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weiterhin so aufregend sein, würde sie diesen Schritt gehen. Ohne Wehmut, wie sie ihm mitgeteilt hatte.

      „Es war kein Anschlag des IS“, rief Franziska schon aus der Diele, „das steht definitiv fest!“

      Hells gute Laune und seine Mundwinkel sanken schlagartig. Bei einem Anschlag in Nizza am Vorabend war ein Attentäter auf der Promenade des Anglais mit einem LKW durch eine Menschenmenge gefahren. Mindestens achtzig Personen wurden dabei getötet und mehr als vierhundert zum Teil schwer verletzt. Der Attentäter wurde von Sicherheitskräften erschossen. Die französische Polizei ging von einem Anschlag des Islamischen Staates aus, doch hatte sich die Terrororganisation noch nicht dazu bekannt.

      Hell trat in den Flur. „Wer sagt das?“

      „Der IS hat noch keine Bekennerschreiben im Internet veröffentlicht. Der Amaq, das Sprachrohr für die Propaganda der Terrormiliz Islamischer Staat, schweigt.“

      „Woher weißt du das?“

      „Aus dem Radio. Wo lebst du denn heute?“ Sie klang fast tadelnd.

      „Unter dem Sonnenschirm auf der Terrasse!“

      „Und du hast kein Radio?“

      „Bei einem Kaffee kannst du mich bestimmt auf den neuesten Stand bringen, Schatz“, sagte Hell und gab Franziska einen Kuss auf die Wange. Sie runzelte die Stirn, als könne sie sein scheinbares Desinteresse nicht billigen. Dabei war Hell alles andere als desinteressiert. Er hatte sogar auf dem Präsidium angerufen, um sich dort nach den neuesten Erkenntnissen zu erkundigen. Doch die Kollegen dort nannten ihm ebenfalls nur das, was in der Presse bestätigt wurde. Er schob sich die Sonnenbrille auf die Nase und ging zurück in die Küche, schaltete die Kaffeemaschine ein.

      „Was sagte die Meldung im Radio?“, fragte er zehn Minuten später mit einem hohlen Gefühl in der Magengegend, nippte an seinem Latte.

      „Dass der IS keine Verantwortung für den Anschlag übernimmt. Sie gehen davon aus, dass es sich um einen einsamen Wolf handelt, der der Terrororganisation die Treue geschworen hat.“

      „Und wo ist die Sensation?“

      „Hör mal, da fährt ein Kerl mit einem LKW in eine riesige Gruppe feiernder Menschen und du fragst, wo die Sensation ist? Seit wann bist du denn so elend zynisch, Oliver?“

      Hell stellte sein Kaffeeglas auf dem Tisch ab und legte die Sonnenbrille daneben. „Ich bin keinesfalls zynisch, die Franzosen haben ihn geradezu eingeladen, so etwas zu tun. Keine Sperren an dieser Strandpromenade, keine verstärkte Polizeipräsenz und das an einem Nationalfeiertag. Jeder kann sich denken, dass ein solcher Tag zu einem Anschlag einlädt.“

      „Es ist nur dort etwas passiert!“, protestierte Franziska vehement.

      „Gottseidank! Es wäre nicht auszudenken, wenn die Logistik des IS besser strukturiert wäre. Dann hätten wir nicht nur achtzig Tote, sondern mehr. So wie in Paris, wie im Bataclan.“

      Franziska starrte ihn an, als sei er von einem anderen Stern. Mehrere Male stieß sie verächtlich die Luft aus. „Und das nennst du nicht zynisch?“

      „Nein, das ist nicht zynisch. Das ist zutreffend und wenn du deine Anteilnahme beiseitelegst, dann wirst du mir recht geben“, sagte er teilnahmslos.

      „Ich bin aber stolz auf meine Anteilnahme, Oliver!“

      „Und ich bin stolz auf meine nüchterne Sicht der Dinge“, äußerte Hell und zog die Augenbrauen hoch. „Ich sage nicht, dass mir die Toten nicht leid tun, aber es wäre vermeidbar gewesen, dass ein Attentäter mit einem LKW über eine so lange Strecke unbehelligt Menschen überfahren kann. Mit ein paar simplem Betonsperren oder ein paar schwerer LKW, die auf der Straße geparkt waren“, sagte er und trank seinen Latte in einem Zug aus.

      „Aber so ist es nicht gewesen.“

      „Eben.“

      „Bekommt dir die Sonne nicht?“, fragte Franziska provokant.

      „Wieso?“

      „Weil du im Moment ziemlich unausstehlich bist. Liegt es daran, dass du nichts zu tun hast?“

      Hell schürzte die Lippen. „Nein.“

      „Gibt es etwas anderes, von dem ich nichts weiß?“

      „Ebenfalls nein.“

      „Dann ist dir nicht zu helfen“, sagte Franziska und stand auf. Er spürte, dass er eine Erklärung abgeben musste, sonst würde aus diesem Geplänkel ein Streit entstehen. „Vielleicht bin ich so mies drauf, weil so viel passiert“, sagte er und sie hielt in der Bewegung inne. Wartete auf mehr.

      „Vielleicht liegt es daran, dass die ganze Welt im Moment aus den Fugen gerät und wir hier einfach tatenlos zusehen müssen, wie es passiert. Das geht mir auf den Geist. Alles, woran ich in den letzten Jahren geglaubt habe, geht den Bach hinunter. Unsere Demokratie, unsere Freiheit. Die EU zerfällt, der Euro steht auf der Kippe, in den Ostblockländern erstarkt der Nationalismus, ebenfalls in Österreich und Frankreich feiern die Rechten Erfolge. Kannst du mir erklären, was da passiert? Haben die alle nichts kapiert? Brauchen sie einen neuen Krieg? Ist es das, was auf uns zukommt?“

      „Ich teile deine Besorgnis, Oliver. Die Melodie hat sich verändert, sie hat mehr Moll-Töne als Dur-Akkorde.“ Sie kam auf ihn zu und er vergrub seinen Kopf in ihrem Schoß. „Aber wir sind noch am Leben, dieses Privileg steht uns noch zu.“

      *

       Bonn, Innenstadt

      „Hallo-ho, Süße, schön dich zu sehen“, flötete Lara Siemons und umarmte ihre Freundin Janine. Sie tat dies so überschwänglich, als hätten sie sich schon Wochen lang nicht gesehen, doch es war erst am Morgen gewesen, in der Schule. Lara küsste ihre Freundin rechts und links auf die Wange, fasste sie bei den Schultern.

      „Komm, lass uns sofort ins TK-Maxx gehen, ich brauche unbedingt ein neues Oberteil“, sagte Lara und zog ihre Freundin schon über den Münsterplatz in Richtung des Kaufhauses davon. Neben dem Reiterstandbild hatte sich eine Gruppe Jugendlicher versammelt. Janine erkannte sofort einige ihrer Klassenkameraden. „Och, nein, diese Spakkos und Gehirnamputierten brauche ich nicht auch noch nachmittags“, fluchte Janine. Sie wechselte auf die andere Seite, hakte sich bei ihrer Freundin ein. Doch zu spät. Einer der Jungs hatte sie bereits bemerkt, schlug seinem Freund auf die Schulter. „Wenn das nicht unsere liebe kleine Janine ist. Sieh mal, sollte sie nicht lieber daheim sitzen und Englisch pauken“, tönte er und trat ihnen breitbeinig in den Weg. Der Freund drehte sich ebenfalls herum und ließ ein breites Grinsen auf seinem Gesicht erscheinen. „Stimmt, die dürfte nicht mehr auf die Straße. Frau Oberstein war not amused über ihre pronounciation today!“, stimmte er seinem Kumpel zu.

      „Oh, nein, die Vollpfosten-Armee“, zickte Janine und zog genervt die Augenbrauen hoch“, „komm schnell weiter, die Doofheit dieser Kerlchen steckt an. Weißt du, Idioten-Viren verbreiten sich auch ohne Körperkontakt!“

      Der Junge, der sie entdeckte hatte, verzog verärgert das Gesicht. „Zieh Leine, Scha-nine! Deine scharfe Freundin kannst du aber gerne hierlassen.“

      Lara verlangsamte ihren Schritt, zog Janine gegen deren Willen auf den Jungen zu. „Scharf, ja, ich bin scharf. Aber im Gegenteil zu dir stehe ich auf Männer!“

      Er fasste sich an den Schritt und grinste.

      „Hör mal, solche Typen wie du kotzen mich an. Geh und verschimmle hinter deinem Pubertätsgemüse. Soll das etwa ein Bart sein, das du da im Gesicht trägst? Lächerlich!“ Lara lachte laut und gekünstelt auf. Sie war in ihrem Freundeskreis für ihre spitze Zunge berüchtigt.

      „Pass ma auf, Schlampe!“, protestierte der Junge, kam einen Schritt auf sie zu. Blitzschnell langte sie in ihre Tasche und holte ihr Pfefferspray hervor. „Komm, Sackratte! Trau dich!“, drohte sie ihm.

      „Hey, wie kommst du denn daher?“, fragte er.

      „Zieh Leine, du Vollhorst! Ich vergesse mich sonst!“,

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