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mit einer veränderten Gewichtung innerhalb der Tora vorgetragen. Eben nicht dieser Aspekt des Zeremonialgesetzes gilt etwas, sondern das Beachten der ἐντολαὶ θεοῦ. Ja das Beschneidungsgebot wird faktisch aus den „Geboten Gottes“ ausgeklammert, da es ihnen gegenübergestellt wird. Es wird hiermit die Einheit der Tora aufgespalten. Verstehen wir Gal 5,6 als einen Kommentar zu dieser Stelle, so ist deutlich, dass jetzt das Liebesgebot die ἐντολαὶ θεοῦ zusammenfasst. Es ist hier bereits angelegt, was in der paulinischen Theologie eine klare Explikation erfährt: Das Liebesgebot ist die entscheidende Zusammenfassung der Tora, auf die die heidenchristliche Gemeinde verpflichtet wird.17 Hierin folgt die heidenchristliche Mission Vorgaben des hellenistischen Diasporajudentums, wenn auch die Antithese gegen die Beschneidung (als Teil des Zeremonialgesetzes) hier so nicht zu vernehmen ist.

      Diese Antithese aber gilt es zu erklären. „Antiochia stolpert nicht zufällig ins Heidenchristentum. Nein, es vollzieht, theologisch durchdacht, einen folgenschweren Schritt, nämlich die Lösung vom Judentum“.18 Die dritte Formel der antiochenischen Gemeinde, die Paulus in Gal 6,15$Gal 6,15 zitiert, stellt in ihrer Antithese dem Zustand des Beschnitten- bzw. Unbeschnittenseins den Begriff der καινὴ κτίσις gegenüber. Es ist nicht mit letzter Sicherheit zu erweisen, ob es Paulus war, der an dieser Stelle den Begriff der NeuschöpfungNeuschöpfung in die Antithese eingetragen hat, oder ob er die Antithese insgesamt so aus der Tradition der antiochenischen Gemeinde übernommen hat. Für die letztere Annahme spricht, dass der Begriff bei Paulus nur hier und in 2 Kor 5,17$2Kor 5,17 verwendet worden ist, also eher am Rand der paulinischen Sprache steht. Dieser schmale Befund macht die Erklärung dessen, was der Begriff besagt, nicht leicht. Die Arbeit von U. Mell19 hat von daher mit Recht die Traditionsbildung des FrühjudentumsFrühjudentum20 als Interpretationshilfe herangezogen und gezeigt, dass hier gleichfalls der Begriff in antithetischer Verwendung, in kosmischer Ausweitung, in eschatologischer Akzentuierung, in soteriologischer Ausrichtung und in begrifflicher, nicht metaphorischer Fassung erscheint. Dieser weitgehenden Kongruenz steht ein Unterschied gegenüber: In (1 Kor 7,19; Gal 5,6 und) 6,15$Gal 6,15 ist die Wirklichkeit der Neuschöpfung radikal präsentisch gedacht, nicht aber mehr Gegenstand zukünftiger Erwartung. Die Interpretation der Gegenwart als Zeit der Neuschöpfung gründet – was jedoch auf der Ebene der paulinischen Redaktionsstufe erst ganz deutlich erkennbar ist – im Blick auf Christus. Daher heißt es da, wo die antiochenischen Traditionen in Taufaussagen überführt werden: Alle sind einer in Christus Jesus (Gal 3,28$Gal 3,28), wir sind alle in einen Leib hineingetauft worden (1 Kor 12,13$1Kor 12,13), alles in allem ist Christus (Kol 2,12$Kol 2,12). 2 Kor 5,17 benennt Christus als den heilvollen Ort nach der eschatologischen Wende. Schon in Gal 5,6 ist dieses „in Christus“ zur Begründung des Verzichts auf die Beschneidung genannt, und es hat von hier aus wohl auch nachträglich Einzug in die HSS zu Gal 6,15 gefunden. So sind es wohl schöpfungstheologische, am Begriff der καινὴ κτίσις hängende Überlegungen, zum anderen christologische Gründe, die zu einer Antithese gegen eine Wertigkeit des Standes der Beschnittenheit bzw. Unbeschnittenheit geführt haben. Dass mit der TaufeTaufe „in Christusin Christus“ hinein im hellenistischen Christentum der Ort gefunden wurde, der beide Begründungen in sich vereinte und von daher den Akt der Beschneidung überflüssig machte, ist evident, allein ist es problematisch, diese Inerpretation bereits für die frühe Zeit der antiochenischen Mission zugrunde zu legen. Die schöpfungstheologische Kritik an der vorgängigen Beachtung der trennenden Differenz zwischen dem Stand des Beschnitten- bzw. Unbeschnittenseins wird in den genannten TauftraditionenTauftradition klar bezeugt, insofern sie sogar die Aufhebung der schöpfungsmäßigen Differenzierung von Mann und Frau ansagen. Ob man zusätzlich Diskussionen in den gemischten Gemeinden zur Frage, weshalb das Judentum vor Abraham, also zur Zeit der Schöpfungsordnung, unbeschnitten war, voraussetzen darf, ist ungewiss, aber nicht auszuschließen. 21 Die christologische Kritik ist in ihrer Begründung schwerer zu fassen. Es ist ja keine notwendige Folgerung, dass das Christusgeschehen den Abrahambund aufhebt. Das Judenchristentum hat diese Konsequenz bekanntlich nicht gezogen. Fraglos aber ist das Christusgeschehen bereits in frühster Zeit als eine nicht partikulare, auf Israel begrenzte, sondern als eine universale, auch Heiden betreffende Wirklichkeit verstanden worden.22 Die Notwendigkeit eines unterscheidenden Zeichens zwischen Israel und den Völkern war hinfällig geworden. Was BundBund ist und wer dazugehört, wird nicht über den Beschneidungsbund definiert, sondern über die Christuszugehörigkeit. Beide Begründungen stehen einem Festhalten des Beschneidungsgebots kritisch gegenüber. Dennoch wird auch hier anzunehmen sein, dass das Gewicht des Faktischen, nämlich die Existenz unbeschnittener Christen erst im Vorfeld des und im Anschluss an den Apostelkonvent, nachträglich nach Begründungen des neuen Verhaltens hat suchen lassen. Die Existenz des Judenchristentums erinnert beständig daran, dass dieser Weg nicht zwingend war.

      3. Jüdische und judenchristliche Reaktionen

      Die erste deutliche Reaktion auf den von Antiochia eingeschlagenen und sodann vor allem durch Paulus durchgesetzten Weg findet sich in dem Einwand der „falschen Brüder“ auf dem ApostelkonventApostelkonvent. Sie klagen die Beschneidung der anwesenden Heidenchristen ein. Auch wenn Paulus es so darstellt, als habe man sich – in Anwesenheit dieser falschen Brüder – durch Handschlag mit dem Leitungsgremium der Urgemeinde (Gal 2,9) auf einen gemeinsamen Weg im Sinne der Zulassung der beschneidungsfreien Heidenmission verständigt, so zeigt die Folgezeit doch eine andere Entwicklung auf.

      Dass der antiochenische Weg für das palästinische Judentum unannehmbar war, bedarf keiner Begründung. In der rabbinischen Literatur wird der heidenchristliche Weg nicht thematisiert. „Jedenfalls ergibt keiner der in der Forschung bisher angeführten rabbinischen Texte […] eine klare Bezugnahme auf christliche Standpunkte […]“1 Der halachische Status eines unbeschnittenen Christen glich demjenigen eines Nicht-Juden.2 Christliche Kritik an der Beschneidung stand in einer Tradition mit der paganen Kritik an der Beschneidung, bedurfte also keiner eigenständigen rabbinischen Reaktion. Inwieweit zelotischer Eifer, der die Beschneidung erzwingen wollte, bis in den heidenchristlichen Raum ausgestrahlt hat, ist ungewiss.3 Die Zwangsbeschneidungen der Makkabäer- und der auf sie folgenden Zeit (1 Makk 2,45–46, Jos. Ant 13,257–258: 318–319) mögen zu pauschalisierenden Urteilen über jüdischen Missionseifer geführt haben (vgl. Hippolyt. Elenchos 9,26). Über vereinzelte ähnliche Vorkommnisse berichtet Josephus (Vita 113; Ant 20,38ff.), allerdings nicht im Zusammenhang mit Christen. Natürlich ist bei der paulinischen Korrespondenz mit den Gemeinden in Galatien, in Korinth und Philippi zu fragen: Sind die hier auftretenden Gegner, für die ja in zwei Fällen eine Beziehung zur Beschneidungsfrage konstitutiv ist, Juden oder sind es Judenchristen? Meines Erachtens handelt es sich in jedem Fall um Judenchristen. Die eigentliche Reaktion des Judentums besteht in der umfassenden, positiven Darlegung der Beschneidung im rabbinischen Schrifttum, auch wenn es nie zur Ausbildung eines eigenen Traktats in der Mischna kam. Aber sie ist nicht allein durch den Weg des Heidenchristentums initiiert, ebenso als Antwort auf das römische Beschneidungsverbot und als Selbstdefinition nach den jüdischen Kriegen.

      Unbeschadet der Beschlüsse des Apostelkonvents hat es ein JudenchristentumJudenchristentum gegeben, das die Forderungen der Tora inklusive Sabbatobservanz und Beschneidung einhielt und gleichzeitig Heidenmission betrieb.4 U. Luz hat in seinem großen Kommentar diese Sicht für die matthäische Gemeinde vorausgesetzt.5 Sodann ist aus nachpaulinischer Zeit auf die Judenchristen zu verweisen, die andere Christen zu Sabbat und Beschneidung überreden wollen (Justin. Dial 47,2–3).6 Im synkretistischen Judenchristentum der Ebioniten wird die Beschneidung dadurch begründet, dass ja auch Christus beschnitten war (Epiphanius Haer 30, 26,1–2).7 Auch für Elkesai ist neben dem Sabbatgebot und dem Gebet in Richtung Jerusalem die Beschneidung bezeugt (Hippolyt. Ref 9,14,1; Epiphanius Pan 19,3,5–6). Die Quelle AJ II (in R I 33–71) der Grundschrift der Pseudoklementinen ist durchaus kultkritisch, aber sie bewertet die Beschneidung und die Reinheitsgesetze positiv (R I 33,5).8 Die zu Beginn des 3. Jh. geschriebene syrische Didaskalia erwähnt Judenchristen, die an Reinheitsvorschriften, Waschungen, Sabbat und Beschneidung festhalten (121–122, 136ff.). Freilich scheint es daneben bereits im 1. Jh. schon eine metaphorische Interpretation gegeben zu haben, die den Begriff der Beschneidung, wie etwa für die „kolossische Häresie“ zu vermuten, in einen mysterienhaften InitiationsritusInitiationsritus einordnet.9

      Deutliche Spuren eines Judenchristentums, das für

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