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zurück in den Schrank zu legen. Natürlich nicht so ordentlich, wie ihre Mutter es erwartete. Doch die gab sich mit Laras Antwort noch nicht zufrieden. „Seit wann trägt Janine D&G-Shirts?“

      „Oh, Mama. Seitdem es TK-Maxx in Bonn trägt, kann sich auch Janine solche Shirts leisten“, log sie schamlos. Ihre Freundin trug nie solche extravaganten Kleidungsstücke. Sie kleidete sich eher sportlich.

      „Ich habe es noch nie an ihr gesehen.“

      Lara hielt in der Bewegung inne, knuddelte eine Jeans, die sie nicht mehr tragen wollte zusammen und warf sie achtlos in die Ecke des Kleiderschranks.

      „Kein Wunder, sie hat es auch erst letzte Woche gekauft“, log Lara weiter. Wenn man einmal angefangen hatte, musste man damit weitermachen. Sie hatte die Erfahrung gemacht, dass ihre Mutter so manche Lüge eher schluckte als die Wahrheit. Das nutzte sie auch oft aus, wurde zur Gewohnheit. Schlimmer noch, es war ihr nicht einmal mehr peinlich.

      „Und jetzt darfst du es tragen?“, fragte sie ungläubig.

      „Janine ist meine beste Freundin. Wir teilen alles“, antwortete sie gestelzt und betonte besonders das letzte Wort.

      „Was ist mit dieser Jeans? Die war teuer, wenn ich mich richtig erinnere“, sagte sie und deutete auf die Ecke des Schranks, in der die ausgemusterte Hose gelandet war.

      „Mama, die ist von letztem Sommer. Ich habe seitdem Hüften bekommen, die Hose klemmt am Popo“, antwortete sie beleidigt und schob ihrer Mutter wie zum Beweis die Hüfte hin. „Wenn du dich mehr für mich als für meine Kleidung interessieren würdest, hättest du das mitbekommen!“

      Damit traf sie ihre Mutter an ihrer verwundbarsten Stelle. Keine Mutter ließ es sich gerne vorwerfen, sich nicht ausreichend um die Kinder zu kümmern. So war es auch bei Heidrun Siemons. Nach der Scheidung von ihrem Mann kam sie mit ihrem Job und den Alimenten des Vaters eigentlich gut über die Runden. Sie konnte sogar den Lebensstil ihrer Tochter finanzieren, las ihr jeden Wusch von den Lippen ab, aber sie war sich darüber in Klaren, dass ihre Fürsorge dem Mädchen gegenüber nicht den Vater ersetzte. Und sie musste viel arbeiten, um sich die geräumige Doppelhaushälfte in Bonn-Beuel leisten zu können. Doch ihrer Tochter reichte das alles oft nicht aus. „Ich interessiere mich für dich, Lara. Das weißt du genau. Wenn ich erst die Beförderung habe, dann …“, wollte sie sagen, doch Lara unterbrach sie. „Dann bist du noch weniger daheim, weil du mehr Verantwortung hast. Super, Mama, echt toll!“ Aus Laras Augen sprach diesmal echte Enttäuschung.

      „Diesmal ist es anders“, sagte Heidrun Siemons entschuldigend, trat auf ihre Tochter zu und berührte sie am Arm.

      „Ach, rede doch nicht, ich kenne das schon!“

      Lara drehte ihrer Mutter den Rücken zu, begann, die Jeans ordentlich in den Schrank zu räumen. Immer noch besser, als sich weiter mit ihrer Mutter zu streiten. „Ich muss gleich noch Mathe machen“, sagte sie wie beiläufig.

      „In einer dreiviertel Stunde gibt es Abendessen. Ich fände es schön, wenn wir zusammen essen könnten“, schlug sie vor.

      „Wenn ich dann mit Mathe fertig bin“, stieß Lara gelangweilt hervor. Ihre Mutter verließ das Zimmer und Lara flammte wütend eine Hose hinter ihr her.

      „Verdammt. Hoffentlich komme ich bald hier raus!“, flüsterte sie, so leise, dass nur sie es hören konnte.

      *

       Flughafen Köln-Bonn

      Auf dem Display wurden fünf entgangene Anrufe angezeigt. Immer dieselbe Nummer. Der erste Anruf erfolgte um halb eins, der letzte um 16:43 Uhr. Jetzt war es halb sechs. Der Rückflug von Mailand hatte sich um zwei Stunden verspätet, weil in Italien die Fluglotsen streikten. Ausgerechnet an dem Tag, an dem er zurückfliegen wollte. Nicht einen Tag davor und auch nicht am darauffolgenden Tag. Benedict Springer hasste solche Störungen in seinem Tagesablauf. Wenn er Dinge nicht selber regeln konnte, von anderen abhängig war. Sein Handy klingelte erneut, als er den Check hinter sich gebracht hatte. Er stellte den Trolly neben sich ab, nahm das Handy zur Hand und das Gespräch entgegen. Es meldete sich der, der zuvor schon fünf Mal angerufen hatte.

      „Endlich, Benni, wo steckst du denn?“, fragte Edgar Vilmers. Er schien kurz vor einem Nervenzusammenbruch zu stehen.

      „Der Flieger hatte Verspätung, die blöden Italiener streiken mal wieder. Ich frage mich, wie das Volk seine prekäre wirtschaftliche Situation verbessern will, wenn sie andauernd streiken“, antwortete er gelassen.

      „Die Bullen! Sie haben das Mädchen!“, stieß Vilmers gepresst hervor, die Situation der italienischen Wirtschaft schien momentan nicht sein drängendstes Problem zu sein.

      „Was?“, rief Springer jetzt alarmiert, „verdammte Scheiße, wie konnte das passieren? Ist sie entkommen?“

      Er starrte einen anderen Flugpassagier, der sich eilig an ihm vorbeidrängelte, an wie einen Geist. Vilmers antwortete nicht. „Was? Wie konnte sie entkommen?“

      „Sie ist tot!“

      Springer musste sich zusammenreißen, um nicht inmitten der vielen Menschen laut loszubrüllen. Er atmete einmal tief durch und raunte dann so leise, wie sein aufwallender Zorn es ihm ermöglichte, in das Handy: „Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Wie konnte so eine Schlamperei passieren?“

      „Sie war plötzlich tot. Mein Gott, ich war ja auch nicht dabei, Benni. Sie haben es so erzählt!“

      Springer ließ den Blick durch die Flughafenhalle schweifen, um sich zu beruhigen. „Wer?“

      „Die Tschetschenen!“

      „Diese Idioten! Ich hoffe, du ergreifst die notwendigen Maßnahmen?“, forderte er grimmig.

      „Schon passiert!“

      „Was ist schon passiert?“, hakte er nach.

      „Reek hat sich um sie gekümmert.“

      „Um beide?“

      „Gewissermaßen ja.“

      „Edgar, lass dir nicht alles aus der Nase ziehen. Was hat Reek getan?“

      „Ich meine, am Telefon so etwas zu besprechen … ist das klug?“, widersprach er mit Panik in der Stimme.

      „Wer sollte uns abhören? Niemand verdächtigt uns. Wofür auch? Bis heute gab es nicht den geringsten Hinweis. Aber jetzt gibt es ihn. Was hat Reek erledigt?“

      Vilmers zögerte mit der Antwort. „Bassajew!“

      Springer wartete, bis er diese Nachricht verdaut hatte. „Und Kadyrow?“ Seine Stimme klang mühsam beherrscht.

      „Nein, Kadyrow nicht.“

      Die Worte seines Freundes ließen seinen Adrenalinspiegel noch höher schnellen. Soviel geballte Dummheit konnte es nicht geben.

      „Das sollte sich ändern“, schäumte er auf. Er hatte das Gefühl, dass jeder in seiner Umgebung es mitbekommen haben müsste, dass er soeben einen Mordauftrag erteilt hatte. Doch niemand sah ihn schräg oder anklagend an. Niemand. Er stellte sich das versteinerte Gesicht Vilmers vor. Dieser gab keine Antwort.

      „Nein!“, antwortete Vilmers jetzt bestimmt. Mit Widerspruch konnte Springer überhaupt nicht umgehen.

      „Ihr habt es verbockt, jetzt müsst ihr die Scheiße auch wieder ausbügeln. Ich sage nicht, dass ich es gutheiße“, räumte er ein.

      „Ich werde das nicht tun“, bekräftigte Vilmers noch einmal.

      „Herzlichen Glückwunsch zu diesem ungemein dämlichen Protest. Er ist unangemessen und bringt uns in große Gefahr. Sollte Kadyrow plaudern, dann landen wir alle im Knast. Und zwar so schnell, wie du eines deiner Schweine tötest. Also, kümmere dich darum, dass beide verschwinden und nie wieder auftauchen. Ich hoffe, du hast mich verstanden?“, sagte er spöttisch.

      Ohne darauf zu warten, dass seinem Freund weiterhin irgendwelche Ausreden einfielen,

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