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Sofort änderte sich der Gesichtsausdruck der Kollegin, sie verließ Hells Büro und kam schnell auf sie zugelaufen.

      „Ich habe es eilig, Guten Tag und Auf Wiedersehen“, sagte sie im Vorbeigehen ohne ihnen einen Blick zuzuwerfen; schon war sie auf dem Flur. Mit schnellen Schritten entfernte sie sich.

      Gemeinsam traten beide an die Tür zu Hells Büro, das nur mit einer Glaswand von den anderen Arbeitsplätzen und dem großen Teil des Büros, in dem der Besprechungstisch stand, getrennt war. „Haben wir gestört?“, fragte Klauk offensiv.

      Hell musste schlucken. Er sah überrascht aus. „Nein, überhaupt nicht. Stephanie hat Liebeskummer. Was habt ihr beiden erfahren?“, fragte er und wechselte damit sofort und endgültig das Thema. Chance vertan, dachte Klauk, sah zu Lea hinüber und begann mit seinem Bericht.

      *

       Bornheim, Springer-Hof

      Josefina Springer stand mit vor der Brust verschränkten Armen im Hof. Mit gespitzten Lippen begutachtete sie die Arbeit der Fensterputzer, die im Obergeschoss die Sprossenfenster von außen putzten. Drei Männer einer Reinigungsfirma waren damit beschäftigt, das Gut für den Mittelalter-Markt, der am 21. des Monats auf dem Gutshof der Familie Springer stattfinden sollte, auf Vordermann zu bringen. Neben der Hausherrin stand Floria von Matussek, die Hausdame. Das grau eingedeckte Haupthaus mit dem Krüppelwalmdach wurde von zwei großen ehemaligen Stallungen flankiert, die mittlerweile um- und ausgebaut, das ohnehin schon üppige Raumangebot des Haupthauses noch vergrößerten. Den linken Flügel bewohnten die Kinder Bertram und Undine, auf der rechten Seite lagen die Wohnung der Hausdame, sowie zwei kleine Gästeappartements. Viel zu tun für die Männer der Reinigungsfirma. Hinter der Hausherrin werkelten die Gärtner, die sich um die Blumenrabatten und den Schnitt des Rasens kümmerten.

      „Wenn die Herren weiter solch eine faszinierende Geschwindigkeit an den Tag legen, sind wir vielleicht gegen Ende des Sommers soweit“, rief sie dem Mann auf dem Steiger zu. Der Mann nickte und gab seinen Kollegen eine Anweisung, sich zu beeilen. Auf Russisch. Die Fensterputzer mussten die Reinigungsarbeiten von draußen erledigen. Josefina Springer duldete keine Menschen in ihrem Haus, die sich nicht persönlich kannte. Dazu zählten auch die Angestellten der Reinigungsfirma. „Das ist doch alles zwielichtiges Gesindel! Wer putzt schon freiwillig die Fenster anderer Menschen? Kurz drauf gibt es einen Einbruch auf dem Hof, weil die vorher alles ausgekundschaftet haben. Dem kann man mit Vorsicht entgegentreten“, hatte sie behauptet, als vor Jahresfrist das erste Mal der Auftrag an eine externe Firma vergeben wurde. Seitdem hatte die Familie Springer schon mehrere Firmen getestet, diese hier war die Vierte in drei Jahren.

      „Ich werde ein Auge darauf haben, Frau Springer“, versicherte ihr Floria von Matussek. Die resolute Endvierzigerin war seit fast zehn Jahren im Haus der Familie tätig. Die Tatsache, dass sie einen Adelstitel trug, gefiel vor allem der Hausherrin. Sie trug ihr blondes Haar zu einem strengen Knoten gebunden. Ihren klugen forschenden Augen entging nichts, sie war loyal. Daher war sie die absolute Vertrauensperson ihrer Chefin.

      „Ich weiß, Frau Springer, Sie können sich wie immer auf mich verlassen.“

      „Um halb vier kommt mein Mann vom Flughafen, bis dahin will ich keinen von denen mehr hier sehen. Sagen Sie denen das. Wenn nicht, kürze ich die Rechnung um die Hälfte“, drohte sie Ressentiments an.

      „Verlassen Sie sich auf mich!“, wiederholte die Hausdame und drückte beide Augen zur Bestätigung fest zu. Sie wusste, wie energisch die Besitzerin des Hofes sein konnte. Sie hatte zwei Kinder der Springers aufwachsen sehen, kannte sie, seitdem sie acht und zwölf Jahre alt waren. Der Sohn, Bertram, war der mittlere der Springer-Kinder. Seine vier Jahre jüngere Schwester Undine war das Nesthäkchen und der Liebling ihres Vaters. Sie sah ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Man hätte vermuten können, dass sie sich deshalb auch gut verstanden. Doch stimmte die Chemie zwischen Tochter und Mutter oft nicht.

      Josefine Springer schob ihr Kinn energisch nach vorne und ließ Frau von Matussek am Fuß der großen Freitreppe stehen. Es war alles gesagt zwischen Chefin und Angestellter. Die Hausdame drehte sich herum und sah prüfend zu den Gärtnern hinüber. „Könntet ihr euch etwas beeilen?“, herrschte sie den am nächsten stehenden an. Der Angesprochene nickte und ließ sich aber nicht beirren, machte weiter in seinem Arbeitstempo. Dafür war Friedrich Grundmann schon zu lange Gärtner bei den Springers, hatte viele Hausdamen kommen und gehen sehen. Von dem Gequengel dieser Frau ließ er sich nicht mehr einschüchtern. Bis zur Rente hatte er noch zwei Jahre. Also gab es keinen Grund, sich noch über die Maßen zu beeilen. Als von Matussek ihrer Chefin ins Haus gefolgt war, erhob er sich und streckte sein schmerzendes Kreuz durch. Die Arthrose in seinen Gelenken behinderte ihn zusehends mehr. Doch er biss die Zähne zusammen und sah zu seinem Kollegen hinüber. Der junge Russland-Deutsche hatte sich prächtig entwickelt. Benedict Springer hatte ihn eines Tages mitgebracht und befohlen, dass er ab jetzt im Garten der Springers arbeiten solle. Was der Gutsbesitzer befahl, stellte niemand in Frage. Auch wenn sich nach kurzer Zeit herausstellte, dass der junge Mann keine Ahnung von Gartenarbeit hatte. Er konnte eine Rose nicht von einem Gänseblümchen unterscheiden. Grundmann hatte sich des schweigsamen Mannes angenommen und schon bald hatte er ihm die Grundlagen des Gärtnerns beigebracht. Fleißig und duldsam war er ohnehin, Eigenschaften, die auf einem solchen Gutshof ganz oben standen. Wer hier nicht spurte, konnte ganz schnell wieder auf der Straße sitzen. Sergej Dunst hatte es geschafft, die Straße blieb ihm erspart. Nach ein paar Wochen begann er zu erzählen, Grundmann erfuhr, dass er zuvor in der Fleischfabrik von Edgar Vilmers tätig war. Vilmers war der größte Fleischproduzent im ganzen Rhein-Sieg-Kreis und der beste Freund von Benedict Springer. Die beiden Männer waren schon von Kindesbeinen an Freunde, gingen zusammen auf die Jagd und richteten auch gemeinsam das Fest aus, das am 21. Juli hier auf dem Hof stattfinden sollte. Mit Ochsen am Spieß, selbstverständlich gesponsert von Vilmers und allerlei mittelalterlichem Treiben. Dazu reiste eigens eine riesige Gaukler-Truppe an, die mit ihrem altertümlichen Markt und passenden Kostümen den Hof ein paar Jahrhunderte in seine Vergangenheit zurückversetzte. Grundmann wuchtete eine Mistgabel in die Schubkarre und schob sie über den Kiesweg hin zu Sergej. „Wir müssen noch die Rosenstauden mit Pferdeäpfeln versorgen. Hör hiermit auf, das kannst du auch morgen noch machen“, ordnete er an und schenkte dem jungen Russen ein mildes Lächeln. Er mochte diesen schweigsamen Kerl, doch manchmal hatte er das Gefühl, dass sich tief in dessen Seele etwas eingegraben hatte, das er nicht nach außen lassen konnte. Etwas Dunkles, Unheimliches. Manchmal blitzte etwas auf in seinen Augen. In der Fleischfabrik hatte er mit seinen großen Händen im Akkord Tiere zerteilt. Jemand, der dazu imstande war, besaß keine Empathie anderen Lebewesen gegenüber. So dachte Grundmann eine Zeitlang, bis er sah, wie Sergej mit den Hunden und Pferden umging, wie er mit den Welpen der Hofhündin spielte, sie behutsam in seinen riesigen Pranken hielt und etwas auf Russisch murmelte. Sergej war kein schlechter Kerl. Grob, aber mit der Seele eines Kindes.

      Gemeinsam gingen die beiden Männer zwischen Haupthaus und linkem Nebengebäude hindurch, dorthin wo sich jetzt die modernen Stallungen befanden. Der Kies der Auffahrt knirschte unter ihren Stiefeln, als sie schweigend den Innenhof verließen.

      Josefine Springer schob die kleine Spitzengardine zur Seite, beobachtete wiederum ihre Angestellten; verborgen hinter der großen schweren Eingangstür des Haupthauses, stand sie da. Man musste immer alles überprüfen. Wenn der Schlendrian unter den Angestellten einmal eingezogen war, bekam man ihn nur sehr schwer wieder bekämpft. Doch auf Frau von Matussek konnte sie sich verlassen. Sie ließ die Gardine nach unten gleiten und überlegte, ob die Köchin mit dem Essen für ihren Mann schon fertig war. Sie atmete einmal aus und machte sich auf dem Weg in die Küche des Hauses.

      *

       Bonn, Präsidium

      Lea hatte erfolglos die Kollegen von der Bonner Vermisstenstelle befragt, die Sitte hatte für Klauk leider auch nur ein Kopfschütteln parat gehabt. Dementsprechend wenig motiviert fiel auch ihr Bericht aus.

      „Ich kann nur sagen, dass sie sich an ihre Kollegen in anderen Regionen wenden wollen, um zu hören, ob dort eine junge Frau vermisst wird. Mehr können wir von da nicht erwarten“, schloss er mit einem Achselzucken. Vermied es, Lea anzusehen. Christina

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