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beziehen ist, setzt sich in der Auslegung dieses V. 26 fort. Ganz unwahrscheinlich ist hingegen die oft vorgetragene Auslegung, der zufolge Paulus mit dem Tempelgang in ein siebentägiges Nasiräat12 eingetreten sei und sogleich den Ausweihakt angezeigt habe.13

      Dies ist mit den jüdischen Nasiräatsbestimmungen in keinem Fall in Ausgleich zu bringen.14 Ebenso unwahrscheinlich ist die Annahme, Paulus habe erst jetzt, mit einer Verzögerung von vier oder fünf Jahren und zudem erst auf Anraten des Jakobus, sein in Kenchreä abgeschlossenes Nasiräat förmlich beendet.15 Im Tempel zeigt Paulus als derjenige, der bereit ist, die Ausweihkosten für die vier Nasiräer zu übernehmen, τὴν ἐκπλήρωσιν τῶν ἡμερῶν τοῦ ἁγνισμοῦ ἕως οὗ προσηνέχθη ὑπὲρ ἑνὸς ἑκάστου αὐτῶν ἡ προσφορά an. Nicht ganz eindeutig ist der Bezugspunkt von ἕως οὗ. Soll gesagt sein, dass Paulus in dem Tempel blieb, bis die Opfer für einen jeden dargebracht sind? Oder ist – m.E. wahrscheinlicher und mit den meisten Kommentaren – die Erfüllung der Tage damit präzise terminiert auf den Zeitpunkt, an dem die Opfer im Tempel dargebracht werden?

      2.2 Die historischen Zusammenhänge

      Im Mittelpunkt des lukanischen Berichts steht der Vorschlag des Jakobus und der Ältesten, Paulus solle durch eine Handlung im Tempel, nämlich die Übernahme der Ausweihkosten für vier Nasiräer, den Verdacht, er lehre unter den Diasporajuden den Abfall von Mose, ausräumen.1 Paulus folgt diesem Vorschlag nach dem Bericht der Act ohne Zögern. Er kann damit, wie auch Lukas weiß, nicht mehr erweisen, als dass er in einem konkreten Fall sich als Bewahrer der Tora (V. 24c) erweist. Die Vorwürfe vor allem an seine Verkündigung (V. 21, 28) kann er durch den einmaligen Akt nicht ausräumen. Die Berechtigung dieser Gerüchte und Vorwürfe ist höchst zweifelhaft. Doch ist auf historischer Ebene in diesem Zusammenhang ohnehin nur wichtig, was man in Jerusalem über Paulus dachte bzw. auf redaktioneller Ebene, wie Lukas im Zusammenhang des Prozesses des Paulus Anklage und Verteidigung vorbringen will.

      Die Übernahme der Ausweihkosten war nicht nur eine fromme Handlung, sondern bot eine willkommene Möglichkeit, die eigene Gesetzestreue unter Beweis zu stellen. So jedenfalls zeigt es der Bericht des Josephus, Ant 19,293f. über den Amtsantritt von König Agrippa I. Dieser, οὐδὲν τῶν κατὰ νόμον παραλιπών,2 übernimmt die Ausweihkosten einer großen Menge von Nasiräern. Es ist nicht unwichtig, dass diese Kostenübernahme ein selbstständiger Akt neben dem Nasiräat anderer war (dazu ausführlich mNaz 2,5–6), ja als solcher das eigentliche Nasiräat in der Wertigkeit zurückzudrängen schien.3 Die erheblichen Kosten der Nasiräatsauslösung mögen zu dieser Verschiebung beigetragen haben. Nach Num 6,14–17 hat der Nasiräer ein einjähriges Schaf ohne Fehler als Brandopfer, ein einjähriges Schaf ohne Fehler als Sündopfer, einen Widder ohne Fehler als Dankopfer zu bringen, sodann einen Korb mit ungesäuertem Kuchen von feinstem Mehl, mit Öl vermengt, ungesäuerte Fladen, mit Öl bestrichen, und was dazu gehört an Speiseopfern und Trankopfern (vgl. auch mNaz 6,7–9). Die tumultuarischen Ereignisse gegen Paulus im Tempel bei dem Abschluss der siebentägigen Purifikation (Act 21,27–30) haben letztlich wohl eine Übernahme der Auslösungskosten für die vier Nasiräer verhindert. Gleichwohl kann die Frage gestellt werden, mit welchen Mitteln Paulus eine gleich vierfache Auslösung hätte bezahlen wollen bzw. können? Hat Paulus einen Teil der KollekteKollekte einsetzen wollen? Jegliche Antwort ist Spekulation, da wir nicht wissen, welche Geldmittel Paulus zu diesem Zeitpunkt zur Verfügung standen.4

      Vor der Übernahme der Ausweihkosten muss Paulus, der aus dem Ausland kam und als unrein galt, seine eigene Entsühnung vornehmen. Hierauf bezieht sich präzise der Ausdruck αἱ ἓπτὰ ἡμέραι συντελεῖσθαι (V. 27). Nach Act 20,16 kommt Paulus auch als Wallfahrer anlässlich des Wochenfestes nach Jerusalem. Als solcher unterliegt er den Bestimmungen für Festpilger aus dem Ausland.5 Sie sollten eine Woche vor Beginn des Festes in Jerusalem eintreffen, um einen siebentägigen Purifikationsprozess zuvor abschließen zu können. In dieser Zeit lassen sich die Pilger am dritten und am siebten Tag mit Sühn-Wasser besprengen (vgl. mNaz 7,3; bNaz 54b). Philo, SpecLeg 3,205 hält als Diasporajude fest: „Ins Heiligtum aber gestattete er auch den ganz Reinen nicht vor sieben Tagen einzutreten, er gebietet ihnen am dritten und siebenten Tage sich vorschriftsmäßig zu reinigen.“6 Nicht nachvollziehbar ist die lukanische Aussage, dass Paulus während der Reinigung7 in den Tempelbezirk geht, um die Ausweihung der Nasiräer anzuzeigen. Nach V. 27 ist die Purifikation ja noch nicht abgeschlossen. Nimmt man das Zeugnis des Philo ernst, dann hätte Paulus also die bevorstehende Auslösung der Nasiräer nicht während seiner Purifikationzeit an dem von Lukas genannten Ort, im Tempelbezirk,8 anzeigen können (V. 26).

      Schließlich ist zu fragen, ob nicht auch die Festnahme des Paulus mit der Purifikation und der Übernahme der Ausweihkosten zusammenhängt. J. Weiß9 hat darauf hingewiesen, dass im Bericht des Lukas eine Nachricht über den Umgang des Paulus mit TrophimosTrophimos ausgefallen sein muss, und zwar etwas, was die Anklage der Juden in V. 28 verständlich macht. Man hat Paulus mit dem Heidenchristen Trophimos (vgl. 20,4) in der Stadt gesehen (21,29$Apg 21,15–27). In halachischer Sicht ist Trophimos ein Heide. Eine Begegnung des Paulus mit dem Heiden(christen) Trophimos würde die Absicht, innerhalb der siebentägigen Purifikationszeit levitische Reinheit zu erlangen, ins Gegenteil verkehren. Das Verhalten des Paulus hätte die über ihn kursierenden Gerüchte teilweise bestätigt.

      3. Theologische Bewertung

      Nach dem Dargelegten ist es wahrscheinlich, dass Paulus auf der zweiten Missionsreise aus eigenem Antrieb ein Nasiräat eingegangen ist und bei seinem letzten Jerusalembesuch auf Anraten des Jakobus und der Ältesten die Ausweihkosten für vier Nasiräer übernommen hat. Je nachdem, welches Bild man von dem Heidenapostel Paulus, seiner Mission und seiner Theologie hat, mag es schwerfallen, diese Nasiräatsfrömmigkeit in das gedachte Bild einzuordnen. Wenn man der Interpretation des Nasiräats, wie durch P. Billerbeck gegeben, Glauben schenkt, dann hätte Paulus mit einer Leistung der „Werkgerechtigkeit“ seine Mission abgeschlossen.1 H.J. Holtzmann gibt der seiner Zeit voraufgehenden Tendenzkritik an dem lukanischen Bericht mit einem Votum von A. Hausrath Ausdruck: „Eher aber sei glaublich, dass […] Calvin auf seinem Totenbette der Mutter Gottes einen goldenen Rock gelobt, als dass Pls solche Wege beschritten habe.“2 Da uns jedoch die Historizität des Nasiräats und der Übernahme der Ausweihkosten nach der Analyse der Berichte der Act wahrscheinlich ist, muss abschließend unvoreingenommen nach der theologischen Interpretation gefragt werden.

      Der Bericht des Lukas, demzufolge Paulus selbst ein Nasiräat übernommen hat und die Ausweihkosten für vier Nasiräer zu übernehmen bereit war, bezeugt zunächst positiv, dass der Apostel an dieser Stelle keinen absoluten Bruch mit Tora und jüdischer Frömmigkeit vollzogen hat; mit der ToraTora, da das Nasiräatsgesetz ja ein Teil von ihr ist (Num 6). Den religiösen Stellenwert des Nasiräatsgelübdes im hellenistischen Judentum, dem Paulus entstammt, zeigt nicht nur die Bezeichnung μεγάλη εὐχή an (Philo, All 1,17 u.ö.; vgl. ähnlich Num 6,2 LXX), sondern auch seine vielfache Behandlung im Schrifttum Philos (Agr 174–178, Imm 87–90; All 1,17; ausführliche Darlegung des Nasiräatsgesetzes in SpecLeg 1,247–254 im Zusammenhang der Behandlung der Opfergesetze). Allein bei der Übernahme der Ausweihkosten durch Paulus kann gefragt werden, ob sein Verhalten aus „taktischen“ Erwägungen erklärbar ist und seinerseits eine Position zur Tora, ähnlich wie in Act 16,1–5, freilegt. In Act 18,18–22 hingegen kann die Übernahme des Nasiräats kaum anders als durch einen persönlichen Entschluss bedingt erklärt werden. Insofern ist die Erwägung, innerhalb des missionarischen Kanons des Paulus – „den Juden bin ich wie ein Jude geworden, damit ich die Juden gewinne“ (1 Kor 9,20a) – sei das Verhalten erklärlich, abwegig, da gar kein Motiv zur Rücksichtnahme erkennbar ist. Vielmehr stoßen wir hier auf eine Grundschicht jüdischer Torafrömmigkeit, die auch nach der Berufung zum Heidenapostel nicht gebrochen wurde.3 Weshalb aber wird diese Grundschicht in Fragen der Speisegesetze, der Beschneidungs- und Kalenderfragen gebrochen, hier aber offenbar nicht? Grundsätzlich ist Paulus bereit, die bislang Juden und Heiden trennende Größe der ToraTora als Norm aufzuheben, wo sie eine Gemeinschaft von Juden- und

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