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Sie das so anordnen.“ Er wirkte plötzlich vergrätzt. Hansen trug weiter ihr Pokergesicht. Staatsanwalt Retzar war dagegen gewesen, dem gesamten Team von Oliver Hell Urlaub zu gewähren. Warum auch immer. Und jetzt hätte er es zu gerne gesehen, wenn Brigitta Hansen Hell persönlich aus dem Urlaub ins Präsidium oder besser noch, direkt nach Witterschlick in die alte Kiesgrube bestellt hätte. Er machte eine schnelle Bewegung nach vorne und wollte das Telefon Hansens für den Anruf nutzen. Doch sie legte mit einer unschuldigen Geste ihre Hand auf den Hörer, zog ihre linke Augenbraue hoch.

      „Nutzen Sie doch bitte Ihren Apparat, ich muss die Polizeipräsidentin informieren, dass das Sommerloch beendet ist und wir eine weibliche Leiche in einer Kiesgrube haben.“ Retzar zog die Hand so schnell zurück, als wäre er Gefahr gelaufen, von einer Tarantel gestochen zu werden.

      „Wie Sie meinen, Frau Oberstaatsanwältin“, murmelte er und machte auf dem Absatz kehrt. Hansen nahm den Telefonhörer in die Hand, wartete, bis Retzar die schwere Holztür hinter sich geschlossen hatte, dann legte sie es wieder zurück. Der Hauch eines Lächelns war auf ihren Lippen zu sehen.

      Ein Anruf bei der Polizeichefin hatte Zeit. Stattdessen nahm sie ihr Handy zur Hand, tippte eine Kurzwahl ein und hielt es sich ans Ohr. Als der Angerufene das Gespräch annahm, seufzte sie. „Oliver, es tut mir fürchterlich leid. Aber du erhältst gleich einen Anruf von Retzar, der dich aus dem Urlaub zurückordert.“

      Sie strich sich eine blonde Strähne aus der Stirn und wartete gespannt auf die Antwort. Zu ihrer großen Verwunderung kam kein Protest.

      „Gottseidank, ich dachte schon, ich müsste wirklich die ganzen zwei Wochen hier absitzen. Was ist passiert? Wo?“, wollte Oliver Hell wissen, schien sofort bei der Sache zu sein.

      „Man hat eine Tote in einem gestohlenen PKW gefunden, der sich kurz zuvor eine Verfolgungsjagd mit einer Polizeistreife geliefert hatte. Näheres erfährst du gleich von Retzar. Aber tu bitte überrascht, Oliver“, bat sie ihn. Sie hörte Hell lachen.

      „Keine Angst, Brigitta. Ich lasse ihn auflaufen“, vernahm sie. „Es klopft an. Das wird Retzar sein.“ Dann war das Telefonat beendet.

      *

       Bonn

      Lara Siemons stand auf der Toilette des Café Pendel vor dem Spiegel und betrachtete sich kritisch. Oben im Café saß ihre Freundin Janine mit dem Mann, der ganz offensichtlich ein Promi-Fotograf war. Was für ein Glücksgriff. Er hatte ihnen auf dem Weg ins Café berichtet, dass er in Bonn sei, um sich hier mit einem Kollegen für ein gemeinsames Shooting zu treffen. Und es sei Zufall, dass er auf dem Münsterplatz gewesen sei, der Kollege hätte ihm kurz zuvor eine App geschickt, mit der Bitte, das Shooting um zwei Stunden zu verschieben. Daher hätte er auch Zeit für einen Kaffee mit den Mädels. Übermorgen sei er schon wieder auf dem Weg nach New York.

      Sie schob ihre Lippen nach vorne und zog sie mit einem roten Lippenstift nach. Sie nahm sich ein Papier aus dem Spender und nahm es vorsichtig zwischen die Lippen. Du siehst toll aus, dachte sie. Du siehst heute wirklich Milly Simmonds sehr ähnlich. Lara verehrte Models, und die Britin Milly Simmonds ganz besonders. Sie war hübsch, unglaublich hübsch sogar. Ihre Aufnahmen sahen so aus, als seien sie Schnappschüsse, keine gestellten Bilder. An ihrer Wand in ihrem Zimmer hingen viele Fotos, die das junge Model zeigten. Daneben ein Foto von Lara zusammen mit ihrem Hund, das sie einem bekannten Schnappschuss von Milly nachempfunden hatte. Lara schloss die Augen und begann zu träumen. Was hatte der Mann kurz zuvor gesagt?

      „Ich mache Fotos von dir, dann haben wir schon die Grundlage für eine Set-Karte. Die benötigst du für eine Anstellung als Model. Aber so wie du aussiehst und wie du dich bewegst, ist das kein Problem. Die Agenturen reißen sich nach jungen Dingern, die so aussehen wie du.“

      Junge Dinger wie ich, dachte sie. Deine großen blauen Augen, deine schmale Taille und deine langen Beine hat dir Gott gegeben. Nutze sie!

      Lara ging mit klopfendem Herzen die schmale Treppe hinauf und sah, wie der Fotograf und Janine sich vor dem Display der Digitalkamera drängten.

      „Das musst du sehen, Lara, er hat sogar Fotos von Milly und ihrem Hund auf der Kamera.“

      Lara ließ sich schnell auf dem Stuhl neben dem kleinen Tisch vor der Theke nieder.

      „Zeig!“

      Der Fotograf hielt ihr lächelnd die Kamera hin.

      „Wie süß!“, kreischte sie verzückt.

      „Magst du Hunde?“

      „Ja, ich habe selber einen Hund. Willst du ihn sehen?“, fragte sie aufgekratzt.

      „Gerne.“

      Sie holte ihr Handy aus der Tasche und tippte darauf, hielt ihm kurz drauf ein Foto von ihrem Hund hin. „Das ist Lucy. Sie ist ein Doodle, wie der von Milly.“

      Der Mann betrachtete das Foto, dann ließ er sich auf seinem Stuhl zurückfallen. „Ihr beiden könntet beinahe Schwestern sein“, seufzte er.

      „Ehrlich?“

      „Kein Scheiß. Wir machen morgen die Fotos und dann sehen wir weiter. Aber wenn ich so nachdenke …“, sagte er langsam, sah an ihr hinab und wiegte den Kopf hin und her.

      Lara ballte die Hände zu Fäusten, kniff die Augen zusammen und kreischte leise vor sich hin.

      „Jajajajajajaja!“

      Eine Viertelstunde später bestieg sie den Bus, ließ sich auf eine der Bänke fallen. Sie streckte die Beine aus und schloss die Augen. Sie würde es schaffen. Model sein. Und so bekannt sein wie Milly.

      *

       Bonn, Kiesgrube Flerzheim

      Franziska war nicht erfreut gewesen, dass Hell sofort nach dem Anruf von Staatsanwalt Retzar das Haus verlassen hatte. Im Schlafzimmer hatte sie ihm deutlich gemacht, wie sie zu dem plötzlichen Abbruch des Urlaubs stand. Doch schließlich hatte sie sich damit abfinden müssen. Während er sich ankleidete, versuchte er sie weiter zu besänftigen, versprach ihr, nur den Tatort zu besuchen und dann den Fall an Kollegen abzugeben. Völlig unüblich trug er allerdings keine lange Hose, sondern hatte direkt die Shorts anbehalten, die er im Garten getragen hatte. Immerhin gab ihm ein helles Hemd eine gewisse Seriosität. Zu den brauen Sneakers hatte er ebenfalls helle Socken gewählt. Als er so gekleidet am Fundort der Leiche auf dem Gelände der Kiesgrube Flerzheim auftauchte, fragten ihn die beiden Beamten, die dort die Absperrung sicherten, nach seinem Dienstausweis. Missvergnügt hielt er ihnen die Plastikkarte hin und erhielt eine halbherzig gemurmelte Entschuldigung wenigstens von einem der beiden. Die KTU hatte schon die Arbeit aufgenommen. Ein Einsatzfahrzeug stand etwas außerhalb, in Fahrtrichtung der Kiesgrube. Ein weiß gekleideter Tatortermittler kniete auf der Ladefläche des Spezialfahrzeugs, das pickepacke voll mit Spezialutensilien beladen war. Hell konnte nicht erkennen, um wen es sich handelte, nur die Form des wohlgeformten Gesäßes ließ auf eine Frau schließen. Unter der weit nach oben aufragenden Heckklappe des Seat Ibiza machte ein anderer Ermittler Fotos von der Leiche.

      Hell trat zu ihm hin. „Urlaub beendet?“, fragte dieser knapp, ohne das Display der Kamera aus dem Auge zu nehmen. Hell antwortete nicht direkt, weil er den Mann nicht sofort erkannte. Hell blickte in den Kofferraum und konnte sich einen Fluch nicht verkneifen. „Verdammte Scheiße, das ist ja noch ein Kind!“, brummte er ärgerlich.

      „Dachte mir schon, dass Retzar dich deshalb haben wollte“, antwortete der Tatortermittler und senkte die Kamera. „Ja, das ist noch ein Kind. Und wenn du mich fragst, dann ist die offensichtliche Herkunft des Opfers an sich schon eine Bombe. Hallo Oliver“, sagte Tim Wrobel, der Leiter der Bonner KTU. Für einen Moment wunderte sich Hell darüber, dass er seinen Freund Tim nicht unter dem weißen Overall erkannt hatte. Doch dies hatte nur für ein zwei Sekunden Priorität. Dann war er wieder ganz gefesselt von der sehr jungen Toten. Die braunen Augen der Toten starrten ins Leere. Sie war ein hübsches Mädchen, mit langem dunkelbraunem, fast schwarzem lockigen Haar. Er beugte sich in den Kofferraum hinein und betrachtete die Würgemale am Hals den Kindes.

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