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bin keine Memme!“, presste Kadyrow hervor.

      „Okay“, sagte Reek und zog die Vokale lang. „Er sagt, er sei keine Memme. Wollen wir ihm das glauben?“ Dies fragte er keineswegs den Kerl hinter Kadyrow, sondern wandte sich an einen imaginären Zuhörer. Mit einem großen Schwung nahm er die Waffe vom Auge des Mannes, aber nur um sie direkt wieder auf ihn zu richten. Kadyrow erstarrte sofort wieder, nachdem er kurz aufgeatmet hatte.

      „Okay, wir wollen es ihm also glauben. Aber wenn du erneut versagst, dann endest du wie dein Kollege dort“, sagte er und deutete auf den Toten. Für den Kerl hinter Kadyrow war das das Signal, ihn loszulassen. Er sackte nach vorne auf die LKW-Plane. Das Blut seines Freundes drang in den Stoff seiner Hose ein. Er sah dessen Mörder ins Gesicht und schluckte. Dessen Augen wiederum blieben hinter der verspiegelten Brille verborgen.

      „Schafft das weg“, befahl Reek angewidert und deutete auf die Leiche. Langsam steckte er seine Waffe zurück in den Hosenbund. Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er los und begann wieder das Lied zu pfeifen, das er zuvor schon angestimmt hatte. ‚I’m singing in the rain‘ klang durch die Stille der Halle. Kadyrow sah ihm verbittert hinterher und verstand nicht, warum Reek plötzlich einen seltsamen Hüpfer machte. Dann noch einen und plötzlich drehte er sich mit ausgebreiteten Armen um sich selbst.

      *

       Bonn, Präsidium

      Oliver Hell sah seine Freundin Stephanie an. Ihr Gesicht wirkte kantig und verkrampft. So kannte er sie nicht. Das heißt, so hatte er sie seit den Vorfällen in Dänemark nicht mehr erlebt, als zwischen den Freunden eine Zeitlang Funkstille herrschte. Jetzt war allerdings nicht das Verschwinden ihrer Freundin Sarah, für das Hell die Schuld trug, weil er sich dort in polizeiliche Ermittlungen eingemischt hatte, das Thema, sondern es ging um die jugendliche Tote. Beisiegel saß vor Hells Schreibtisch, reckte den Kopf hoch und sah aus dem Fenster, als wolle sie dem Gespräch aus dem Weg gehen.

      „Was ist deine Meinung?“, fragte er sie trotzdem, legte den vorläufigen Obduktionsbericht vor sich auf dem Tisch ab und versenkte sich in seinem bequemen Drehstuhl mit der hohen Lehne. Wollte beruhigend wirken, als könne seine entspannte Körperhaltung dazu beitragen, dass auch sein Gegenüber entspannte. Langsam drehte sie ihren Kopf und sah Hell in die Augen.

      „Steht im Bericht“, sagte sie langsam. Von Entspannung war keine Spur.

      Vielleicht sollte ich es lassen, sie weiter zu bedrängen, dachte Hell.

      „Du kannst also einen Unfall nicht ausschließen?“, hakte er trotzdem nach. Er konnte nicht anders. „Ich kann dir erst mehr sagen, wenn das Ergebnis vom Tox-Screen und die Blutanalyse vorliegen“, antwortete sie hastig und sah wieder aus dem Fenster hinaus. Schlang die Arme umeinander und barg sie in ihrem Schoß.

      Hell kannte seine Freundin, die Rechtsmedizinerin nun schon seit mehreren Jahren. Ermordete Kinder versetzten ein Präsidium immer in Alarmstimmung, es glich dann einem Ameisenhaufen. Auch die Mediziner konnte man da nicht ausschließen. Und die forsche Stephanie erst recht nicht. Sicher hatte sie die Obduktion der Toten hinter sich und es auch ihm gegenüber schon bestätigt, dass es sie arg mitgenommen hatte. Nachdem sie Hell die Ergebnisse vorbeigebracht hatte, würde sie sich den Rest des Tages freinehmen und nachhause fahren. Doch er spürte, dass seine Freundin nicht nur ihre Betroffenheit zu schaffen machte. Da war noch mehr.

      „Was ist noch?“, fragte er sanft.

      „Nichts. Was soll sein?“, fragte sie und ihr Kopf flog herum.

      „Weil ich dich kenne und bemerke, dass da noch etwas ist, dass dich beschäftigt. Raus damit.“

      Wenn Hell Pfeife geraucht hätte, was er vor zwanzig Jahren einmal ausprobiert hatte, so würde er sich jetzt ruhig und gelassen eine Pfeife stopfen. Frauen empfanden Pfeifenraucher als angenehm. Früher jedenfalls. Ob das heute noch immer so war, konnte er nicht sagen. Er rauchte seit Jahren nicht mehr und fühlte sich seitdem besser. Manchmal empfand er sogar Mitleid mit den Rauchern, die heutzutage von Schockbildern auf den Zigarettenpackungen gequält, von der Gesundheitswelle überrollt, ihr Dasein in elenden Raucherecken fristen mussten. In Hells Jugend gab es kaum etwas schöneres, als in verräucherten Kneipen mit Freunden am Abend eine Packung Kippen durchzuziehen. Im Geiste stopfte er sich jetzt eine Pfeife und setzte den entspanntesten Gesichtsausdruck auf, zu dem er überhaupt imstande war.

      „Was du so alles bemerkst“, sagte sie und ihr Blick signalisierte ihm, dass er recht hatte. Als Aufforderung reichte jetzt nur noch ein Augenzwinkern und Stephanie begann zu sprechen. Erzählte ihm, dass ihr Freund die Beziehung beendet hatte. Sie waren erst seit ein paar Monaten zusammen gewesen und jetzt kam das Aus für sie völlig überraschend. Er beantwortete ihre Anrufe nicht und ließ sich auch in der Firma verleugnen. Oliver Hell nahm Anteil an ihren Gefühlen. Auch wenn er diese Beziehung – sie hängte ihr Gefühlsleben nie an die große Glocke – nur am Rande mitbekommen hatte, so war ihm aufgefallen, dass sie in letzter Zeit ausgeglichener und fröhlicher wirkte. Und jetzt saß sie wie ein Häufchen Elend vor ihm.

      „Du hättest mir früher davon erzählen sollen“, sagte er sanft, nachdem sie aufgehört hatte zu sprechen. „Das hätte geholfen.“

      „Naja, vielleicht“, gab sie zu und drehte den Kopf wieder zur Seite. „Wenn er mir wenigstens einen Grund nennen würde, aber dieses Schweigen macht mir zu schaffen. Wenn es etwas mit meinem Beruf zu tun hat, dann kann er es mir doch sagen.“

      „Warum sollte es etwas mit deinem Beruf zu tun haben?“

      „Er hat immer gesagt, dass ich ihm gegenüber besser verschweige, was ich tagsüber so erlebe. Als Manager lebt er natürlich in einer heilen Welt ohne Leichen und Mordopfer.“

      Hell stieß die Luft aus. „Auch Manager gehen über Leichen, wenn sie erfolgreich sein wollen.“ Auf ihrem Gesicht erschien ein flüchtiges Lächeln. „Ich verstehe das nicht.“

      „Stephanie, wir sind so in unserem Trott gefangen, dass wir vielleicht nicht mehr objektiv sind. Zerstückelte Leichen, irre Mörder und Psychopathen gehören zu unserem täglichen Erleben, so wie bei ihm Terminhetze, Meetings und Erfolgsdruck. Vielleicht verpackt er das nicht, wenn seine Partnerin täglich damit umgeht und sich austauschen möchte. Ich habe bei Franziska das große Glück, dass sie ebenfalls aus dem Metier stammt und versteht, was ich in meinem Beruf erlebe.“

      „Aber er hätte es mir doch sagen können, ich hätte mich dann zurückgehalten“, begann sie erneut.

      „Ist es denn das, was wir von einem Partner erwarten? Komm her, küss mich, aber erzähl mir nichts von deiner Arbeit?“

      Stephanie entkrampfte etwas, sie rieb sich die Hände und machte Anstalten aufzustehen. Ihr Lächeln war jetzt gequält, als sie sagte: „Wenn es so unerträglich für ihn war, dann ist es sicher auch besser so, wie es gekommen ist.“ Sie stieß sich von der Lehne ab und stand auf, seufzte. „Ich hätte ja auch mal ein kleines bisschen Glück haben können, Oliver.“

      Hell beeilte sich, aufzustehen und trat an sie heran, fasste sie bei den Oberarmen und rieb sie. „Lass den Kopf nicht hängen, bitte!“

      „Sie hob erst die Augenbrauen, dann den Kopf. „Ich doch nicht, Indianer kennen keinen Schmerz“, sagte sie und presste die Lippen zusammen.

      „Weiser Spruch von dir, Squaw ‚Schnelles Messer‘“, scherzte Hell und nahm sie in den Arm. Beisiegel ließ es bereitwillig geschehen, drückte sich fest an ihn. Er spürte, wie ihre Brust sich hob und senkte.

      Zwischen Lea Rosin und Sebastian Klauk herrschte noch immer Eiszeit. Nacheinander betraten sie den Besprechungsraum, in Hells Büro standen ihr Chef und Stephanie Beisiegel eng umschlungen vor Hells Schreibtisch. Klauk warf seiner Freundin einen vielsagenden Blick zu, zog die linke Augenbraue hoch und sah Lea über den Rand seiner Brille an. „Aha“, sagte er leise und bedeutungsvoll, als hätte er ein Pärchen beim verbotenen Knutschen erwischt.

      „Lass sie doch“, zischte sie zurück, doch auch sie konnte den Blick nicht von dieser ungewöhnlichen Szene lassen. Hell und Beisiegel. Die Doktorin

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