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Bonn. Das glaubte er, obwohl er in den Jahren, seitdem er in Hells Team war, schon ganz andere Dinge erlebt hatte. Mit den Geschichten über diese Psychopathen, Mörder und Geistesgestörten, die ihnen begegnet waren, konnte man ganze Bände füllen. Oder Kriminalromane schreiben. Rosin nahm das wohlwollend zur Kenntnis.

      „Sicher, ihr seid offen für alle meine Thesen, aber ihr dürft auch ruhig Bedenken anmelden, wenn ich über das Ziel hinausschieße. Hoffentlich ist es so, wie ihr glaubt!“ Gespannt wartete er auf die Antwort seiner Mitarbeiter.

      „Wir werden sehen, was die Überprüfung der DNA-Ergebnisse ergibt. Wenn die DNA aus dem Auto mit den Blutstropfen übereinstimmt, dann können wir weiter überlegen“, fasste jetzt Klauk zusammen. Hell beugte sich zu Bond hinunter. „Da hast du ja echt Staub aufgewirbelt, mein Großer“, sagte er und tätschelte den Hund am Kopf. Bond bellte einmal zufrieden.

      *

       Bonn, Hells Garten

      Der Sommer 2016 kam jetzt so richtig in die Gänge, daher musste man die Gelegenheiten nutzen, die sich boten. Oliver Hell nahm sich eine Flasche Rotwein und zwei Gläser mit auf die Terrasse, stellte sie auf den Tisch im Garten und setzte sich. Bedächtig entfernte er die Banderole von der Flasche und setzte langsam den Korkenzieher an und öffnete den Wein. Er atmete den Duft des Barolo ein und freute sich auf den Genuss. Er schenkte je einen Schluck in die kugeligen Gläser ein, wartete auf Franziska. Begegne einem guten Wein mit Achtsamkeit, hatte er in einem Buch über den korrekten Weingenuss gelesen und sich eingeprägt. War es nicht mit allem so? Achtsamkeit üben? Er blinzelte hinüber zu den Büschen, die er neu gepflanzt hatte und freute sich daran, dass sie gut angewachsen waren. Überhaupt trug der Garten mittlerweile ihre Handschrift. Franziska hatte auch oft mit Hand angelegt.

      Eine Wespe brummte heran und setzte sich auf den Rand des Weinglases. Mit einer sachten Handbewegung verscheuchte er das Tier. „Ist dir eh nicht süß genug“, sagte er und sah ihr hinterher.

      „Ist der Wein sauer?“, fragte Franziska von der Terrassentür aus, kam heran und setzte sich neben ihn auf einen der bequemen Lounge-Sessel. Sie trug ein geblümtes Sommerkleid, das Hell sehr an ihr liebte. „Nein, keine Angst, Schatz. Der Wein ist perfekt. Ich meine, er riecht perfekt, also wird er auch perfekt schmecken“, sagte er, reichte ihr das Glas und prostete ihr zu. „Auf einen schönen Sommer“, sagte sie. Hell nahm einen Schluck, ließ den Wein über die Zunge laufen und erlebte sein fruchtiges Aroma am Gaumen. „Perfekt gewählt, Schatz“, lobte er sie, denn Franziska hatte den Wein ausgesucht.

      „Danke“, sagte sie, trank einen kleinen Schluck und stellte das Glas vor sich ab. „Was ist das für eine Geschichte mit dem toten Mädchen?“, fragte sie leise.

      Hell hob erst die Augenbrauen, dann das Glas hoch, schwenkte es leicht und sah die Schlieren über das Glas laufen. „Da kann sich alles draus entwickeln, wir haben verschiedene Ansätze, aber alle klingen momentan gleich überzeugend. Vom Mafiamord bis Beziehungsdrama ist noch alles im Rennen“, antwortete er und verschwieg ihr, dass er vom Schlimmsten aller Szenarien ausging: Einem Verbrechen innerhalb der Organisierten Kriminalität, Entführung, Prostitution von Minderjährigen, die Hinrichtung eines Mitwissers, der sich zu dämlich anstellte. Dagegen klang Leas These von einem Ehrenmord ja wie ein Spiel auf einem Kindergeburtstag.

      „Und was denkst du?“

      Hell drehte den Kopf zur Seite, griff dann erneut zu seinem Glas und trank einen Schluck. „Lea glaubt an einen Ehrenmord, aber ich denke, dass der Mord an dem Mädchen und der Fund der Patronenhülse in Bonn-Auerberg in Verbindung stehen. Nur kann ich mir noch keinen Reim drauf machen, wie es zusammenhängt“, versuchte er eine Ausrede zu platzieren.

      „Du ziehst immer die richtigen Schlüsse aus deinen Vorgaben, Oliver, also wirst du es auch jetzt tun. Da bin ich mir sicher.“

      „Ja, tue ich das?

      Franziska lächelte als Antwort.

      „Das ist noch nicht alles, was mich beschäftigt. Bei Sebi und Lea kriselt es gewaltig. Wenn ich nicht aufpasse, dann spielen deren private Dinge in die Ermittlungen mit hinein. Lea reagiert aber noch eifersüchtig, also ist noch nicht alles erledigt bei den beiden.“

      „Ach Gott, die zwei. Sie sollen doch zufrieden sein, dass sie bisher noch nicht aufgefallen sind. Apropos: Wann verlässt euch eigentlich Jan-Phillip? Schon bald?“

      Dieses Thema wollte Hell noch viel weniger ansprechen als die Befürchtungen, die er insgeheim zu diesem neuen Fall hatte. Seinen Stellvertreter und Freund Wendt zu verlieren, ging ihm sehr nahe. Die Kollegen in Frankfurt würden einen fähigen Ermittler bekommen und in Bonn würde sein Weggang eine große Lücke reißen. Aber es war schon alles spruchreif. Wendt würde das K11 verlassen, um in Frankfurt sein eigenes Dezernat zu leiten. Einen Karrieresprung, den er hier in Bonn nicht geboten bekam.

      „Es ist nur eine Frage der Zeit. Seine Freundin ist nicht begeistert, eine Wochenendbeziehung zu führen, aber ich denke, im August wird er gehen“, sagte Hell und seufzte.

      „Er wird seinen Weg gehen, ebenso, wie du ihn gegangen bist. Wer wird dann dein Stellvertreter?“

      Hell fühlte sich zu einer Antwort genötigt, einer Antwort, die er für sich persönlich noch nicht gefunden hatte. Dementsprechend antwortete er auch. „Ich habe noch keinen Schimmer. Von den Dienstjahren her müsste es Christina sein, aber weiß ich, ob sie nicht irgendwann doch in eine Profiler-Gruppe abwandert? Und Sebastian? Der hat immer zu viel nebenbei laufen, um ein guter Stellvertreter zu sein, das sage ich jetzt ohne Ansehen der Sympathie, die ich für den Kerl hege.“

      „Und einen ganz neuen Kandidaten ins Team integrieren?“

      Hell stieß die Luft aus. „Wo soll der denn herkommen? Die Polizeipräsidentin reibt sich jetzt schon die Hände, dass eine Stelle nicht besetzt ist und wird einen Teufel tun, mir einen neuen Kollegen ins Team zu stellen. Bei der Frau stehen doch die nackten Zahlen im Vordergrund“, fuhr Hell fast auf, da ihn dieses Thema mehr als aufregte.

      „Noch ist Wendt nicht weg, diesen Fall könnt ihr noch gemeinsam lösen“, erinnerte ihn Franziska besänftigend.

      Diesen Fall lösen, dachte Hell. „Wenn ich erahnen könnte, wie schnell wir eine heiße Spur haben werden, wäre mir wohler.“

      Franziska bedauerte ihren Partner, der von jetzt auf gleich aus dem Urlaub geholt und in dieses offensichtlich sehr verwirrende Puzzle geworfen worden war. Sie seufzte und schüttelte den Kopf. „Es wird laufen wie immer. Du wirst den Fall lösen. Mit einer Portion Glück geht dann dein Urlaub weiter.“

      „Unser Urlaub“, verbesserte sie Hell, hob erneut das Glas. „Auf uns!“

      Die Liebe in Franziskas Augen war nicht zu übersehen, als sie mit ihm anstieß.

       *

       Swisttal-Heimerzheim

      Mansur Kadyrow war hin- und hergerissen. Sein Freund Argun war vor seinen Augen ermordet worden. Sollte er mit seinem Wissen zur Polizei gehen und dort von dem ‚Unfall‘ beichten, den sie mit dem jungen Mädchen gehabt hatten? War es damit vorbei? War er sicher vor diesem Scheusal, das Argun hingerichtet hatte? Er konnte diese Frage getrost verneinen. Reek würde alles daransetzen, den Zeugen für diesen Mord ebenfalls zu erledigen. Wenn er es nicht selber tat, so war Kadyrow sicher, dass Reek selbst im Gefängnis Gehilfen hatte, die ihm diesen Gefallen tun würden. Für eine gewisse Zeit musste er die Füße still halten, um in aller Ruhe seine Flucht vorzubereiten. Flucht. Irgendwohin ins Ausland, wo man sich verstecken konnte. In der alten Heimat oder in Georgien. Dorthin, wo Reek ihn nicht aufspüren konnte. Weil er dort der Fremde war. So wie es Argun und er in Deutschland waren.

      Wie jeden Abend nach dem Schlachten war es seine Aufgabe, die Boxen, in denen die Tiere getötet wurden, von deren Überresten zu säubern. Es stank nach Blut, Fleisch und der Angst der Tiere, die hier jeden Tag zu Tausenden getötet wurden. Die Stiefel, die ihm bis zur Hüfte gingen, schmatzten unter seinen Schritten. Er watete durch einen See aus Blut. Es machte ihm nichts mehr aus, mit der Zeit hatte er sich an

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