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geführt haben, werden von Lukas in groben Zügen festgehalten (Act 21–23). Unklarheit besteht jedoch hinsichtlich eines paulinischen Nasiräats und der Auslösung von vier Nasiräern. Der Erhellung der historischen Abläufe ist der folgende Beitrag gewidmet. Die die Forschung zumeist bestimmende theologische Frage, ob es denkbar ist, dass der im Galaterbrief vehement gegen Beobachtung jüdischer Gesetzesfrömmigkeit polemisierende Paulus nun in Jerusalem eben solche Frömmigkeit praktiziert, soll solange zurückgestellt werden, bis Klarheit gewonnen ist, was Paulus getan hat und was nicht.

      Es liegt kein sicheres Urteil über die präzise Gestalt des von Paulus übernommenen Nasiräatsgelübdes bzw. die Übernahme der Auslösungskosten für die vier Nasiräer vor. Man hat innerhalb der älteren Exegese von einem „gordischen Knoten“ gesprochen.1 Die jüngere redaktionsgeschichtliche Forschung lastet diese Unklarheiten in der Regel Lukas an, der keine präzisen Vorstellungen von jüdischen Sitten und Gebräuchen gehabt habe.2 Methodisch wird so vorzugehen sein, dass zunächst die lukanischen Aussagen dargestellt werden. Sodann ist zu fragen, ob sie mit zeitgenössischen jüdischen Aussagen zum Nasiräat in Einklang gebracht werden können. Schließlich ist eine historische Einordnung vorzunehmen. Aussagen aus zwei Texteinheiten der Apostelgeschichte sind zu analysieren: 1) Act 18,18–22; 2) Act 21,15–27.

      1. Act 18,18–22

      1.1 Die lukanischen Aussagen

      Paulus$Apg 18,18–22 verabschiedet sich von der korinthischen Gemeinde, um mit Priszilla und Aquila auf dem Seeweg nach Syrien zu fahren. In der östlich von Korinth gelegenen Hafenstadt Kenchreä lässt er im Zusammenhang eines Gelübdes sein Haar scheren. Nach der Überfahrt durch die Ägäis bleiben Priszilla und Aquila in Ephesus. Paulus tritt die Fahrt nach Syrien alleine an, landet aber in der Hafenstadt Caesarea, die in paulinischer Zeit nicht zur Provinz Syrien, sondern zum prokuratorischen Verwaltungsbezirk Judäa zählte.1

      In der lukanischen Darstellung stellt dies den Abschluss der sog. 2. Missionsreise (Act 15,36–18,22) dar, an die sich die sog. 3. Missionsreise ohne genaue Angaben über den Aufenthalt in der antiochenischen Gemeinde anschließt. Der Text deutet vieles nur an und lässt den Leser mit Fragen zurück. Was impliziert die eher beiläufige Erwähnung des Haarescherens im Zusammenhang eines Gelübdes, und auf welches Subjekt ist sie zu beziehen? Das absolut gebrauchte Verb κείρομαι bezeichnet das profane Haareschneiden bei Mensch (1 Kor 11,6) und Tier (Act 8,32). In Act 21,24 wird Lukas das Verb ξυράομαι (τὴν κεφαλήν) verwenden. ξυράομαι bedeutet im Medium „ganz kahl scheren, rasieren lassen.“2 Sowohl κείρομαι als auch ξυράομαι sind durch das zugeordnete εὐχή (Act 18,18; 21,23) zwingend als religiöse Handlungen gekennzeichnet. Dies allerdings ist bei ξυράομαι ohnehin naheliegend, da dieses Verb im alttestamentlich-jüdischen Sprachraum im Kontext des Nasiräatsgelübdes gebraucht wird (Num 6,9.18.19 LXX; Jos, Ant 19,294; Bell 2,313). Es wird in der Literatur häufig vermutet, das in Act 18,18 erwähnte Scheren des Haares stehe in keinem Zusammenhang mit einem Nasiräat,3 was zumeist unter Hinweis auf die Differenz zu jüdischen Bestimmungen über ein Nasiräat zu belegen gesucht wird. Vielmehr handle es sich, so die ältere Literatur, um ein privates,4 möglicherweise in Anlehnung an heidnische Praktiken gewähltes Gelübde.5

      Dies ist jedoch von der sprachlichen Seite her unwahrscheinlich. Lukas verwendet εὐχή in Act 21,23 zweifelsfrei als Begriff für das Nasiräatsgelübde.6 Daher und wegen des begründenden γάρ wird dieser Sprachgebrauch auch in Act 18,18 vorauszusetzen sein, auch wenn Lukas hier κείρομαι und nicht ξυράομαι liest. Das Scheren der Haare (Partizip Aorist: κειράμενος) steht zu dem Gelübde (Imperfekt: εἶχεν) in dem Verhältnis eines vorläufigen Abschlusses zu einer zuvor begonnenen Handlung.

      Philologisch nicht wirklich eindeutig zu klären ist die Frage, ob Paulus oder Aquila sich die Haare habe scheren lassen. Von der syntaktisch engeren Stellung her ist an Aquila zu denken. Häufig hat man in der Literatur darauf verwiesen, dass die Namensumstellung (PriszillaPriszilla vor AquilaAquila) ein klarer Hinweis sei, „der an Deutlichkeit nichts zu wünschen läßt“7, den Namen Aquila mit dem Verb κειράμενος zu verbinden. Allerdings besagt die Stellung der Namen zueinander wenig. Die Voranstellung des Namens Aquila belegen Act 18,2; 1 Kor 16,19; diejenige des Namens Priszilla Act 18,18.26 (diff HSS); 2 Tim 4,19. Nicht nur die Handschriften D und h haben die Aussage auf Aquila gedeutet, ebenso eine Reihe namhafter Ausleger und Übersetzer (Vulgata, Theophylakt, Castellio, Hammond, Grotius, Alberti, Kuinoel, Wieseler, Oertel, Schneckenburger, Meyer, Overbeck, Preuschen, Wendt, Knopf, Greeven, Bauernfeind, Zahn). Wenn in dieser Frage eine Lösung herbeigeführt werden kann, dann so, dass im Kontext die Konsequenzen einer Deutung auf Aquila bzw. Paulus bedacht werden.

      Schließlich gibt die Reiseroute des Paulus in Act 18,22$Apg 18,22 Fragen auf. Kann ἀναβάς, wie im gegenwärtigen Luthertext (1990), mit „ging hinauf nach Jerusalem“ übersetzt werden? ἀναβαίνω wird von Lukas nur Lk 2,42 (diff HSS) absolut gebraucht, um den Weg nach Jerusalem zu beschreiben, sonst immer mit einer Ortsangabe (Lk 18,31; 19,28; Act 11,2; 15,2; 21,12.15; 24,11; 25,1.9); vgl. auch Lk 2,4 (nach Juda), 18,10 (zum Heiligtum), Act 3,1 (zum Heiligtum). Dieser absolute Gebrauch von ἀναβαίνω für „nach Jerusalem gehen“ ist aber nicht unüblich (vgl. etwa Jos, Bell 2,334). Alle Versuche, ἀναβαίνω ausschließlich im Rahmen der geographischen Verhältnisse von Hafen und Stadtzentrum Caesareas erklären zu wollen, scheitern an dem korrespondierenden κατέβη.8 Ein „Abstieg“ ist sinnvoll nur von Jerusalem nach Antiochia, nicht aber von Caesarea nach Antiochia. Und eine Schiffsreise von Ephesus mit dem Ziel Syrien (Antiochia) über Caesarea ist nur sinnvoll, wenn man einen Besuch Jerusalems im Blick hat. Der Weg von Ephesus direkt nach Antiochia hätte entlang der kleinasiatischen Südküste geführt. Daher wird Lukas aus diesen und weiteren inhaltlichen Gründen bei τὴν ἐκκλησίαν nicht die Gemeinde in Caesarea, sondern die Jerusalemer Urgemeinde im Blick haben.9 Im Übrigen haben auch D, Ψ, der Mehrheitstext, gig, w, sy in Act 18,21 den Zusammenhang als Jerusalemreise aufgenommen, allerdings eine Zeitangabe hinzugefügt.

      1.2 Das Verhältnis zu jüdischen Aussagen über das Nasiräat

      Es ist häufig gegen eine Deutung des Haarescherens in Kenchreä als einer Handlung im Zusammenhang eines Nasiräats vorgebracht worden, diese Handlung müsse im Tempelbezirk bzw. in Jerusalem vorgenommen werden. Nun sind wir über die Gepflogenheiten innerhalb des DiasporajudentumsDiasporajudentum diesbezüglich nicht gut informiert.1 Die Möglichkeit der Übernahme des Gelübdes im Ausland steht außerhalb jeglicher Frage.2 In der Mischna Naz 3,6 und im Traktat NazirTraktat Nazir 19b, 20a des babylonischen Talmud werden die Bedingungen zur Erfüllung des Gelübdes für den aus dem Ausland kommenden Nasiräer diskutiert. Konnten die Haare, wie bei Act 18,18 zu vermuten, auch in der Diaspora geschoren, damit die Zeit des Gelübdes beendet, die eigentlichen Auslösungsfeierlichkeiten hingegen allein in Jerusalem abgelegt werden? J. Klausner hat vermutet, es sei unter den Diasporajuden Brauch gewesen, das Haar außerhalb Palästinas zu scheren.3 P. Billerbeck erkennt in Act 18,18 einen Beleg dafür, „dass das Nasiräatgelübde auch im Ausland übernommen werden“ konnte.4 Mit gewisser Einschränkung schreibt er sodann aber, dass keine derjenigen Stellen, welche die Freiheit zum Scheren an einem beliebigen Ort ansprechen, „sich auf das Scheren des Nasiräers im Auslande“ bezieht.5 Auch M. Boertien hat in seiner Abhandlung keinen Zweifel daran gelassen, dass es möglich war und tatsächlich auch vorkam, das Haar in der Diaspora zu scheren und die eigentliche Auslösung sodann im Jerusalemer Tempel vorzunehmen, obwohl dieser Sachverhalt aus den Quellen so nicht zu belegen ist.6 Der Mischnatraktat Nazir 6,8b weiß zu unterscheiden zwischen demjenigen, der im Tempelbereich, und demjenigen, der in der Provinz das Haar hat scheren lassen. Das Wort Provinz (מדינה‏‎) wird in der Mischna entweder als Gegensatz zum Tempelbezirk oder zu Jerusalem gebraucht. So belegt dieser Satz wohl, dass zwischen dem Schneiden der Haare und der Auslösung im Tempel ein zeitlicher und räumlicher Abstand liegen kann,7 ein deutlicher Beleg für die Möglichkeit des Schneidens der Haare im Ausland ist damit aber nicht gegeben.8 Wohl aber setzt mNaz 6,8b Diskussionen darüber voraus, ob auch derjenige, der außerhalb Jerusalems oder des Tempels sein Haar hat scheren lassen, es

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