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Gegner insgesamt leiteten, ist nicht leicht zu entscheiden. Immerhin steht die Einhaltung von Speisegeboten nicht zur Debatte. Das von Paulus im Galaterbrief erstmals ins Gespräch gebrachte Abrahambeispiel lässt fragen, ob der Abrahambund/Beschneidungsbund in der Argumentation der Gegner eine wesentliche Rolle gespielt hat.11 Jedenfalls sind die Vorgänge in den galatischen Gemeinden nicht anders denn als judenchristliche Reaktion auf die beschneidungsfreie Heidenmission zu erklären. Eine genauere Verortung dieser Gegnerschaft ist ungewiss. Paulus stellt sie in eine Perspektive mit den Falschbrüdern des Apostelkonvents, eventuell auch mit den Jakobusleuten, die in Antiochia auftreten.12 Im Philipperbrief ist die Gegnerschaft, die noch nicht Fuß in der Gemeinde gefasst hat, nahezu ganz auf die Beschneidungsfrage reduziert. Der sog. Kampfbrief, der ab 3,2$Phil 3,2 vorzuliegen scheint, ist sozusagen eine präventive, wohl auch von den galatischen Vorgängen geleitete Maßnahme des Paulus im Gegenüber zu den judenchristlichen Missionaren. Paulus kämpft ihnen gegenüber im Galater- und Philipperbrief polemisch für die Grundsätze der antiochenischen, beschneidungsfreien Heidenmission. In seiner Polemik bedient er sich u.a. des paganen Vorwurfs, Beschneidung stehe mit Kastration bzw. Verstümmelung auf einer Stufe (Gal 5,12; Phil 3,213).

      Wenn irgendwo, dann muss hier gefragt werden, ob die Begrifflichkeit „Gegner, Irrlehrer“ nicht abwegig ist. Man sollte versuchen, die Absichten dieser judenchristlichen Missionare von dem sie noch prägenden jüdischen Hintergrund her zu verstehen und sie nicht sogleich an dem Maßstab heidenchristlicher Theologie paulinischer Prägung zu messen. Predigen sie einen „Rückfall in ein an das Gesetz gebundenes Judenchristentum“?14 Wie sollten Heidenchristen zurückfallen in einen Zustand, in dem sie noch nie waren? Es muss diese judenchristliche Mission ernstgenommen werden als ein Versuch der Heidenmission, der unter Beibehaltung des jüdischen Rahmens und des Christusbekenntnisses Heiden in den Beschneidungsbund eingliedert.

      In seinem wohl letzten Schreiben, dem Römerbrief, gibt Paulus in 3,1–8$Röm 3,1–8 die polemische Dialogsituation, in der er sich gegenüber dem Judentum (und Judenchristentum) befindet, wieder, indem er jüdische Einwände gegen seine Theologie zur Sprache kommen lässt. „Was ist der Nutzen der Beschneidung?“ (3,1b). Diese Frage ist nach den polemischen Ausführungen des Galaterbriefs verständlich, aber sie wird auch Paulus selbst bewegt haben.15 Paulus gibt im Wesentlichen zwei Antworten: a) In Röm 2,25–29$Röm 2,25–29 geht er von dem jüdischen Grundsatz aus, dass die Übernahme der Beschneidung verpflichtet, die Tora insgesamt zu erfüllen (Apg 15,5; Gal 5,3; Υεν 47b). Röm 2,1–24 hat aber gerade dem Juden vorgehalten, dass seine Missachtung der Tora den Namen Gottes entehrt. Insofern befindet sich der beschnittene Jude mit dem unbeschnittenen Heiden auf einer Stufe, da beide unter der Anklage Gottes, die Tora nicht zu beachten, stehen. Eine Beschneidung, die vor Gott gilt, kann mithin nur eine Beschneidung des Herzens sein, die vom Geist Gottes vollzogen wird – ein innerer, kein äußerer Akt. Paulus knüpft hier an die in der jüdischen Überlieferung angekündigte Beschneidung des Herzens und Ausstattung mit dem Geist an.16 b) In der positiven Inanspruchnahme des Abrahambeispieles in Gal 3,1–29$Gal 3,1–29 hat Paulus jeglichen Bezug auf die Beschneidung in Gen 17 vermieden, wohl aber Abraham als Beispiel für Glaubensgerechtigkeit (Gen 15,6 in Gal 3,6) hingestellt. Nach Gal 3,3 gehört die Beschneidung auf die Seite der σάρξ; wie sollte sie auch eine positive Bedeutung haben? Bezeugt Röm 4 demgegenüber ein „bemerkenswertes theologisches Umdenken“?17 Die Beschneidung, die Abraham (Gen 17) nach der Zurechnung der Glaubensgerechtigkeit empfing (Gen 15), wird positiv erklärt als σφραγὶς τῆς δικαιοσύνης τῆς πίστεως (Röm 4,11).18 Hierbei ist der Charakter der Beschneidung als Erkennungszeichen aufgenommen, aber als nachträgliches Zeichen der vorgängigen Glaubensgerechtigkeit zugewiesen. Da die Glaubensgerechtigkeit aber Abraham als Unbeschnittenem zugesprochen wurde, damit von der Beschneidung gelöst worden ist, kommt der Beschneidung in der Zeit nach der universalen Offenbarung der Glaubensgerechtigkeit keine entsprechende Funktion als Zeichen oder Siegel mehr zu.19 Die Beziehung zu Abraham ist jetzt ausschließlich über die πίστις gegeben. Von einem eigentlichen Umdenken kann also keine Rede sein, wenn auch die Beschneidung jetzt, wie bereits in Phil 3,3, nicht mehr der σάρξ zugeordnet wird. Somit hat Paulus die Frage der Bedeutung der Beschneidung auf der Ebene der Schriftauslegung so erklärt, dass seine beschneidungsfreie Mission unter der Heidenwelt nicht gegen, sondern mit Abraham leben kann.

      4. Die Auswirkungen des Verzichts auf die Beschneidung

      Mit dem Verzicht auf die Beschneidung war der Faktor, der in der MissionMission des hellenistischen DiasporajudentumsDiasporajudentum eine beeinträchtigende Rolle gespielt hat, beseitigt. Im Sinne einer missionarischen Konkurrenz befand sich die heidenchristliche Kirche im hellenistischen Raum gegenüber dem Judentum in einem deutlichen Vorteil und war gegenüber paganen relligiösen Gemeinschaften in einer Ebenbürtigkeit.1 Zwar findet sich im frühen Christentum nicht nur eine Relativierung des Beschnitten- bzw. Unbeschnittenseins, sondern auch eine Polemik gegen den Versuch, Heidenchristen die Beschneidung auferlegen zu wollen. Diese Polemik greift in neutestamentlicher Zeit aber nicht über auf eine Polemik gegen die Beibehaltung des Beschneidungsbrauches im Judentum.2 Die schnelle Ausbreitung des Heidenchristentums drängte das JudenchristentumJudenchristentum an den Rand. In den neutestamentlichen Spätschriften wird die Beschneidungsfrage nicht mehr thematisiert, auch nicht in denjenigen Schriften, für die gelegentlich ein judenchristlicher Hintergrund behauptet wird (Jak, Hebr, 1 Petr, Offb). Paulus war nicht der Begründer der beschneidungsfreien Heidenmission, aber ihr Durchsetzer, was ihm von judenchristlicher Seite den Vorwurf der Apostasie eingetragen hat.3 Für Paulus wurde die Beschneidungsfrage im Brief an die galatischen Gemeinden das hermeneutische Mittel zur Ausarbeitung der Rechtfertigungslehre ohne Werke des Gesetzes.4 Innerhalb des Judenchristentums hat man an der Beschneidungspraxis bis heute festgehalten. Innerhalb des Heidenchristentums hat die TaufeTaufe als alleiniger Initiationsritus sich durchsetzen können. Für die Ablösungszeit der heidenchristlichen Kirche vom Judentum ist noch bezeichnend, dass man an der Vorstellung der Beschneidung mittelbar festhält, indem man sie spiritualisiert (Röm 2,28–29; Phil 3,3; Kol 2,11). Während für die Beschneidung nur schwer ein Bezug zum Christusgeschehen hergestellt werden konnte,5 hat man die Taufe auf den Name Jesu oder als Nachvollzug seines Sterbens und Auferstehens mit dem Heilsereignis verbinden können.

      Der Weg des JudenchristentumsJudenchristentum hat sich zwischen der heidenchristlichen Kirche und der Formierung des rabbinischen Judentums nicht halten können und wurde von beiden Seiten zunehmend – aufgrund anderer Aspekte als des Festhaltens an der BeschneidungBeschneidung – als häretisch angesehen. Leicht wird vergessen, dass der Beschluss des Apostelkonvents nicht nur die Legitimität eines heidenchristlichen, sondern selbstverständlich auch die eines judenchristlichen Wegs anerkannt hat.

      Es muss als zweifelhaft erscheinen, ob der Weg des Heidenchristentums ohne gewisse Umstrukturierungen und Vorgaben im hellenistischen Diasporajudentum möglich gewesen wäre.6

      Paulus, das Nasiräat und die Nasiräer*

      * Zuerst erschienen: Friedrich Wilhelm Horn, „Paulus, das Nasiräat und die Nasiräer“, pp. 117–137, Novum Testamentum (1997) ©, Koninklijke Brill NV/Leiden, 1997, reproduced with permission.

      Der AbschlussNasiräat der paulinischen Missionsarbeit ist durch eine gewisse Tragik im Hinblick auf das Verhältnis zu seinem jüdischen Volk und zur judenchristlichen Gemeinde Jerusalems gekennzeichnet. Obwohl Paulus im Römerbrief, geschrieben unmittelbar vor seiner letzten Jerusalemreise, eine Erwählungstheorie für sein Volk, seine Stammverwandten nach dem Fleisch (Röm 9,3) entwirft, muss er doch im selben Schreiben seine Sorge um die Errettung von den Ungläubigen (ὰπειθοῦτες) in Judäa (Röm 15,31) aussprechen. Das Schicksal der in den heidenchristlichen, paulinischen Gemeinden gesammelten KollekteKollekte für die Armen unter den Heiligen in Jerusalem (Röm 15,26; 1 Kor 16,1; 2 Kor 8,1–4; Gal 2,10), gedacht als sichtbares Zeichen der Verbundenheit mit der Muttergemeinde, entzieht sich unserer Kenntnis. Es ist möglich, dass die Kollekte nicht angenommen worden ist. Die Übernahme der Auslösungskosten für vier judenchristliche NasiräerNasiräer im Jerusalemer Tempel, ein in jüdischer Frömmigkeit hoch geachtetes Verhalten, und der hierfür erforderliche Purifikationsprozess führen zu einem Konflikt, in dessen Folge Paulus festgenommen und zum Prozess nach Rom gebracht wird. Obwohl die letzte

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