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Gesellschaft schwarze Kleidung trägt, da schluckt der verlegen, kriegt einen ganz roten Schädel und würgt schließlich heraus:

      »Des net, Hoheit, aber – ich muss es vermelden, dass ich ganz in der Näh war und dass ich g’schossen hab.«

      »Gib a Ruh«, fährt ihm der Kaspar ins Wort. »Dein Schuss war zu späterer Zeit, da bin ich schon wieder erwacht. Des hat nix zu tun mit dem!«

      »Ich hab aber zweimal g’schossen, mit Verlaub, Königliche Hoheit. Einmal den Lenkschuss, wie der Hirsch abi zur Fürlege g’saust is, absichtlich nahe vorbei an ihm, in den Boden, und ’as zweite Mal, wie er wieder auf und davon g’roast is, ganz überraschend, als an versuchten Fangschuss.«

      »Beide Schüss’ hab ich vernommen, und keiner von denen is’ g’wesen«, beharrt der Kaspar.

      Prinz Carl legt seinem Jäger die Hand auf den Arm: »Es ehrt Sie, lieber Haller, dass Sie an diese Möglichkeit denken, aber san S’ friedlich: Sie waren’s net, wir müssen uns anderweitig erkundigen. Ich bring es zur Sprach bei der Jagdtafel, später, im Schloss drüben. Jetzt holen S’ an Wagen, dann fahren wir ihn heim, den Herrn Brandner.«

      »Des braucht’s aber wirklich net, Hoheit, ich bin gut auf die Füß und hab auch zwei Leut zur Begleitung.« Der Kaspar beharrt aus Bescheidenheit und wehrt sich auch, als der Prinz ihn dem König von Belgien vorstellen will: »Hoheit, des braucht’s doch net, und i kann ja aa net Französisch.«

      »Lieber Freund, einmal hat der Coburger auf sein Deutsch net vergessen, zum ändern waren Sie es, der den Hirschen für ihn aufg’funden hat. Also kommen S’ getrost, der Leopold freut sich, ich versprech’s Ihnen.« Des aa no, denkt der Senftl voll Ingrimm, wie der Prinz höchstselbst den Brandner vor den König hinführt. Ihn schmerzt diese Huld. Er ist neidig, dass dem Hofmeister gewinkt wird, der ein Geschenk zureicht und der Brandner einen goldenen Taler bekommt, als Dank, zum Trost und als Angedenken, und dass die Herrschaften um den Alten scharwenzeln, als sei er der Mittelpunkt. »Vielen Dank, zu viel Ehr, unverdient«, murmelt der Kaspar verlegen ein über das andre Mal, und weil er sich der Franzosenzeit seiner Jugend erinnert, sagt er noch mutig zum Belgier: »Merci beaucoup, Majestät«, eh er sich unter Verneigungen zurückzieht.

      Eine leise schnarrende Stimme fragt den lurenden Senftl: »Pardong, Sie wissen, wer dieser Mann ist, um den man sich derart auffällig bemüht?«

      »A windiger Jagdhelfer, der sich an Schuss eing’fangen hat, a Irgendwer, weiter net wichtig.«

      Der Fragende ist ein eleganter junger Herr mit Schmissen im glatten Gesicht, gekleidet in eine nagelneue Jagduniform. Er blickt leicht blasiert, raucht eine Zigarette und sieht so wichtig und einflussreich aus, dass der Senftl sich allsogleich anbiedert:

      »Gestatten, dass ich mich vorstell, Alois Senftl mein Name, eigentlicher Bürgermeister von Tegernsee, gewissermaßen. Und mit wem hab ich die Ehre?«

      »Leutnant von Zieten, Adjutant des königlich preuß’schen Gesandten am bayerischen Hofe. Finde alles hier kolossal. Bin erst seit drei Tagen im Lande, muss sagen, äußerst disturbierend, verstehe kein Wort von dem, was die Leute so reden, aber insgesamt kolossal urig.«

      »Gell, ja. Den meisten nördlichen Herrschaften gefallt’s bei uns gut. Wenn Sie mir die Ehre erweiserten, dass ich Ihnen beim Eingewöhnen behilflich sein dürft …«

      »Wird dankbarst angenommen, Herr Bürgermeister.«

      Das tut gut. Der Senftl belässt es bei der Titulatur. Er hört sie gar zu gern, und der Fremde braucht ja nicht wissen, dass er nur der Stellvertreter ist. Er wird es schon noch erreichen, dass ihn die zähen Leute zum Alleinherrscher des Ortes erwählen, na was denn …

      Der Brandner kommt am Senftl vorbei, beider Blicke streifen sich, und wie der Senftl sieht, ist der Kaspar totenblass. Da kann er nicht anders, er grinst ihn mit seinen glühenden Augen so freundlich an, als sei nie etwas zwischen ihnen gewesen, der falsche Hund. Der Kaspar schüttelt nur seinen Kopf und geht weiter, zum Marei, das mit dem Flori bescheiden abseits steht.

      Da geschieht ihm abermals etwas Unerwartetes. Sein Schritt wird unsicher, er stolpert, schwankt, taumelt und wäre gestürzt, hätte der Flori ihn nicht rasch noch gestützt.

      Wieder muss der Senftl erleben, dass es ein Hallo gibt um den Alten, dass man sich erneut um ihn schart, dass der Freiherr von Stockmar noch einmal beigezogen wird, einen Schwächeanfall nach der übergroßen Aufregung feststellt, Ruhe verordnet und der Prinz apodiktisch befiehlt, der Brandner sei in einer Kutsche nach Hause zu fahren.

      Der Simmerl bittet dringlich, ihn kutschieren zu dürfen, aber die Dienstpflicht verbietet es, er ist im Moment unentbehrlich. Während die Gesellschaft zur Jagdtafel hinüber ins Schloss Tegernsee zieht, ist er es, der beaufsichtigen muss, dass die Strecke und alle Jagdgerätschaften pünktlich dorthin verbracht werden.

      Im Hin und Her stellt Dr. Senger seinen Jagdwagen zur Disposition. Der Flori soll ihn kutschieren, den Alten abliefern und das Gefährt dann zum Schloss Tegernsee bringen.

      »So a G’schiss um den alten Deppen«, knirscht der Senftl in sich hinein, während er huldvoll lächelnd behilflich ist, den Wagen herbeizuführen. Er tut öffentlich dar, wie gewogen er der Brandnerfamilie ist, denn er kennt das Leben. Er weiß, der Kaspar ist von nun an nicht mehr nur ein geduldeter Kleinhäusler, der keinen Rückhalt hat. Wer von den hohen Herrschaften bemerkt und gefördert wird, darf ein besseres Leben und Beachtung erhoffen.

      Das weiß er genau, weil sein eigener Aufstieg begann, als er sich beim König anwanzte, durch jene G’schicht, an die er nimmer erinnert sein mag.

      Damals, als Jungem, war es ihm notig gegangen, und er hat Straßenarbeiten gemacht. Er war nicht grad fleißig dabei, das kann niemand behaupten. Oft ist er auf seinem Schubkarren gesessen und hat Brotzeit gemacht. Wie er einmal so dahockt, kommt die Kalesche des Königs Max I. Joseph vorbei, und der Monarch ruft herüber, leutselig oder ironisch, das hat er nicht ausmachen können:

      »Recht guten Appetit, lieber Freund!«

      Er ist hochgerumpelt, hat sich verneigt, hat im Verwirrnis sein Brot hingestreckt und gerufen:

      »Dank, gnädiger König! Wir waar’s – mitgehalten?«

      Da sind Majestät tatsächlich ausgestiegen und haben in das dargebotene Brot gebissen. Das war der entscheidende Augenblick.

      Der Senftl hat gleich recht gezahnt und gejammert, wie schlecht es ihm geht, hat sich hingekniet und sein Lamento beschlossen:

      »Sonst kann i nix tun für Enk, aber ich will fleißig beten für die gnädige Majestät.«

      Das hat dem gutmütigen König gefallen. Er hat geschmunzelt: »Bet du für mich. Ich kann für dich auch was anderes tun«, hat sich den Namen sagen lassen, und schon am Abend hat der Senftl einen Beutel Dukaten bekommen und den Bescheid, dass er für den Hof arbeiten darf.

      Von da an ist er überall besser behandelt worden, weil Protektion halt Reputation mit sich bringt, so sind die Leut, kannst nix machen. Damals begann sein Aufstieg, und wie man ihm draufgekommen ist, auf welch anlassige Weise er ihn erreicht hat, wurde er zum Gespött. Aber nicht lang. Er hat es den Klatschmäulern, den grinsenden, bald gezeigt, dass mit ihm von nun an zu rechnen ist.

      Und jetzt, verflucht, denkt er, kann es sein, dass der Kaspar genauso in die Gnade kommt! Das hat noch gefehlt!

      Eifrig besorgt hilft er beim Einsteigen und kommt dabei mit dem Marei in nahe Berührung, was ihm angenehm ist. So alt ist er nicht, trotz erwachsener ehelicher Kinder sowie derer, für die er insgeheim zahlen muss, dass ihm bei einem so frischen Geschöpf nicht einfiele, wie man herumtaubern muss, um sich zu nähern. Könnte er sich das Marei geneigt machen, würde der Kaspar zerspringen vor Wut, und er selber hätte zudem noch sein Vergnügen. Als er das denkt, lächelt er sie so liebreich und so verheißungsvoll an, dass die sich nur wundert, wie ein Mensch sich so zu verstellen imstand ist. Aber sie sagt es nicht.

      Sie geniert sich ohnehin in ihrem Bubengewand und möchte rasch fort, ohne aufzufallen. Sie wagt es auch nicht, den Herrn Reichenbach wegen einer Arbeit für den

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