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die nach Jerusalem gekommen ist, um das Nasiräatsgelübde zu erfüllen. Josephus umschreibt zwar den Inhalt des Gelübdes, Enthaltung von Wein und Schneiden der Haare, er sagt aber nicht, dass Letzteres etwa in der Nasiräerkammer im Jerusalemer Tempel vollzogen wurde. Einen gewissen Sonderfall stellt der Brauch ägyptischer Juden dar, das Scheren im Tempel zu Leontopolis vorzunehmen (mMen 13,10).10 Da also auf jeden Fall die Möglichkeit bestand, das Haar außerhalb Jerusalems (in Palästina) scheren zu lassen, könnte Act 18,18–22 einem Nasiräatsgelübde zugeordnet werden und wäre zugleich einziger deutlicher Zeuge für die Möglichkeit des Scherens in der Diaspora.11 Das möglicherweise in Korinth abgelegte Gelübde findet einen vorläufigen Abschluss im Scheren der Haare in Kenchreä, sein eigentliches Ende aber mit einem Ausweihungsopfer bei einem Jerusalembesuch.12

      1.3 Die historischen Zusammenhänge

      Wir haben bislang die Textpassage Act 18,18–22 als Einheit betrachtet. Es bestehen allerdings mehrere Einwände gegen diese Sicht, die einen historischen Zusammenhang von Schneiden der Haare in Kenchreä und Jerusalemreise in Frage stellen. Act 18,18–22 enthält nur wenige Aussagen, welche die Einleitungswissenschaft nicht der Quelle Itinerar zuordnet.1 Die entscheidenden Informationen des Textes bis auf die Jerusalemreise in V. 22 gehen jedoch alle auf die vorlukanische Tradition zurück. Diejenigen Textpassagen, die überwiegend der lukanischen Redaktion zugewiesen werden (V. 19b.20.21a), lassen sich sprachlich und inhaltlich von dem Kontext abheben.2 Strittig ist die Einordnung von V. 18d. Kann diese Notiz allein der lukanischen Redaktion zugewiesen werden? Ist sie ohne jeglichen Anhalt an einer Tradition formuliert?3 Gewiss lässt sich V. 18 glatter lesen, wenn der Teil κειράμενος […] εὐχήν (V. 18d) übergangen werden kann. Die oben behandelte Frage, welchem Subjekt dieser Satzteil zuzuordnen ist, entfällt. Dagegen erwägt Lüdemann die Zuweisung des Satzteiles „und mit ihm war Priszilla und Aquila“ zur Redaktion, wodurch die grammatikalische Stellung von κειράμενος […] εὐχήν geklärt, zugleich aber auch dieser Satzteil zur Tradition zu zählen wäre.4 Die redaktionsgeschichtliche Erklärung bemerkt, der Satzteil V. 18d κειράμενος […] εὐχήν sei eingefügt, um die gesetzestreue Frömmigkeit des Paulus im Angesicht der bevorstehenden – freilich unhistorischen – Jerusalemreise zu illustrieren.5 Es kann aber gefragt werden, ob nicht die Argumente ebenso gut für eine Tradition eingesetzt werden können, welche besagt: Paulus hat sich vor der Abfahrt nach Jerusalem in Kenchreä als Abschluss eines Gelübdes die Haare scheren lassen. Diese Tradition bedient sich merkwürdigerweise zur Umschreibung des Nasiräats nicht des im jüdisch-hellenistischen Raum gebräuchlichen Verbs ξυράομαι. Das häufig vorgetragene Argument, Lukas lasse auch an anderen Stellen Paulus als mustergültigen Juden erscheinen (Act 16,3; 21,20–24),6 hilft nicht weiter, da m.E. beide Belege eine historische Grundlage haben und nicht allein redaktionsgeschichtlich zu erklären sind.7 Wenn Lukas aber wirklich Paulus als frommen Juden darstellen will, weshalb dann in nahezu unverständlicher Abbreviatur, welche weder das Gelübde noch den Jerusalembesuch deutlich anspricht? Ist nicht gerade diese Abbreviatur ein Zeichen dafür, dass auch V. 22 einem traditionellen Stationenverzeichnis inklusive Jerusalembesuch zugeordnet werden kann?

      Der Jerusalembesuch Act 18,22 läge zwischen dem Besuch anlässlich des Apostelkonvents (Act 15,2) und dem letzten Jerusalemaufenthalt (Act 21,15). Das Zeugnis des Galaterbriefs spricht auf den ersten Blick gegen die Historizität dieser Reise. Nach Gal 1f.$Gal 1–2 hat Paulus bis zur Abfassung des Gal nur zwei Jerusalembesuche unternommen, den Besuch bei Petrus (Gal 1,18) und die Reise zum Apostelkonvent (Gal 2,1). Dies sagt Paulus bei der Abfassung des Galaterbriefs vor dem zweiten Besuch der galatischen Gemeinden, den Act 18,23 (vgl. Gal 4,13) im Blick hat. Eine rein redaktionsgeschichtliche Betrachtung hat, weil ein Jerusalembesuch in die Chronologie des Galaterbriefs nicht eingeordnet werden kann, eine nur literarische Erklärung gesucht. Die Mehrheit der Forschung erkennt jedoch in V. 22 einen Traditionssplitter, differiert allerdings in der Beantwortung der Fragen, welches Reiseziel diese Reise gehabt habe und zu welchem Zeitpunkt sie erfolgt sei.

      Die Diskussion ist in Weisers Kommentar wiedergegeben,8 die entscheidenden Vorschläge zur Lösung des Problems sind hier nur kurz anzudeuten:

       1. Die Quelle berichtete von einem Besuch Antiochias. Der Jerusalemabstecher gehe auf lukanische Redaktion zurück.

       2. Lukas hat den Jerusalembesuch eingetragen, weil seine Quelle von einer Reise, die Paulus unvorhergesehenerweise nicht nach Antiochia, sondern zunächst nach Caesarea führte, berichtete.

       3a. Die Jerusalemreise 18,22 ist eine Dublette des letzten Jerusalemaufenthaltes.

       3b. Sie ist eine Dublette der Reise zum Apostelkonvent.

       4. Paulus ist wirklich zwischen Apostelkonvent und letztem Jerusalembesuch auf dem Weg nach Antiochia nach Jerusalem gereist.

      Die redaktionsgeschichtlichen Erklärungen (l. und 2.) haben eine gewisse Plausibilität, wenn auch, wie bereits erwähnt, das von Lukas gesuchte Ziel – die Anbindung des Paulus an Jerusalem – nicht klar zum Ausdruck gebracht wird. Die vielfach vorgetragene Hypothese 3 erkennt in 18,22 einen Traditionssplitter aus einem in den Act zuvor bzw. an späterer Stelle berichteten Zusammenhang, muss aber, um eine Chronologie erstellen zu können, etliche nicht einpassbare Daten vernachlässigen.9 Demgegenüber soll hier einer gelegentlich wohl geäußerten,10 aber selten ernsthaft verfolgten Vermutung nachgegangen werden, der zufolge der Weg von Caesarea nach Antiochia Paulus vermutlich kurz nach Jerusalem führte, auch um hier sein Nasiräat zu beenden.11 Demnach hätte Lukas in den Act mit seiner Quelle, dem Itinerar, einen Sachverhalt historisch zutreffend wiedergegeben. Zugleich ist mit der Quelle, die in 18,1–3.7f.11 schon zu Wort kommt, der Beginn und der vorläufige Abschluss dieses Nasiräats auf die Zeit in Korinth und Kenchreä festgelegt. Die Probleme dieser Auslegung sind weitaus geringer als diejenigen derer, die in 18,22 eine Dublette bzw. einen Traditionssplitter einer anderen Reise erkennen.

      Die Anfragen an diese Überlegung lauten: Widerstreitet nicht das paulinische Zeugnis im Galaterbrief der Annahme einer Jerusalemreise nach dem Apostelkonvent? Können die Auslösungsverbindlichkeiten eines Nasiräats bei einem Kurzbesuch vollzogen werden? Paulus erwähnt diese in Act 18,22 angesprochene Reise nach Jerusalem an keiner Stelle. Kann dies schon die Folgerung begründen, dieser Befund schließe sie geradezu aus?12 Nach dem Gesagten handelt es sich um einen kurzen privaten JerusalembesuchJerusalembesuch auf dem Weg nach Antiochia, wo er einige Zeit bleibt. Wenn diese Reise tatsächlich stattgefunden hat, so sind aus ihr, jedenfalls nach der Nennung des Stationenverzeichnisses in den Act, ohnehin keine wegweisenden neuen Pläne hervorgegangen. Ein inhaltlicher Grund für ihre Erwähnung hätte für Paulus also nicht bestanden. In Gal 1–2 erwähnt Paulus zwei Jerusalembesuche (1,18; 2,1), ohne den Kurzbesuch aus Act 18,22 anzusprechen. Allerdings ist zu bedenken, dass Paulus in Gal 1–2 ausschließlich auf den Zeitraum von seiner Berufung bis zum Apostelkonvent bzw. bis zum Antiochenischen Konflikt blickt. Von daher ist die Nichterwähnung eines Jerusalembesuches außerhalb dieses Zeitraumes erklärlich.13 Die Bedingungen für das eigentliche Ausweihungsritual für den aus der Diaspora anreisenden Nasiräer lauten nach dem Mischnatraktat mNaz 3,6a, wobei wir die Frage nach der Gültigkeit dieser Bestimmungen in der Zeit des Paulus einmal dahingestellt sein lassen:14

      Wenn jemand (im Ausland) ein langes Nasiräat gelobt hat, sein Nasiräat vollendet hat und danach in das Land (Israel) kommt, so sagt die Schule Schammais: Er soll (noch) dreißig Tage Nasiräer sein. Die Schule Hillels aber sagt: Er soll (wieder) von Anfang an Nasiräer sein.

      Dies bedeutet: Paulus hätte, um das Nasiräat beenden zu können, zunächst eine siebentägige Reinigungsperiode, die nach einer Besprengung am dritten und am siebten Tag durch ein Tauchbad abgeschlossen wird (Num 19,19), übernehmen müssen. Im Anschluss daran hätte Paulus nochmals ein mindestens dreißig Tage währendes Nasiräat einhalten müssen. Erst dann konnte das Ausweihungsopfer dargebracht werden. Kürzere Fristen, die gelegentlich als Möglichkeit vermutet werden,15 entsprechen nicht den Bestimmungen der Mischna.16 mNaz 3,6b berichtet über das Nasiräat der Königin Helena von Adiabene, welches diese Bestimmungen im Grundsatz auch für die Zeit des 1. Jh. n. Chr. illustriert. Der anschließende Besuch in Antiochia wird zeitlich mit χρόνον τινά (Act 18,23) umschrieben.

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