pfad zu erleuchten. Die Zigarette meines Vaters war zwischen seinen Lippen erloschen. Unvermittelt wich das Dickicht des Buschlandes auseinander und ein gigantisches schwarzes Loch trat an die Stelle der uns umgebenden Hügellandschaft. Abermals vernahm ich jenes, das Mark meiner Knochen in Schwingungen versetzende Grollen. Das klang in meinen Ohren, als grollte es direkt aus dem Loch, das sich vor uns aufgetan hatte. Ja, als grollte die Erde selbst, als dränge dieses dumpfe Grollen durch ihren Mund, den sie uns, zahnlos und weit aufgerissen, entgegenstreckte. Es hörte sich tatsächlich an, als entstünde das markerschütternde Grollen im tiefsten Inneren der Mutter Erde selbst.

      Natürlich wusste ich genau, was nun zu tun war. Unser Weg führte in den Schlund der Erde hinein, durch ihn hindurch, auf die andere Seite des Berges, wo sich unser Dorf befand. Den Fisch jedoch, den Zoll für eine sichere Durchquerung Ikuma`s Reiches hatte ich in einer kleinen Nebenhöhle auf dem Opferstein abzulegen, wie es der Brauch gebot. Obwohl schlank und drahtig, war mein Vater doch zu groß, um an den Altar zu gelangen. Er half mir, mich mit Schlamm einzureiben. Anschließend wand ich mich durch die enge Felsröhre um meinen Dienst zu tun. Ich kannte mich gut in der kleinen Felskapelle aus, daher fand ich den von hellblau leuchtenden Algen überwucherten Opferstein sofort. Abermals erklang das dumpfe Grollen, diesmal so laut und alles durchdringend, als stünde das wilde Tier direkt hinter mir in der winzigen, spärlich erleuchteten Grotte. Panik ergriff mich mit knöchernen Klauen, ich bekam furchtbare Angst um mein Leben und um das meines Vaters. Ikuma hatte doch ihren Tribut erhalten, sollte nicht eigentlich alles in bester Ordnung sein?

      Wieder erscholl ein Grollen, betäubend laut, nah und aus dem Rachen der Erde wiederhallend. Ich spähte durch die enge Felsröhre hindurch nach meinem Vater. Höchstens drei Armlängen hinter ihm funkelten zwei gelbgrüne Punkte. Im Licht der Sterne glaubte ich, die Konturen eines zum Sprung ansetzenden Jaguars zu erkennen. Ich meinte auch, seine dunklen Punkte auf dem orangefarbenen Fell zu sehen. Während er sich zum Jagdsprung duckte, grollte er erneut, drohend, beängstigend laut, im Flug noch hallte sein Ruf aus dem Mund der Erde tausendfach zurück, während es in seinem aufgerissenen Maul rein weiß glitzerte. „Vater, Vater, so pass doch auf!“

      Benommen blickte ich mich um. Finsternis, soweit das Auge reichte. Ich spürte sanfte Vibrationen. Ich verfolgte sie durch meinen Körper, das Bettgestell entlang, über den hölzernen Fußboden, ein weiteres Bettgestell hinauf bis in den lauthals schnarchenden Leib meines Vaters. Ich war niemals zuvor so sehr beruhigt gewesen, Karl schnarchen zu hören.

      „Komm schon, steh endlich auf, du Langschläfer! Es wird gleich hell und wir haben noch eine anstrengende Tagesreise vor uns. Wenn wir vor Sonnenuntergang in der Feldstation sein wollen, müssen wir in spätestens einer Stunde aufbrechen. Hast du etwas Aufregendes geträumt?“ Nicht, dass ich Karl wirklich einen Jaguar an die Backe gewünscht hätte, aber ein freundliches „guten Morgen“ hätte es nach dieser Nacht auch getan. „Ich habe geträumt, du wärest ein alter Indio, der von einem Jaguar gefressen wird.“ „Oh, für die Mutation in einen Ureinwohner bin ich vermutlich tatsächlich zu alt, aber das mit dem Jaguar liegt im Bereich des Möglichen. Ich will dir diesbezüglich aber lieber nichts versprechen. Mach´ schon, jetzt werden erst einmal wir den Jaguar verspeisen. Und zwar auf Toast. Komm in die Socken, kleiner Mogli.“

      Ich musste bereits ein paar hundert Kilometer verdöst haben, da bog unsere kleine Kolonne auf eine

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