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von dem Model-Vertrag, den du bald haben wirst? Lara, bleib auf dem Boden. Du bist ein hübsches Mädchen, ein verdammt hübsches sogar. Aber du kannst mit einer vernünftigen Ausbildung mehr erreichen, als mit einem Model-Vertrag. Willst du auch so ein Hungerhaken sein? Willst du jede Kalorie zählen, damit du in die Kleider-Größe 30 passt? Mensch, mach die Augen auf! Das Model-Geschäft ist knallhart. Wer da nicht kuscht, der ist draußen. Und so ein rebellischer Geist wie du, der kommt da gar nicht weit.“

      Lara rollte mit den Augen. „Mama, du kennst dich auch so toll aus. Milly Simmonds ist kein Hungerhaken, sie hat die Maße 88-62-90. Die habe ich auch. Bin ich ein Hungerhaken?“ Frau Siemons sah ihre Tochter jetzt an, als wäre sie ein Boxer und hätte einen leichten Treffer am Kinn erhalten. Sie war nicht zu dünn. Lara konnte Unmengen vertilgen, nahm allerdings kein Gramm zu.

      „Milly Simmonds! Immer nur diese Milly Simmonds! Du redest von dieser Frau, als sei sie eine Schulfreundin. Du kennst sie doch gar nicht!“

      Aber ich werde sie bald kennenlernen, dachte Lara.

      „Nein, ich kenne sie nicht. Aber wer Google und Instagram kennt, der kann das alles nachlesen, Mama.“

      Die Tatsache, dass sie sich mittlerweile über das Model und nicht mehr über diese dämliche Nachbarin unterhielten, verriet Lara, dass der Zorn ihrer Mutter beinahe verraucht war. Daher setzte sie sogar noch einen drauf. „Was hat sie eigentlich gesagt, die alte Krähe?“

      „Das habe ich dir doch schon gesagt. Sie behauptet, du hättest sie eine ‚dumme Mistkuh‘ genannt und sie hätte Angst gehabt, dass du sie schlagen würdest“, wiederholte Frau Siemons die Worte der Nachbarin. Sie musste sich eingestehen, die Einschätzung ihrer Tochter deckte sich im Großen und Ganzen mit ihrer eigenen. Doch das konnte sie ihr gegenüber nicht zugeben.

      Lara lächelte verschlagen. Genauso war es gewesen. Sie hatte sich soeben beherrschen können. Hätte Lucy sie nicht weitergezogen, weil sie ganz dringend an einem Busch riechen wollte, sie hätte ihr eine geklatscht.

      „Das stimmt so alles nicht. Sie hat sich uns in den Weg gestellt und Lucy war schon fast vorbei, da habe ich sie gefragt, was das soll; warum sie uns nicht passieren lässt. Da hat sie gleich angefangen rumzuzetern, die Jugend hätte keine Erziehung mehr und so einen Müll. Da ist mir der Kragen geplatzt und ich habe sie eine Mistkuh genannt. Das ‚dumm‘ hat sie erfunden“, log Lara.

      Der Blick ihrer Mutter wurde milder. Eine Provokation der Nachbarin. Wie beinahe schon von ihr vermutet.

      „Lara, du musst dich zusammennehmen. Solange, wie wir hier wohnen, müssen wir uns mit den Leuten hier arrangieren. Wenn ich meine Beförderung bekommen habe, dann können wir vielleicht in ein anderes Haus ziehen“, mahnte sie und gab damit gleichzeitig ein Geheimnis preis, dass sie für sich behalten wollte, bis alles in trockenen Tüchern war.

      Lara musste jetzt reagieren, um den lieben Frieden wieder herzustellen.

      „Was? Du bekommst eine Beförderung? Mama, das wäre ja toll.“ Ihr Gesicht strahlte plötzlich.

      „Ja, noch ist alles noch nicht durch, aber die Personalabteilung ist schon informiert. Wenn alles glatt geht, dann bekomme ich nächsten Monat die stellvertretende Leitung der Abteilung.“

      Der Stolz in ihren Augen war nicht zu übersehen.

      „Echt toll, Mama“, wiederholte Lara und nahm ihre Mutter in die Arme.

      Wenn ich das morgige Shooting hinter mir habe, dann ist mir deine Scheiß-Beförderung total egal, dachte sie insgeheim.

      Ihre Mutter sah ihr falsches Lächeln nicht.

      *

       Bonn, Präsidium

      Die Fahndung nach den beiden Flüchtigen lief auf Hochtouren. Alle Streifenwagenbesatzungen hatten das Phantombild der beiden Männer auf dem Schirm. Aber der Erfolg war gleich Null. Die Flüchtigen blieben das, was diesen Begriff ausmachte: Flüchtig. Keiner hatte jemanden gesehen, der sich von der Kiesgrube entfernt hatte. Was kein gutes Licht auf die Polizei und die ebenfalls involvierten Zivilfahnder warf. Hell wiederum sah sich in seinen schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Bei einem Mord im Familienmilieu hätte es keine solche Unterstützung gegeben. Diese Morde geschahen oft im Affekt oder sie wurden auf offener Straße ausgeführt. Selten wurden die Opfer beseitigt. Und diese Morde geschahen innerhalb eines Familienverbands. Hier hätte es dagegen bedeutet, dass es mehrere Helfer gab, die den ersten beiden sofort zur Seite standen und sie an der Kiesgrube aufsammelten. Dies wollte er nicht glauben. Er vermutete vielmehr, dass sich exklusiv jemand um diese beiden Männer gekümmert hatte. Wer konnte mit Bestimmtheit sagen, dass sie nicht ihre Kontakte genutzt hatten, um von dort unerkannt wegzukommen. Das aber bedeutete, dass sie diese Unterstützung genossen. Was eindeutig gegen Leas These vom Ehrenmord sprach. Oliver Hell hatte nichts als sein Gefühl, dass ihn bisher nie im Stich gelassen hatte. Er hatte eine Idee. Wenn es auch wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen war, so barg es immerhin eine Chance, die sie ohne diese Möglichkeit nicht hätten. Er rief Matthias Seltge, von der Informationsabteilung an. Der Spezialist für Telefonüberwachungen sollte herausfinden, welche Handys zur fraglichen Zeit in der Nähe der Kiesgrube eingeloggt waren. Wenn sie jemand von dort abgeholt hatte, dann mussten die beiden Männer sich bemerkbar gemacht haben. Eine Chance. Und ein erster Ermittlungsansatz.

      *

       Bonn, Rechtsmedizin

      Das kalte Licht im Sektionssaal der Bonner Rechtsmedizin beleuchtete nüchtern die Szenerie. Auf benachbarten Sektionstischen lagen das Suizidopfer und die junge Tote aus dem PKW. Um den alten Mann kümmerte sich Dr. Felix Plasshöhler, während sich Dr. Beisiegel bemühte, die Obduktion der Frau so schnell wie möglich zu beenden. Beide Rechtsmediziner arbeiteten still und konzentriert, ihre Assistenten begleiteten ihre Handgriffe schweigend. Was Beisiegel bisher an Ergebnissen vorzuweisen hatte, gefiel ihr nicht, beziehungsweise es bestätigte ihre schlimmsten Befürchtungen. Die junge Frau war nicht länger als neun Stunden tot. Die Totenstarre war noch nicht vollständig ausgeprägt, die Totenflecke korrespondierten nicht mit der Auffindesituation, was bestätigte, dass der Sterbeort nicht der Fundort war. Der Todeszeitpunkt lag irgendwann am frühen Morgen, zwischen fünf und sechs Uhr. Das Opfer schätzte sie auf vierzehn, höchstens fünfzehn Jahre. Frauen aus dem Nahen Osten waren häufig noch sehr jung, wenn sie ihren ersten Geschlechtsverkehr hatten. Nach den Sitten des Islam durften viel ältere Männer auch Mädchen ehelichen, die nach westlichem Recht noch minderjährig waren und unter dem Schutz des Gesetzes standen. Diese junge Frau hatte Sex gehabt. Beisiegel vermutete sogar, dass sie regelmäßigen Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Und über einen längeren Zeitraum hin. Sie hatte ihre Jungfräulichkeit schon vor längerer Zeit verloren. Die Deflorationsverletzungen sprachen eine deutliche Sprache, sie waren schon älter und vernarbt. Die Abstriche an Vagina, Mundschleimhaut und am After hatten dagegen frische Spermaspuren zutage gebracht. Ob dieser Sex einvernehmlich gewesen war, konnte sie nicht mit Bestimmtheit sagen. Die Hand- und Fußgelenke wiesen keinerlei Fesselspuren auf. Vielleicht stand die junge Frau unter Drogen. Um einen Suchtmittelmissbrauch auszuschließen, hatte sie eine Blutprobe an das Labor geschickt. Das Ergebnis stand noch aus.

      Die Todesart dagegen stand fraglos fest. Die Stauungsblutungen um die Augenlider herum sprachen eine klare Sprache. Die Würgemale am Hals hatte sie besonders sorgfältig mit ihrer Kamera dokumentiert. Die tiefen Eindrücke der Daumennägel des Mörders lagen nahe dem Kehlkopf, was auch einen autoerotischen Todesfall nicht ganz ausschließen ließ. Es konnte also sein, dass der Mörder sie beim Sex zu stark gewürgt hatte und ihren Tod gar nicht absichtlich herbeiführen wollte. Die eilige Entsorgung ihrer Leiche war ein mögliches Indiz in diese Richtung. Panik. Die kopflose Handlungsweise, sie unabgedeckt im Kofferraum des Seat zu transportieren und die Flucht vor der Polizei ließen diese Vermutung zu. Was allerdings keine Erklärung dafür war, wieso eine Vierzehnjährige hier auf dem Sektionstisch lag. Woher kam sie? Wo waren ihre Eltern? Warum musste sie sterben? Stephanie Beisiegel fühlte sich elend, betrachtete die Nadel und den groben Faden, der schon bereit lag, um den Y-Schnitt auf dem Oberkörper des Mädchens wieder zu schließen. Bei Kindern brachte sie oft nicht die übliche Distanz auf, die

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