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die sind filmreif flitzen gegangen.“

      Hell hörte gar nicht richtig hin. Die junge Frau hatte massive Würgemale an der vorderseitigen Halshaut, es waren auch halbmondförmige Abdrücke der Fingernägel des Mörders zu sehen. Hell schluckte, achtete darauf, mit dem Kopf nicht gegen die Heckklappe zu stoßen, als er sich aufrichtete.

      „Was meintest du?“, fragte er erneut nach.

      „Wozu?“

      „Entschuldigung, ich bin etwas geschockt. Ich hätte nicht gedacht, hier eine junge Türkin zu finden. Oder was denkst du, woher sie stammt?“, fragte er und heftete seinen Blick auf Tim Wrobel. Auch dessen Gesichtsausdruck sprach Bände.

      „Du liegst damit sicher richtig, ich würde auch sagen, dass unser Opfer aus der Türkei, Syrien oder dem Irak stammt. Was Näheres kann sicher Stephanie beisteuern. Sie kommt übrigens etwas später, weil sie noch einen Suizid vor der Brust hat“, informierte ihn der Tatortermittler.

      „Um Gottes willen! Die himmlische Ruhe ist vorbei, wie mir scheint.“

      „Ja, wir kommen eben von dort. Ein älterer Mann, kein Vergleich zu dem hier“, sagte Wrobel mit einer Kopfbewegung hin zu der Toten.

      „Kinder sollten nie vor ihren Eltern gehen. Und sie sollten nie so elend sterben müssen, wie dieses Kind hier!“, fügte Hell an. Beide seufzten.

      „Ja, das ist übel“, sagte Wrobel hart.

      „Was für ein Mädchen ist sie wohl gewesen?“

      Hell fuhr herum. Neben ihm stand die weibliche Tatortermittlerin, deren Hinterteil er im Fahrzeug der Ermittler schon heimlich bewundert hatte.

      „Ein sehr hübsches“, antwortete Hell und sah die junge Frau fragend an. Sie hielt dem stand. Unter der Kapuze quoll keck eine blonde Strähne hervor. Knapp dreißig Jahre alt, eins sechzig groß und schlank, lustige Lachfältchen um den Mund herum. Ihre blauen Augen wirkten riesig in dem schmal geschnittenen Gesicht.

      „Ach ja, ich bin die Neue. Mein Name ist Constance Nimmermann. Sie müssen Kommissar Hell sein, stimmt’s?“ Sie hielt ihm ihre Hand hin. Hell schlug ein. „Ja, Oliver Hell, sehr angenehm, Frau Nimmermann.“ Ihr Händedruck war für eine Frau sehr fest.

      „Julian Kirsch hat sich eine Auszeit genommen. Er tourt mit einem Freund für ein halbes Jahr durch Neuseeland. Frau Nimmermann ergänzt unser Team in dieser Zeit“, erläuterte ihm Wrobel nebenbei. Die junge Frau hatte aber schon die Freundlichkeiten abgehakt und widmete sich wieder der Toten.

      „Türkin? “

      „Vielleicht. Diese Frage haben wir uns auch eben gestellt“, gab Hell zu. Frau Nimmermann trat einen Schritt nach vorne. Sie holte einen länglichen Gegenstand aus ihrem Ermittlerkoffer und kniete sich auf die hintere Prallfläche des Seat. Mit einer schnellen Bewegung hob sie damit den Rock des Mädchens hoch.

      „Upps! Eine junge Türkin, die Strapse trägt. Gewöhnungsbedürftig“, stieß sie überrascht aus und sah über die Schulter hinweg zu den beiden Männern herüber. Beide Männer vergewisserten sich, dass sie zweifellos richtig lag, sie wurde dafür mit anerkennenden Blicken bedacht.

      „Allerdings“, sagte Hell, „wir müssen die Kollegen von der Sitte befragen, ob sie die Tote kennen.“

      „Klar.“

      „Die Strapse sind übrigens keine aus dem Angebot von C&A oder so, die kommen aus einem speziellen Milieu“, sagte sie ohne die Augen schamvoll niederzuschlagen. Sie schien sich damit auszukennen. Wrobel nahm es ebenso schweigend hin wie Hell.

      „Schon klar, was die Herren jetzt denken. Aber ich darf Sie dahingehend beruhigen. Meine Vorlieben für Unterwäsche liegen woanders. Ich war ein paar Jahre bei der Sitte, bevor ich zur KTU wechselte. Da lernt man sein Metier von der Pike auf.“

      Hell interessierte sich nicht für ihre Geständnisse. Er fuhr sich mit der Hand über den Mund und überlegte. Innerhalb von ein paar Sekunden war aus diesem bedauernswerten jungen Opfer möglicherweise eine Prostituierte geworden. So schnell veränderten sich in der Polizeiarbeit die Perspektiven.

      „Gute Arbeit, Frau Nimmermann“, sagte er anerkennend.

      „Danke, Herr Kommissar“, sagte sie und lächelte.

      *

       Bonn, Ministerium des Innern

      „Schönen guten Tag, Herr Doktor Matheissen“, grüßte die Büroleiterin freundlich. Matheissen nickte seiner Angestellten nur kurz zu und ging direkt weiter in sein Büro.

      Solche Arbeitszeiten hätte ich auch gerne, dachte sie und seufzte. Matheissen hatte angegeben, den Morgen über Termine zu haben, doch sie kannte seinen Terminkalender und wusste, dass er sich einen freien Vormittag gegönnt hatte. Bei seinem sonst prall gefüllten Terminkalender tat er das von Zeit zu Zeit. Mit einer Tasse dampfendem Kaffee betrat sie kurze Zeit drauf sein Büro und stellte die Tasse auf seinem ausladenden Schreibtisch ab.

      „Wie erbeten liegt die wichtige Korrespondenz in den Wiedervorlagemappen“, erwähnte sie noch, war es allerdings klar, dass sie dafür gesorgt hatte, dass alles so arrangiert war, wie der Herr Doktor es wünschte. Matheissen konnte da sehr ungehalten sein, wenn es nicht so war. Doch diesmal nickte er nur konziliant und rang sich sogar ein Lächeln ab. „Ihr Kaffee, Herr Doktor, schwarz und mit zwei Stück Zucker.“

      „Danke. Wann erwarten wir den Besuch aus den Niederlanden noch? Am 18.oder 19. Juli?“, fragte er und vertiefte sich in seinen Outlook-Kalender.

      „Am 18. Juli, morgens um 10 Uhr, Herr Doktor“, antwortete sie wie gewohnt gut informiert.

      „Dann habe ich das ja richtig im Kopf“, antwortete er beiläufig. „Aber trotzdem Danke, wenn ich Sie nicht hätte, Frau Joachim, ich wüsste manchmal nicht, was ich tun würde!“

      „Das ist meine Aufgabe, Herr Minister“, antwortete sie und lächelte geschmeichelt. Doch schnell war sie wieder professionell und verließ den Raum. Matheissen sah ihr nach. Ihre Figur war nach wie vor tadellos, drall und an den richtigen Stellen gut proportioniert. Doch über kurz oder lang würde er sich eine jüngere Büroleiterin suchen. Eine mit weniger Falten im Gesicht. Frau Joachim tat zwar alles, um ihr fortgeschrittenes Alter zu verbergen, aber das gelang ihr nur noch mit großen Mühen.

      *

       Bonn, Präsidium

      „Weg!“

      Diese Antwort gefiel Hell überhaupt nicht. Er hatte die beiden Beamten vor sich stehen, denen die Verfolgung so gründlich missglückt war. Bedröppelt. Mit gesenkten Köpfen.

      „Und die Personenbeschreibung? Wie sieht es damit aus?“

      Hell musterte die beiden kritisch. Während einer der beiden Beamten über das wenig zufriedenstellende Ergebnis des Fahndungsaufrufes referierte, rührte Hell in seinem Kaffee. Obwohl dieser schon kalt sein musste.

      Was war bloß los mit dem Polizeinachwuchs? Warum begangen so viele junge Kollegen solche Fehler? Er machte sich ernsthafte Sorgen. Nicht nur um diese beiden, sondern auch um seinen Sohn Christoph, der in der kommenden Woche seinen Dienst bei der Einsatzzentrale in Bonn antreten würde. Als Frischling direkt von der Polizeischule in Münster.

      „Die beiden sind bisher nicht polizeilich aufgefallen, daher haben wir keine Chance, sie zu identifizieren“, sagte der junge Beamte zerknirscht. Hell seufzte innerlich. „Ist in Ordnung, Sie können Ihren Dienst wieder aufnehmen!“

      Die beiden verabschiedeten sich mit dünnen Stimmen und er war alleine in der Abteilung. Er hatte die Kollegen zusammengetrommelt, die sich wie er offiziell im Urlaub befanden. Daher würde es eine Weile dauern, bis sie gemeinsam loslegen konnten. Hell starrte aus dem Fenster, dorthin, wo auf der anderen Rheinseite sich die Höhen sanft gegen den blauen Himmel abhoben.

      Wer hatte diese junge Frau getötet? Und warum? War sie tatsächlich eine Prostituierte?

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