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heidenchristlich, ehedem rein heidnischen Bereich ansiedelt, kann man eventuell erwägen, dass Lukas von dem Brauch des Nasiräats keine Anschauung gehabt habe. Die Bekanntheit von Nasiräatsgelübden auch in der Diaspora spricht eher dagegen. Dass aber der Redaktor Lukas Haareschneiden und Jerusalembesuch in dieser allenfalls andeutenden Abbreviatur mit der Quelle übernommen oder gar selbst beschrieben hat, um auf diese Weise Paulus als vorbildlichen Juden darzustellen, muss doch als recht unwahrscheinlich gelten.

      Fragen wir abschließend nach möglichen Motiven, die Paulus bewegt haben können, ein Nasiräat zu übernehmen. M. Boertien hat aus der rabbinischen Überlieferung folgende Motive zusammengestellt: Unterstützung und Bekräftigung einer Gebetsbitte, z.B. um einen Sohn, bei Antritt einer gefährlichen Reise, beim Anfang eines Krieges, um Heilung von einer Krankheit oder Rettung aus einer Gefahr,19 sodann als Ausdruck der Liebe zur Tora als Zeichen des Willens zur Bekämpfung des bösen Triebs.20 1 Makk 3,49 belegt, dass Nasiräern eine besondere Offenbarungsfunktion beigemessen wurde. Kann ein Nasiräat übernommen worden sein, um besondere Offenbarungsfunktion zu erhalten? Philo interpretiert das Nasiräat in SpecLeg 1,247–254 als unblutige Selbstweihe, in der das Haar als Ersatz für das Menschenopfer dargebracht wird.21 Es werden die Haare des Paulus in Kenchreä geschnitten, also wird, wie bemerkt, die Übernahme des Gelübdes wohl in der unmittelbar zurückliegenden Zeit in Korinth erfolgt sein. Die Mission in Korinth und das Gelübde sind in der Literatur gelegentlich in einen direkten Zusammenhang gebracht worden.22 Obwohl etliche Begebenheiten in Korinth ein hinreichendes Motiv für ein Nasiräatsgelübde gewesen sein mögen (Act 18,12$Apg 18,18–22; 1 Kor 2,3; 16,9), entzieht sich der wahre Beweggrund unserer Kenntnis. Es kann sich auch um ein privates Motiv gehandelt haben.

      2. Act 21,15–27$Act 21,15–27

      2.1 Die lukanischen Aussagen und ihr Verhältnis zu jüdischen Aussagen über das Nasiräat

      Die letzte Jerusalemreise führt Paulus und seine Begleiter zum Herrenbruder Jakobus und den Ältesten. Es wird der Missionserfolg des Paulus unter den Heiden erwähnt, aber auch auf die Bekehrung zehntausender, d.h. einer ungeheuer großen Zahl von Juden hingewiesen. Diese Judenchristen zeichnen sich aus durch Gesetzeseifer. Gleichzeitig kursiert unter ihnen das Gerücht, Paulus lehre die Diasporajuden den Abfall von Mose, indem er sage, man solle die Kinder nicht mehr beschneiden und nicht mehr nach den jüdischen Sitten wandeln. Während Jakobus und die Ältesten auf den paulinischen Missionsbericht mit einem Lob Gottes antworten, befürchten sie gleichzeitig feindliche Reaktionen von Seiten der gesetzeseifrigen Judenchristen, denen die Ankunft des Paulus mitgeteilt worden ist. In dieser Situation geben Jakobus und die Ältesten Paulus den Ratschlag, die Ausweihungskosten für vier Nasiräer zu übernehmen, um so das Gerücht des Gesetzesabfalls durch eine gesetzestreue Handlung zu zerstreuen. So weit jedenfalls ist der Text der Act leicht nachzuvollziehen. Unsicher wird die Interpretation erst in der Analyse des Wortlauts des Ratschlags (Act 21,23b.24) und in der Rekonstruktion dessen, was Paulus in Befolgung des Ratschlags getan hat (Act 21,26).

      Unter den Judenchristen Jerusalems befinden sich vier Männer, welche die Auslösung ihres Nasiräats noch nicht vollzogen haben. Der gewählte Ausdruck εἰσὶν ἡμῖν ἄνδρες τέσσαρες (Act 21,23) zeigt an, dass diese Männer Mitglieder der Jerusalemer Gemeinde sind,1 nicht aber Juden(christen) aus der Diaspora, die einer Purifikation vor der Ausweihung bedurft hätten. Der demonstrative Akt der Gesetzestreue, zu dem Paulus aufgefordert wird, soll an Männern aus dem Bereich vollzogen werden, aus dem auch die „Zehntausende“ judenchristlicher Gesetzeseiferer stammen. Die vier Männer haben eine εὐχὴ ἐφ ἑαυτῶν,2 also ein noch bestehendes Gelübde. Der Paulus unterbreitete Vorschlag ist dreiteilig:

      1 τούτους παραλαβών;

      2 ἁγνίσθητι σὺν αὐτοῖς;

      3 δαπάνησον ἐπ᾽ αὐτοῖς.

       ad a) Der Ausdruck τούτους παραλαβών besagt hier nicht mehr, als dass Paulus die vier Männer „mit sich nimmt“ (vgl. V. 26a) bzw. „sie zur Hilfe nimmt“ für seinen Zweck, seine Gesetzestreue zu erweisen. Der Ausdruck impliziert keineswegs, dass Paulus sich den vier Nasiräern angeschlossen hat, um nun seinerseits ein Nasiräat zu übernehmen.3

       ad b) Die eigentlichen Auslegungsschwierigkeiten sind mit dem Ausdruck ἁγνίσθητι οὺν αὐτοῖς verknüpft. Er wird in V. 26 wieder aufgenommen. Sodann begegnet das Substantiv ἁγνίσμός in der Wendung διαγγέλλων τὴν ἐκπλήρωσιν τῶν ἡμερῶν τοῦ ἁγνισμοῦ (V. 26). Auch diese Aussagen sind dahingehend interpretiert worden, als habe Paulus ein Nasiräat übernommen. Das Verb ἁγνίζεσθαι ist jedoch nicht notwendig in diesem Sinn zu interpretieren, ja „das bloße ἁγνίζεσται bezeichnet nirgends das Ablegen des Nasiräatsgelübdes.“4 Das Verb kann a) in dem Zusammenhang eines Nasiräatsgelübdes gebraucht werden: Num 6,3 LXX, vgl. aber auch ἁγνισμός (Num 6,5 LXX), ἁγνεία (Num 6,2 LXX); b) im Zusammenhang unterschiedlicher Purifikationsprozesse.5 Vor dem Passa: Ex 19,10 LXX; Joh 11,55; Jos, Ant 12,145; in Bezug auf Unreinheit: Num 19,12; 31,19.23; Jos 3,5; 2 Chr 29,5.34; 30,17 LXX; Act 24,18. Von einem siebentägigen Reinigungsritus in Verbindung mit dem Verb ἁγνίζεσθαι sprechen die Belege Num 19,12; 31,19 LXX. Da Paulus als ein aus dem Ausland kommender Jude, der den Tempel betreten will, ohnehin einer siebentägigen Reinigung bedurfte, und da Act 21,27 eine Frist von sieben Tagen erwähnt, könnte man problemlos solch einen Purifikationsprozess hier angedeutet sehen. Jedoch spricht Lukas in V. 24 und 26 davon, dass die Reinigung des Paulus sich mit den Nasiräern, σὺν αὐτοῖς, vollziehen soll. Diese aber sollten doch im Stand kultischer Reinheit sein. Kann man daher voraussetzen, deren kultische Reinheit sei etwa durch Berühren einer Leiche oder durch Betreten außerpalästinischen Raums6 aufgehoben worden, so dass diese nun zusammen mit Paulus eines Purifikationsprozesses bedurften?7 Hierbei läge der ungewöhnliche, wenngleich nicht unmögliche Zufall zugrunde, dass die vier Nasiräer gleichzeitig ihre Reinheit verloren hätten. Ist diese Auslegung bei der Präposition σὺν αὐτοῖς notwendig?M. Bachmann8 hat demgegenüber vorgeschlagen, σὺν αὐτοῖς hier „im Sinne von ‚ihnen bei‘“ zu übersetzen, so dass V. 24 und 26 ausschließlich von einer Purifikation des Paulus sprechen, die ihn in denjenigen Stand der Reinheit bringt, den die Nasiräer bereits besitzen. Damit wäre folgende häufig vertretene Ansicht abgewiesen: Die lukanische Quelle habe noch klar zwischen ἁγνισμός als Purifikation einerseits und Nasiräat andererseits unterschieden, Lukas aber habe beides (wohl wegen des Vorkommens des Begriffs im Zusammenhang des Nasiräats in Num 6,4 und der Purifikation in Num 19,12 LXX) „irrig […] kombiniert“9 und sei so zu der Vorstellung gekommen, Paulus sei in ein bestehendes Nasiräat eingetreten.

       ad c) Der Ausdruck δαπάνησον ἐπ᾽ αὐτοῖς spricht die Num 6,14–15; mNaz 6,7–9 genannten, erheblichen Ausweihkosten an, die Paulus für die Nasiräer übernehmen soll. Act 21,26 berichtet, wie Paulus den Ratschlag befolgt, sich am nächsten Tag „ihnen gleich“ heiligt, in den Tempel geht und die Erfüllung der Tage der Reinigung anzeigt. Hierbei stellt V. 26a zunächst nahezu eine Wiederholung von V. 24a dar und ist im Sinne der o.g. Interpretation aufzunehmen. Dennoch bleibt die Aussage dieses Verses undeutlich, ja missverständlich. Das Part. Aor. ἁγνίσθείς scheint vorauszusetzen, Paulus habe am folgenden Tag vor dem Tempelgang gemeinsam mit den Nasiräern eine einmalige Reinigung vollzogen.10 Dies kann aber mit V. 27 nicht in Einklang gebracht werden, da hier klar ein siebentägiger Purifikationsprozess des Paulus impliziert ist, in den Paulus (in V. 26) erst eintritt; so auch Act 24,18. Der Ausdruck τὴν ἐκπλήρωσιν τῶν ἡμερῶν τοῦ ἁγνισμοῦ setzt eine mehrtägige Reinigungszeit voraus. Weder kann Paulus als ein aus der Diaspora anreisender Jude in einem einmaligen Purifikationsakt die Reinheit erlangen noch bedürfen die Nasiräer eines Purifikationsaktes, befinden sie sich doch unmittelbar vor dem Ausweihakt im Stand der Reinheit. Andererseits kann Paulus bei dem Tempelgang nicht die Erfüllung der Tage der Reinigung für sich anzeigen,

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