Скачать книгу

hatte ihm versprochen, schnell Ergebnisse zu präsentieren. Was er schon jetzt allerdings spürte, war, dass ihm diese Sache hier schon gewaltig an die Nieren ging. War sie ein Opfer der Umstände geworden? Was hatten diese beiden Männer mit Migrationshintergrund mit ihrem Tod zu tun? Waren sie die Mörder? Hatte man sie nur engagiert, um die Leiche loszuwerden? Wohin wollten sie das Mädchen bringen? Man konnte davon ausgehen, dass sie aus der Not heraus die Kiesgrube ausgewählt hatten, um vor der Polizei zu flüchten. Oder war dies zuvor schon der Plan? Es gab nichts Definitives in diesem Mord. Er holte tief Luft und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. Ein Mord brachte immer eine Menge von Dingen ans Tageslicht. Auch Dinge, die eigentlich unter einem Mantel des Schweigens verborgen bleiben sollten. Würde es auch hier so sein? Die Polizei fuhr für die Fahndung nach den beiden Flüchtigen alles auf, was ihr zur Verfügung stand. Und wenn alles seinen normalen Gang ging, dann verfügte man bald über die ersten Ergebnisse. Wenn.

      Kurz drauf traf der erste der Kollegen ein. Vergnügt kommentierte Wendt den Kleidungsstil seines Chefs.

      „Es scheint ja ein leichter Fall zu werden, Chef, wenn man Ihren lockeren Style anschaut“, feixte er lächelnd.

      „Wenn ich vorher gewusst hätte, was mich da in der Kiesgrube erwartet, hätte ich vorher was Dunkles angezogen“, bremste er die gute Laune seines Kollegen.

      „Aha“, sagte Wendt und hängte seine Jeansjacke auf den Stuhl an seinem Platz, dann trat er vor die Tafel, an der Hell zwei Tatortfotos angeheftet hatte. Mehr noch nicht.

      „Eine Ausländerin? Was weiß die Presse?“, fragte er skeptisch.

      „Es herrscht eine Mitteilungssperre, so lange, bis wir überhaupt etwas sagen können. Sonst haben wir direkt alle auf dem Hals: Die Presse, das Auswärtige Amt, die Vertreter der ausländischen Gruppierungen und den Ditib. Erst wenn wir wissen, um wen es sich handelt, können wir eine Mitteilung formulieren.“

      Wendt nickte. Bonn war als ehemalige Bundeshauptstadt noch immer ein heißes Pflaster. Einige Länder hatten noch immer ihre Botschaften hier. Als UN-Standort, der immer mehr ausländische Mitarbeiter anzog, stand man im internationalen Fokus. Da war der Mord an einer jungen Ausländerin nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.

      „Was hat die Halterabfrage ergeben?“, wollte Wendt wissen, nachdem er die Begutachtung der Tatortfotos abgeschlossen hatte. „Der Seat Ibiza ist vorgestern von einem Parkplatz gestohlen worden. Die junge Frau war völlig geschockt, als man ihr mitteilte, dass man darin eine Leiche gefunden hätte. Sie möchte ihr Fahrzeug nicht zurück“, sagte Hell.

      Wendt stieß ein Glucksen aus. „Verständlich.“

      „Was denkst du, Chef?“, fragte er mit einem Wink auf die noch fast leere Glastafel.

      Hell wäre es lieb gewesen, um die Antwort auf diese Frage herumzukommen. Wendt bemerkte das. „Ich muss jetzt etwas tun, was sonst nicht mein Ding ist. Ich kann dir ein Gefühl nennen. Ich weiß, das ist normalerweise Chrissis Ding, aber ich habe eine ganz dumme Vorahnung. Ich kann es dir nicht präzisieren, aber ich glaube, wir haben per Zufall die Spitze eines Eisberges entdeckt. Da kommt noch was nach.“

      ‚Titanic-Feeling‘ “, meinte Wendt, senkte seinen Blick und schürzte seine Lippen. Diesen Begriff hatte seine Freundin Julia Deutsch geprägt, die als Fachanwältin für Scheidungsrecht tätig war. Sie wollte damit ausdrücken, dass es Ehen gab, deren offensichtliche Probleme nur die Spitze eines Eisbergs war. Darunter gärte es oft noch weitaus schlimmer. Das war für sie das ‚Titanic-Feeling‘.

      „Nenn es, wie du magst, Jan-Philipp. Ich habe dieses Bauchgefühl und du kannst mich meinetwegen auslachen.“

      Wendt hob seine linke Augenbraue. „Warum sollte ich. Wenn ich in all den Jahren, die wir zusammenarbeiten eins gelernt habe, dann das: Vertraue auf das Bauchgefühl deiner Kollegen!“

      Hell warf ihm einen dankbaren Blick zu.

      Eine Viertelstunde später war das Team vollständig um den Besprechungstisch versammelt. Recht schnell hatte Hell den Rest seiner Leute mit dem schmalen Ermittlungsstand vertraut gemacht. Schon wurde der Stand der Ermittlungen kontrovers diskutiert.

      „Sie ist eine Frau mit Migrationshintergrund? Und zwei Männer ebenfalls mit Migrationshintergrund transportieren ihre Leiche munter mit einem Auto durch Bonn? Denke ich alleine da an einen Ehrenmord, der vertuscht werden soll?“, fragte Lea Rosin, die Jüngste im Team. In der Runde blieb es still; alle sahen sie an.

      „Ich finde es zu früh, von einem solchen Rahmen auszugehen“, antwortete Christina Meinhold und Lea runzelte die Stirn. Die Ältere der beiden Frauen im Team hatte ihre Ausbildung zum Analytischen Fallermittler vor geraumer Zeit abgeschlossen, und anstatt in einem Team von Profilern zu arbeiten, hatte sie es vorgezogen, wieder in das Team von Oliver Hell zurückzukehren. Dort wurde sie mit offenen Armen wieder aufgenommen.

      „Sie wurde erwürgt, sie trägt Strapse, wie sie von Prostituierten getragen werden und kommt allem Anschein nach aus einem Land des Nahen Ostens. Mehr wissen wir nicht, daher finde auch ich diese Annahme als verfrüht“, antwortete Jan-Philipp Wendt, Oliver Hells Stellvertreter. Lea Rosin verschränkte die Arme vor der Brust und schmollte. Sie warf einen kurzen Seitenblick auf ihren Freund Sebastian Klauk. Doch auch von ihm erhielt sie nicht die erhoffte Unterstützung.

      „Es ist noch zu früh, um solche Schlüsse zu ziehen, Lea“, sagte Hell besänftigend zu ihr.

      „Schon gut, ihr seht es anders. Punkt!“

      Alle sahen, dass sie mit Hells Worten nicht zufrieden war. Vor allem von Sebastians Seite hatte sie sich Unterstützung erhofft. Immerhin war er ihr Freund.

      „Solange wir nicht wissen, wer das Opfer ist, können wir nichts tun“, analysierte Klauk nüchtern. „Diese Strapse beweisen nichts. Man kann sie ihr angezogen haben, nachdem man sie getötet hat, um eine falsche Spur zu legen.“

      „Stimmt. So kann es auch gewesen sein“, stimmte ihm Hell zu.

      „Von welcher Annahme gehen wir also jetzt erst einmal aus?“, fragte Wendt kühl.

      „Von der Annahme, dass wir eine junge Tote mit Migrationshintergrund haben, ebenso zwei Männer mit Migrationshintergrund, die beim Transport der Leiche semigeschickt gewesen sind und seitdem auf der Flucht sind. Haben wir diese beiden an der Angel, kennen wir auch den Namen der Toten.“

      Wendts Worte waren klar und sicher.

      „Einverstanden. Wir müssen die Kollegen von der Sitte befragen, ob die Tote bei ihnen bekannt war. Und natürlich auch die Kollegen von der Vermisstenstelle ins Boot holen.“

      Wendt hatte dies vor dem Eintreffen der Kollegen bereits telefonisch erledigt, nannte den Kollegen jetzt die Namen der Ansprechpartner. „Sie haben die entsprechenden Fotos schon erhalten, besser wäre allerdings ein persönlicher Kontakt. Wer weiß, vielleicht brauchen wir die Kollegen später noch“, erläuterte er.

      „Ich kümmere mich um den Kontakt zu den Kollegen von der Vermisstenstelle“, sagte Lea.

      „Ich mich um die von der Sitte!“, hielt Klauk dagegen. Sie nickte, stand auf, um zu ihrem Schreibtisch zu gehen. Holte sich ihre Schultertasche und trat hinter Klauk. „Gehen wir?“

      Klauk warf ihr einen unsicheren Blick zu. Er ahnte bereits, was jetzt kommen würde. Lea würde ihn kritisieren, weil er ihre These mit dem Ehrenmord nicht unterstützt hatte. So war es immer in der letzten Zeit. Seitdem sie zusammen waren, fuhr Lea bei jeder kleinen Gelegenheit aus der Haut. Ihre Beziehung musste geheim bleiben, eine Beziehung unter Kollegen war in den Dezernaten der Polizei nicht gerne gesehen. Die Vorgesetzten wussten es nicht, die Kollegen aus Hells Team hielten die Verschwiegenheit hoch. Sebastian Klauk seufzte und erhob sich.

      „Wir müssen doch in verschiedene Richtungen, magst du nicht vorgehen?“, fragte er.

      „Kommst du jetzt bitte, Sebastian?“ herrschte sie ihn an, ihr Blick ließ keinen Zweifel offen, dass sie ein Hühnchen mit ihm zu rupfen hatte. Klauk rollte mit den Augen. „Zu Befehl“, sagte er und folgte Lea zur Tür.

      Als

Скачать книгу