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selten kleine Städte. Die Gegend wurde ländlicher, die Erde noch intensiver rot und die Dörfer bestanden aus garagenähnlichen Hütten mit Wellblechdächern. Sie säumten die Durchfahrtstraße in zwei Reihen. Auf staubigen Plätzen spielten Kinder Fußball. Unter den weit ausladenden Kronen der Ficus-Bäume lagen dösend unansehnliche Hunde im Schatten. Unter einem Mangobaum hatten Cowboys ihre drei Pferde an einen Holzpfahl gebunden. Die finster dreinblickenden Männer saßen auf Stühlen vor einer kleinen Bar, ihre braunen Hüte gegen die grell herab funkelnde Sonne weit in die Stirn gezogen. Auf dem Tisch vor ihnen standen angeschlagene, mit goldgelber Flüssigkeit gefüllte Gläser. Eine bemerkenswert runde Frau trug einen Wäschekorb die Straße entlang. Die krasse Mittagshitze ließ selbst die Fliegen träge umhersurren. Nur der schmale Schatten unseres Kombis flitzte forsch durch verschlafene Dörfer, entlang angrenzender Felder und durch das immer dichter wuchernde, vertrocknete Buschland.

      Eine bereits tief stehende Sonne sah uns auf einen staubigen Feldweg abbiegen. Zum Glück hatte es Gustavo geschafft, sich als erster der Fahrer auf die letzte Strecke der Reise zu machen. Als ich mich umblickte, verstand ich, was Karl ein paar Tage zuvor gemeint hatte: die Insassen des Autos hinter uns bekamen außer rotem Staub nicht viel zu sehen. Die Waschbrettpiste wurde von trockener, wenige Meter hoch gewachsener Buschvegetation gesäumt. Hin und wieder entdeckte ich ein paar Zebu-Rinder zwischen den Sträuchern. Sie schienen niemandem zu gehören. Kleine, bunte Falken jagten, Telefonleitungen als Ansitz nutzend, die von unseren Autos aufgeschreckten Insekten.

      Im orangeroten Licht der sich für diesen Tag verabschiedenden Sonne tauchte schließlich das gelbe Gebäude der Feldstation auf. Grüner Rasen umgab das flache, überraschend kleine Gebäude. Eine Art Veranda umrahmte das Haus von drei Seiten. Säulen aus einfachen Baumstämmen trugen das weit über das Steingebäude hinausragende Dach. An diesen Pfosten baumelten Hängematten träge im Abendwind. Vor dem Haus standen vier sonnenbraune Gestalten: das Verwalterehepaar, ihre zottelige Tochter Suvaneci und das brave Hausmädchen Magdalena. Noch bevor Gustavo den Wagen ganz gestoppt hatte, sprang ich von meinem Sitz und landete auf dem warmen, staubigen Erdboden.

      Es fällt mir schwer, die Fremdheit meiner Eindrücke zu beschreiben. Klar, ich war mitten in Brasilien angekommen, doch die Umgebung hätte genausogut ein Landstrich auf dem Mars sein können. Alles um mich her roch, klang, staubte und schmeckte wie auf dem roten Planeten. Jedenfalls vermutete ich das, ich bin ja noch nicht dort gewesen. Tauben gurrten in einem fremden Dialekt. Das rote Abendlicht hüllte die Gegend in ein blutiges Laken. Grillen zirpten, als bestritten sie eine Wette darum, welche von ihnen meine Trommelfelle zuerst platzen lassen könnten. Die Sprache der Menschen klang wie Gesang, der Orangensaft schmeckte so lecker, dass ich gern darin gebadet hätte. Die Luft roch staubig trocken, doch bereits auch ein wenig nach abendlich feuchtem Dunst. Sie bewegte sich sanft und duftete nach Kräutern und Abenteuern. Die zentralbrasilianische Abendbrise strich wie Samt über die nackte Haut meiner Arme.

      Eine unbezähmbare Entdeckerlust bemächtigte sich meiner. Sie paarte sich mit galoppierender Euphorie, gemeinsam durchstreiften und eroberten beide Empfindungen meinen für jedes Abenteuer bereiten Körper. Die Woge entstand in den Zehen, kribbelte durch die Füße und rollte die Beine hinauf. Dann, sich teilend, ausbreitend und dabei noch verstärkend, raste sie unaufhaltsam und sich abermals vergrößernd durch den Bauch, erfasste das freudig springende, nein: das tanzende Herz. Sie rauschte, vom Herzen mit weiterem Schwung versorgt, an den Ohren vorbei, diese auf ihrem Weg betäubend, um im nächsten Augenblick irgendwo im Hirn laut jubelnd zu zerbersten: in Millionen, den Regenbogen reflektierende Billanten. Ich konnte nicht anders als wie ein kleiner Junge zu gackern, mich um mich selbst zu drehen, zu rennen, einen Baum hinaufzuklettern, durchs Unterholz zu streunen, Tiere aller Arten aufzustöbern, bizarre Früchte und Samen einzusammeln, die Erde anzufassen, diesen tennisplatzroten Sandboden, der staubte, wenn man ihn dem Wind übergab und der einen roten Film auf die Haut legte, durch den hindurch Erobererschweißtropfen sich karminrote Flussläufe gruben.

      Auf der Termitenautobahn

      Das Abendessen bestand aus Reis, schwarzen Bohnen und am offenen Feuer geröstetem Rindfleisch. Mein Bauch spannte sich wie das Fell einer Trommel. Ich musste Unmengen des sehnigen aber unglaublich leckeren Fleisches gegessen haben. Das Zeug schmeckte so, wie die Landschaft roch: würzig. Die Nacht war dennoch traumlos und bis zum Bersten angefüllt mit entspannendem Tiefschlaf. Am Morgen durchstöberte ich die Räume der Station, konnte jedoch nichts Ungewöhnliches entdecken. Natürlich verlief der Tag hier etwas anders, als ich es von Hamburg her kannte. Am Morgen mussten wir zum Beispiel unsere Milch erst einmal frisch anrühren. Trotz der vielen Rinder, die sich im Buschland und damit auch um unser neues Zuhause herumtrieben, gab es im einige Kilometer entfernt gelegenen Dorf keine Frischmilch zu kaufen. Auch haltbare Milch hatten wir nicht entdecken können. Also rührten wir die Frühstücksmilch aus Wasser und Milchpulver selbst zusammen.

      Während meines Rundganges folgte mir die kleine, struppige Suvaneci. Sie war vielleicht sechs oder sieben Jahre alt. Ihr verfilztes, dunkelbraunes Haar wehte staubig in der warmen Brise. Zwei dunkle Murmeln beäugten mich mit einer Mischung aus Misstrauen, Neugier und vielleicht einem kleinen bisschen Furcht. Als ich meinen Rundgang beendet und meine wunderbar gemütliche Hängematte zwischen den Pfosten der Veranda aufgespannt hatte, berührte Suvaneci mit der schmutzigen Spitze ihres linken Zeigefingers meinen rechten Handrücken. Ich lugte träge über den Rand meines sanft schaukelnden Baumwolltuches. Mein Blick folgte der sanft gebogenen Linie ihres ausgestreckten rechten Armes, weiterhin der Hand, dem Zeigefinger und schließlich sah ich, dass sie auf irgendetwas am Horizont deutete. Erstmals hörte ich ihre kindliche Stimme. „Mãe espera.“* Während sie das sagte, bildeten sich in ihren Augen kleine Pfützen. Ich war überzeugt, die Sonne hatte sie geblendet.

      *Mutter wartet

      Kurz darauf gluckste Suvaneci bereits wieder in einer Weise, wie kleine Mädchen das wohl überall auf der Welt taten, wenn sie in ihr Spiel vertieft waren. Sie ließ im Gras vor der Veranda eine kahlköpfige, einarmige, alles in allem erbarmungswürdige Puppe vollkommen alltägliche Dinge erledigen. Dem Geräusch nach zu urteilen, das sich zwischen Suvanecis Lippen hindurch seinen Weg in die laue, trockene Luft des frühen Abends bahnte, saugte sie gerade Staub. Ganz unvermittelt flog die kahle Berta (so hatte ich das Püppchen von meiner Hängematte aus getauft) in hohem Bogen über den Rasen. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass Suvanecis braunes Kleid mich schon die ganze Zeit über an den Kartoffelsack erinnert hatte, den zu tragen ich auf unserer Überfahrt für kurze Zeit das Vergnügen gehabt hatte.

      Kurz vor ihrer Landung wurde Berta von einem kurzbeinigen, kurzatmigen, dafür aber umso langohrigeren Dackelmischling aus der Luft gehascht. Das staubig braune Tier verschleppte Berta ein paar Meter weit, ließ sie fallen, drehte sich mehrmals im Kreis, legte sich zu ihr auf den Rasen, wendete sich auf den Rücken und schlief im nächsten Moment in dieser für einen Hund meiner Ansicht nach unwürdigen Haltung ein. Suvaneci achtete nicht auf das Tier. Sie stand bereits seit ein paar Sekunden wieder neben meiner Hängematte und starrte mich an. Während dieser Zeit hatte sie offensichtlich ausreichend Mut angesammelt, denn im nächsten Moment fasste sie meine Hand, drehte sich um und zog mich mit sich fort.

      Ich bin nicht ganz sicher, warum ich die folgende Definition an dieser Stelle meiner Geschichte einfüge. Jedenfalls habe ich nach meiner Rückkehr aus dem Bauch der Erde bei Wikipedia nachgeschaut, was es mit dem Ereignis „Abenteuer“ eigentlich auf sich hat. Lest bitte, was ich dort fand:

      „Als Abenteuer (v. lat.: adventura = Ereignis; mittelhochdt.: aventiure) wird eine risikoreiche Unternehmung oder auch ein Erlebnis bezeichnet, das sich (meistens) stark vom Alltag unterscheidet - also ein Verlassen des gewohnten Umfeldes und des sozialen Netzwerkes, um etwas (riskantes) zu unternehmen, bei dem der Ausgang ungewiss ist. Bei einem Abenteuer existieren Risiken und Gefahren, die den Verlauf spannend und den Ausgang ungewiss gestalten. In diesem Sinne gelten und galten Expeditionen ins Unbekannte zu allen Zeiten als Abenteuer.“

      Zitat

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